Der Turm der schreienden Frauen

Der Turm der schreienden Frauen

Von Rolf Giesen

AUS DER HÖLLE GESPUCKT, so der deutsche Titel eines Films von Bert I. Gordon –
Dieser aber heißt nicht minder dramatisch.

Die Inflation galoppiert. Und mit ihr auch die Inflation der Begriffe. Die größten Debakel und Probleme stellen heute allenfalls challenges dar. Ich habe Nachrichtensendungen gehört, da wurde dieser Begriff drei- bis viermal erwähnt. Und, ach ja: Klassiker. Im vorliegenden Fall ein Horror-Klassiker. Nun, eines kann man Bert I. Gordon, dem Regisseur, nicht unterstellen: jemals einen Klassiker gedreht zu haben. Wohl hat er billige Kopien von Filmen kopiert, die heute gelegentlich als Klassiker gehandelt werden: Aus TARANTULA! wurde bei ihm THE SPIDER oder besser: EARTH VS. THE SPIDER. Das sollte an EARTH VS. THE FLYING SAUCERS erinnern, und da machte es auch noch Sinn, aber die ganze Erde gegen eine einzige Spinne, und sei sie auch so groß wie ein Einfamilienhaus?! Schonger- und Mercator-Film, die einige von Gordons ersten Arbeiten in Deutschland herausbrachten, titelten zögerlicher DIE RACHE DER SCHWARZEN SPINNE. Keine Ahnung, wem die Rache galt. So etwas lief damals, in den späten 1950er und 1960er Jahren, in Spätvorstellungen rauf und runter. ATTACK OF THE PUPPET PEOPLE, der in Deutschland gar nicht erst in den Verleih kam, war Gordons Antwort auf einen anderen Universal-Erfolg: THE INCREDIBLE SHRINKING MAN. Und Bert Ira ließ die Menschen nicht nur schrumpfen, sondern auch wachsen: THE CYCLOPS, THE AMAZING COLOSSAL MAN (DER KOLOSS, mit einem richtigen Schauspieler in der Rolle des Riesen) und GIGANT DES GRAUENS, im Original WAR OF THE COLOSSAL BEAST – KRIEG DER KOLOSSALEN BESTIE, was darauf hinweist, dass es sich bei dem Ungeheuer um einen nuklear verstrahlten und zu ungeheurem Wachstum gebrachten Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte handelt. Grundsätzlich waren die Poster, mit denen dafür in Auto (USA)- und Bahnhofskinos (Bundesrepublik) geworben wurde, spektakulärer als die Filme selbst. Sein Freund Forrest Ackerman gab Gordon in dem Magazin, auf gut Deutsch: Famose Monster aus dem Filmland diesbezüglich den Spitznamen Mr. B.I.G. Dabei war Mr. B.I.G. selbst nur ein Shorty, allerdings einer mit einem inflationären Ego. Stolz allerdings darf er sein auf seine kurze Zusammenarbeit mit Orson Welles (in THE WITCHING/NECROMANCY), der war doch in CITIZEN…, CITIZEN…. – KANE ergänzt der Interviewer – ja, genau). Den hat er mit einem eigenen Koch am Film-Set zufriedengestellt. So und nicht anders führt ein Bert I. Gordon Regie! Und da sind da auch noch THE BOY AND THE PIRATES, THE MAGIC SWORD (der vor 40 Jahren im Berliner Filmkunst 66 in einer 16mm-Kopie mit irre witzigen Untertiteln lief: Hallo, Kaiser, König, alter Knabe…) und – TORMENTED, bestimmt keine Klassiker, aber achtbare Filme.

Bert Ira hat 2009 sogar An Autobiographical Journey veröffentlicht: THE AMAZING COLOSSAL WORLD OF MR. B.I.G. Man erfährt darin nicht viel über seine Filme. O-Ton: What do I do now? Answer: think of an idea for a new screenplay. And that’s what I did.
Ansonsten: Selbstbeweihräucherung ohne Ende – Another honor… After the movie, I was invited up on the stage for an interview… a question and answer session with the audience… and the presentation of my Plaque of Honor. Then, in another hall, I met a great many fans of my films, and did some autographing… I was honored at the 1998 International Film Festival of Catalonia in Sitges, Spain, a most beautiful town southwest of Barcelona between the hills and the Mediterranean… I hated to leave Sitges after the festival, but, as the cliché goes, all good things must come to an end.
(Vom Autor signierte Exemplare können für $25 via www.bertigordon.com bestellt werden. Ich empfehle, stattdessen die Blu-ray TORMENTED zu erwerben.)

Denn wenig nur erfährt man in Gordons Schmöker über den Horror-„Klassiker“, über den TURM (=Leuchtturm) DER SCHREIENDEN FRAUEN. Seit frühen Tonfilm-Tagen (KING KONG) schrien Frauen in Horrorfilmen bekanntlich ungemein viel und laut: Scream Queens nannte man sie mit ironischem Augenzwinkern.
CHAPTER ELEVEN
TORMENTED
I sat down and wrote a screenplay…
Aha!
… of a weird ghost story, and decided to make this one independently with private money. I raised part of the budget from an investor, and the rest came from my own funds.
Sodann wird uns berichtet, dass in der vom Konkurs bedrohten und wenige Jahre später zum Abriss bestimmten ehemaligen Filmfabrik des Lachens, den Hal Roach Studios in Culver City, und am Strand von Malibu gedreht wurde, wo es allerdings keinen Leuchtturm für die schreienden Frauen gab. Den fand Gordon endlich nahe der „Hexen-Stadt“ Salem, Massachusetts, belichtete eine Rolle Film und ließ das Gebäude mit Hilfe eines optischen Printers im Kopierwerk Consolidated Film Industries in die anderen Szenen einfügen: all of it with movie magic! Mehr wird uns nicht verraten. Blättert man in dem schmalen Band, gewinnt man nicht den Eindruck, dass sich der Regisseur sehr für seine Filme interessiert.
Der Geist, den Gordon in TORMENTED beschwört, ist der einer jungen Frau. Richard Carlson, im Privatleben Science-Fiction-Fan und während der Lektüre wohl auch dem Alkohol nicht abgeneigt, spielt einen Jazzpianisten, der seine eifersüchtige Freundin Vi Mason mehr oder minder absichtlich (vom Leuchtturm) fallen lässt, um eine andere, Meg Hubbard, zu heiraten: I didn’t kill her, it’s her own fault that she’s dead – aber der Geist der dem Tod Überantworteten heftet sich an seine Fersen und macht ihm einen Strich durch die Milchmädchenrechnung. Mit dabei auch Gordons Töchterlein Susan als Megs kleine Schwester, das Mädchen, das zu viel wusste. (Susans Mutter, die 1979 geschiedene Flora May Gordon, wachte wie immer bei Gordons Filmen als wahrhaft guter Geist hinter der Kamera.)
Zum Schluss geht auch Carlson über Bord, sprich: stürzt vom Leuchtturm ins Meer, sozusagen in die Arme der Wasserleiche Vi. Des Filmemachers geradezu biblisch klingendes Fazit: She couldn’t have him alive, but he was hers in death.

Für TORMENTED hatte Gordon einen erstklassigen Schwarzweiß-Kameramann verpflichtet: Ernest Laszlo, einen gebürtigen Ungarn, der einige Jahre später einen Oscar für seine Mitarbeit an Stanley Kramers NARRENSCHIFF erhalten wird. George Worthing Yates (THEM!), der Neffe des steinreichen ehemaligen Studiobosses von Republic Pictures, verarbeitete Gordons Treatment zu einem Drehbuch, Albert Glasser und der Pianist Calvin Jackson spielten die Jazzmusik ein.
Es ist übrigens nicht bekannt, ob und wann der private Investor sein Geld zurückbekam, aber wir bekommen immerhin einen schön atmosphärischen Gruselfilm aus einer Zeit, als das Kino noch nicht mit Blockbustern aufgerüstet war, sondern über angenehme 75 Filmminuten unschuldig-schaurige Naivität ohne Tiefgang verbreitete – wenn auch keinen Klassiker. Wie immer ist die Aufbereitung des Films durch Anolis Entertainment beispielhaft zu nennen (Audiokommentar, Interview mit der 2011 verstorbenen Susan Gordon, Kinotrailer, Bildergalerie) und wäre eines wirklichen Klassikers durchaus würdig.
Übrigens, dem Kalender nach wird Mr. B.I.G. im September 100!)

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Tormented | USA 1960 | Regie: Bert I. Gordon | Darsteller: Richard Carlson, Susan Gordon, Lugene Sanders, Juli Reding, Joe Turkel, Lillian Adams, Gene Roth u.a.

Anbieter: : Anolis Entertainment