Westworld

Westworld

Von Stefan Preis

Mit WESTWORLD verband Michael Crichton 1973 eine spannende Handlung angesiedelt in einem Freizeit-Park, indem sich unheimliche Dinge ereignen, mit einer akzentuierten Gesellschafts- und Technologiekritik. Ironischerweise war gerade die Film-Technik wegweisend: Erstmals kam digitale Bildbearbeitung zum Einsatz. Für die pixelhafte Perspektive des „Revolverhelden“ benötigten die Computer-Ingenieure John Whitney jr. und Gary Demos damals knapp neun Monate. Die Zeit im Film beträgt zwei Minuten und 31 Sekunden. Crichton schrieb später auch die Vorlage zu JURASSIC PARK.

Auf der Insel Delos können Urlaubsgäste zwischen drei Erlebniseinrichtungen wählen, die seltsam an die Klassengesellschaften bei Marx erinnern: der römischen Antike (Sklaverei), dem mittelalterlichen Rittertum (Feudalismus) und dem Wilden Westen (Bürgertum), für letzteren entscheiden sich die Besucher Peter Martin (Richard Benjamin) und John Blane (James Brolin). Bei den Statisten des Parks handelt es sich um Menschen zum Verwechseln ähnelnde Androiden, die von den üblicherweise finanzkräftigen Gästen „verletzt“, „sexuell genutzt“ und „getötet“ werden können und später in unterirdischen Werkstätten wieder repariert werden. Eines Tages geraten die Maschinen außer Kontrolle und beginnen die Besucher anzugreifen und zu töten. Die Ingenieure des Parks stehen dem hilflos gegenüber, während Peter von dem „Revolverhelden“ (Yul Brynner), den er zuvor zweimal „erschossen“ hat, durch die verschiedenen Welten von Delos gejagt wird.

Michael Crichton hat angegeben, er sei durch die Disneyland-Attraktion „Der Fluch der Karibik“ zu WESTWORLD inspiriert worden: Er stellte sich die Frage, was würde geschehen, wenn die Piratenfiguren Amok laufen würden? Angeblich aus Furcht vor einer Klage des Disney-Konzerns soll Crichton sich entschieden haben, in seinem Freizeit-Park Revolverhelden auftreten zu lassen. Dabei sind Titel und Ort der Handlung durchaus als radikale Kritik der Gegenwart der 1970er Jahre zu verstehen: Trotz militärisch-technischer Überlegenheit können die USA den Vietnam-Krieg nicht gewinnen, was thematisch auch in zeitgenössischen Western wie CHATOS LAND (CHATO’S LAND, 1972) oder BEGRABT DIE WÖLFE IN DER SCHLUCHT (BILLY TWO HATS, 1974) aufgegriffen wird. WESTWORLD stellt auch eine auf dem Leistungsprinzip gestützte Schein-Individualität bei gleichzeitiger Technologie-Abhängigkeit radikal in Frage: Hatte Marx einst über monotone, maschinelle Prozesse in den Fabriken geschrieben, diese „verstümmeln den Arbeiter in einen Teilmenschen, entwürdigen ihn zum Anhängsel der Maschine“, sind hiervon zwischenzeitlich auch Angestellte und das Management betroffen. Crichton geht nicht so weit, den Androiden revolutionäres Bewusstsein zuzusprechen, auch wenn ein Aufstand der Maschinen suggeriert wird, ähnlich wie in dem Drama „R.U.R.“: Der Schriftsteller Karel Čapek 1920 prägte in dem Theaterstück auch die Bezeichnung „Roboter“ – das tschechische Wort „robota“ bedeutet sinngemäß Zwangs- oder Fronarbeit. Ein technischer Defekt erscheint als Begründung wahrscheinlich – ein „Computer-Virus“, wie es im Film heißt und womit dieser Begriff kreiert wurde – , dennoch erweckt der Revolverheld auch merkwürdige Sympathien beim Publikum, weil er so „menschlich“ wirkt: Yul Brynner zitiert auch ausgiebig seine Rolle des Chris aus DIE GLORREICHEN SIEBEN (THE MAGNIFICENT SEVEN, 1960). Man kann Mitleid empfinden, wenn er niedergeschossen wird, man kann mit einer heimlichen Freude sehen, wenn er zurückschießt. Die Besucher des Freizeitparks sollen das „Töten“ der Androiden als aufregenden Urlaub erleben, was aber auch als Ausdruck aufgestauter Frustration und Aggression interpretiert werden kann. Horkheimer und Adorno haben über die „Kulturindustrie“ – als deren Produkt ironischerweise auch ein Film wie WESTWORLD gelten muss – geschrieben: „Amüsement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus. Es wird von dem gesucht, der dem mechanisierten Arbeitsprozess ausweichen will, um ihm von neuem gewachsen zu sein. (…) Vergnügen heißt allemal: nicht daran denken müssen, das Leiden vergessen, noch wo es gezeigt wird. Ohnmacht liegt ihm zu Grunde.“ So austauschbar wie die Androiden erscheinen auch die Menschen, die von Maschinen getötet werden. Die Filmhandlung zeigt es nicht, aber deren Arbeitsplätze werden durch andere besetzt werden, die „Maschinerie“ wird am Laufen gehalten, was an die bitteren Worte von Horkheimer und Adorno erinnert: „Jeder ist nur noch, wodurch er jeden anderen ersetzen kann: fungibel, ein Exemplar. Er selbst, als Individuum, ist das absolut Ersetzbare, das reine Nichts.“ Ein Film wie DIE FRAUEN VON STEPFORD (THE STEPFORD WIVES) radikalisierte 1975 diesen Gedanken noch weiter.

Mit FUTUREWORLD – DAS LAND VON ÜBERMORGEN (FUTUREWORLD) folgte 1976 eine Fortsetzung, indem der Freizeit-Park wieder geöffnet wird und es zu neuen Vorfällen kommt. Der thematisch ähnliche WILLKOMMEN IN DER BLUTIGEN STADT (WELCOME TO BLOOD CITY) handelt von einer virtuellen Welt, in der für militärische Zwecke Elite-Kämpfer rekrutiert werden sollen. Jack Palance ist in der Hauptrolle als Sheriff zu sehen, in der er auffällig seine Darstellung des diabolisch lächelnden Killers Wilson aus MEIN GROSSER FREUND SHANE (SHANE) zitiert. Der mechanische Gang Brynners beeinflusste sowohl den roboterhaft wirkenden Mörder Michael Myers aus John Carpenters HALLOWEEN – DIE NACHT DES GRAUENS (HALLOWEEN) als auch den Terminator aus der gleichnamigen Film-Reihe von James Cameron. Die Serie WESTWORLD (2016-2020) schließlich beschreibt eine Identitätskrise der Androiden, die das ihnen zugefügte Leid spüren und dagegen aufbegehren.

Verwendete Literatur
Horkheimer, Max und Theodor W. Adorno (2008): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main.
Marx, Karl (1962): Das Kapital Band I. Kritik der politischen Ökonomie. Berlin.

___________________________________________________________________

Westworld, USA 1973 | Regie & Drehbuch: Michael Crichton | Kamera: Gene Polito | Musik: Fred Karlin | Darsteller: Yul Brynner, Richard Benjamin, James Brolin, Alan Oppenheimer, Majel Barrett | Laufzeit: 88 Min.