Basic Instinct
Von Michael Hille
Wenige Filmkritiker werden so verehrt wie Roger Ebert. Der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalist schrieb mehr als 300 Rezensionen im Jahr, hatte über 30 Jahre mit seinem Kollegen Gene Siskel eine eigene Fernsehsendung, bekam einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame. Als er 2013 verstarb, äußerte sich der damalige US-Präsident Barack Obama mit den Worten: „Das Kino wird ohne ihn nicht das Gleiche sein.“ Legendär ist Ebert aber auch für die Filme, die er nicht mochte: Er schimpfte auf den heute als Meisterwerk anerkannten FIGHT CLUB, hatte wenig übrig für den Action-Klassiker STIRB LANGSAM und mochte UHRWERK ORANGE kaum, eines der Meisterwerke des einflussreichen Regisseurs Stanley Kubrick. 1992 ging Ebert mit einem Film hart ins Gericht, der bereits Monate vor seiner Veröffentlichung zum Skandalfilm wurde: BASIC INSTINCT, jenem sexuell aufgeladenen Neo-Noir-Thriller von Paul Verhoeven, Hollywoods Enfant terrible.
Homosexuelle Aktivisten hetzten bereits während der Dreharbeiten gegen das Drehbuch von Joe Eszterhas, als sie erfuhren, eine bisexuelle Frau werde hier als Mörderin dargestellt. Um dem Film zu schaden, ließen sie in Zeitungen das Ende verraten. Auf den Titelseiten prangte: „Catherine Tramell hat es getan.“ In seiner Filmkritik erklärte Ebert, warum das eigentlich kein Problem sei. Zwar enthüllt erst die allerletzte Kameraeinstellung, was durch die Aktivisten bereits bekannt war, doch bereits vorher hatte der Kriminalfall des Films eine alternative Lösung angeboten. Ebert schrieb: „Wenn die letzte Aufnahme die gegenteilige Antwort gegeben hätte, wäre sie immer noch mit allem, was im Film passiert ist, konsistent gewesen. Jedes einzelne Beweisfitzelchen im gesamten Film unterstützt zwei verschiedene Schlussfolgerungen.“ Gefallen tat das dem Filmliebhaber gar nicht: „Als Ergebnis verließ ich den Film mit dem Gefühl, manipuliert worden zu sein – denn egal, wie sehr ich versuchte der Handlung zu folgen und die Dinge herauszufinden, der ganze Film spielte nur mit mir.“
Damit erfasste er Paul Verhoeven besser als die meisten seiner Zunft: Verhoeven, der holländische Exportschlager im US-Kino, war in erster Linie kein Geschichtenerzähler, sondern ein Trickster, ein Meister der Subversion. Wirklich nach Hollywood passte er nie. Seine Filme verweigerten ein moralisches Regelwerk, waren ungewöhnlich explizit. Mit seinen ersten US-Erfolgen ROBOCOP und DIE TOTALE ERINNERUNG – TOTAL RECALL hatte er sich einen Namen als Provokateur gemacht, auch mit seinem Folgewerk BASIC INSTINCT blieb er diesem Bild treu: Bereits im Vorfeld skandierte er, er wolle das erigierte Glied von Hauptdarsteller Michael Douglas in voller Pracht auf der Leinwand zeigen. Dazu kam es zwar nicht, doch schon die Eröffnungsszene hält sich in der grafischen Darstellung kaum zurück.
Einem Mann werden bei der Kopulation die Hände mit einem Seidenschal ans Bett gefesselt. Seine blonde Partnerin reitet wild auf seinem Schoß. Plötzlich nimmt sie einen Eispickel, sticht auf ihn ein, durchtrennt die Halsschlagader, durchsticht seine Nase. Verhoeven führt Sex und Gewalt kongenial zusammen, wie es in der Prüderie des Hollywood-Kinos der frühen 90er, geprägt durch die Aids-Pandemie, nur er konnte: Als tödliche Ejakulation, bei der die Blutspritzer das ganze Bettlaken und den nackten Körper der Mörderin rot einfärben. Formal wirkt BASIC INSTINCT ab der ersten Szene anrüchig, verwegen, unmoralisch. Der Plot von Eszterhas ist klassischer Film Noir: Ein Mordfall führt den Ermittler Nick Curran zur Geliebten des Toten, der vermögenden Autorin Catherine Tramell. Die hat vor einiger Zeit einen Roman verfasst, in der jemand auf genau dieselbe Weise ermordet wird, wie es nun ihrem Freund passiert ist. Will da wer Tramell den Mord anhängen oder hat Tramell das Buch geschrieben, um sich für den geplanten Mord ein Alibi zu verschaffen? Während Curran ermittelt, fühlt er sich mehr und mehr von Tramell angezogen …
Der Film Noir atmete in seiner Blütezeit von 1941 bis 1958 stets die Amoral, die Abgründigkeit, so auch hier in seiner Renaissance. Michael Douglas spielt Curran eindringlich als einen intelligenten, aber auch seinen Trieben erliegenden, labil geschwächten Polizisten, der beim Stelldichein mit der Polizeipsychologin Dr. Beth Garner mit dem Analverkehr auch dann nicht aufhört, als sie sich verbal dagegen wehrt. Die Hauptattraktion des Films ist jedoch die umwerfende Sharon Stone als bisexuelle Vielleicht-Mörderin Tramell. Nach dem überwältigenden Erfolg des Films wurde sie für kurze Zeit zum heißesten weiblichen Star im Filmgeschäft. Einer ganzen Generation brannte sich die Szene ein, in der sie bei einem Polizeiverhör die Beine übereinanderschlägt, es so kurz den Anschein macht, man könne ihre Vagina sehen.
Man mag diesen pornographischen Voyeurismus als billig empfinden, doch hier liegt die Kunst von BASIC INSTINCT: Virtuos verknüpft Verhoeven in 128 Minuten anspruchsvolles Auteur-Kino mit den schmuddeligen Groschenromanen, die einst den Film Noir prägten. Die größte Inspiration lieferte aber Alfred Hitchcock: Jahre später schwärmte Verhoeven noch davon, BASIC INSTINCT in San Francisco, der Stadt von VERTIGO gedreht zu haben, Hitchcocks Meilenstein, der regelmäßig in Ranglisten als der beste Film aller Zeiten genannt wird. Selbst Sharon Stone kann optisch als Besetzung einer „kühlen Hitchcock-Blondine“ betrachtet werden.
Die überaus delikate Kameraarbeit von Jan de Bont sorgt für eine psychologisch ungreifbare Atmosphäre. Sensationell gerät beispielsweise eine kurze Szene, in der Douglas und Stone nachts bei Regen im Auto sitzen und sich in ihren Gesichtern der Regenfall spiegelt. Die eruptive Gewalt der Mordszenen wiederum ist dem italienischen „Giallo“-Kino der 1970er entliehen, einem Genre, das aufgrund seiner misogynen und gewaltverherrlichenden Tendenz gerne der moralistischen Kritik zum Opfer fällt, eine Situation, die Verhoeven nur zu gut kennt. Jerry Goldsmith wurde von Verhoeven für die Filmmusik erwählt. Sie ist ohne Zweifel phänomenal, und selbst auch eine Hommage: 1974 komponierte Goldsmith bereits die Musik für CHINATOWN von Roman Polański, dem vermutlich einflussreichsten Neo-Noir der Geschichte. Eine Reminiszenz ist auch das Mordwerkzeug, der Eispickel, der schon 1949 im Detektivroman „Die kleine Schwester“ von Raymond Chandler auf dieselbe Weise Verwendung fand. Ein Roman, der übrigens gnadenlos als Satire auf die Traumwelten von Hollywood zu verstehen ist.
Genauso funktioniert BASIC INSTINCT als spannende Vivisektion des Hollywood-Films, als Affirmation an eine vergangene Kino-Epoche, die Verhoeven um nicht mehr als seine eigene Freizügigkeit erweitert. Sei das im visuellen Sinne zu verstehen oder in der Sprache: Curran, der schließlich mit Tramell ins Bett steigt, bezeichnet ihr Tête-à-Tête später als den „F*ck des Jahrhunderts“. Sein entsetzter Kollege Gus wirft ihm dafür vor: „Sie hat dir mit ihrer Magna-Cum-Laude-Pussy das Gehirn frittiert.“ Und Tramell stellt beim Verhör im Angesicht der schweißgebadeten Polizisten klar, dass sie mit dem Ermordeten keine Beziehung pflegte: „Ich war nicht mit ihm zusammen. Ich habe mit ihm gef*ckt.“
Was ist nun aber dran an der Kritik von Roger Ebert? Verhoeven und Eszterhas erzählen die verdorbene Geschichte von BASIC INSTINCT in eindeutiger Uneindeutigkeit. Dieses Paradoxon sieht wie folgt aus: Regelmäßig stößt der aufmerksame Zuschauer auf Momente der Filmhandlung, die zu überspitzt, zu unwahrscheinlich verlaufen, als dass sie sich am Maßstab der Realität messen lassen. Das ist dramaturgische Absicht. Tramell selbst kündigt im Film an, einen Roman basierend auf ihrer Beziehung zu Curran schreiben zu wollen. Als Curran ihr ankündigt, der Roman werde nicht mit seinem Tod, sondern mit einem gefassten Mörder enden, antwortet Tramell kühl: „Das will keiner lesen. Irgendjemand muss sterben. Weil es immer so ist.“
BASIC INSTINCT ist also ein cineastischer Kunstraum, eine Plattform für Verhoevens Fabulierkunst. Der Plot ist in zwei Richtungen auslegbar, das Ende präsentiert zwei mögliche Täterinnen. Indizien werden so platziert, dass beide Möglichkeiten denkbar wären, doch in jeder Version bleibt ein Restzweifel. In dieser Unterwanderung der konventionellen Krimi-Auflösung liegt ein feministischer Kern verborgen, den die Aktivisten damals nicht erkannten: In BASIC INSTINCT werden die Männer von Frauen bis zuletzt zum Narren gehalten, verführt, ausgenutzt. Das Feminine ist die Bedrohung, fordert männliche Machtpositionen heraus, ist diesen niedersten Instinkten aber auch weit überlegen. Die Bisexualität von Tramell ist da nur der finale Schritt, der gleichgeschlechtliche Liebesakt wird zur letzten Bastion der weiblichen Sexualität, zu welcher der lüsterne Mann nie Zutritt erhalten wird.
Und doch ist es legitim von Ebert, eine Auflösung zu fordern, wo keine sein will, sich betrogen zu fühlen, enttäuscht zu sein. Ihn interessieren die tieferen Implikationen des meisterhaften, erotischen Spiels auf der Rasierklinge nicht, er nimmt sich die Freiheit, nur von sich auszugehen, bei der professionellen Filmkritik ganz persönlich zu werden. Deshalb wurde er so geschätzt: Weil er unverblümt, elegant, aber ohne Rücksicht auf Erwartungen nur sich selbst gerecht werden wollte, selbst wenn er dabei provozierte. Weil er einer war wie Paul Verhoeven.
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Basic Instinct, USA 1992 | Regie: Paul Verhoeven | Drehbuch. Joe Eszterhas | Kamera: Jan de Bont | Musik. Jerry Goldsmith | Darsteller: Sharon Stone, Michael Douglas, George Dzundza, Jeanne Tripplehorn, Denis Arndt u.a. | Laufzeit: 128 Min.
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