Blut für Dracula
Von Guy Montag
1966 sahen sich Hammer Films einem durchaus ernstzunehmenden Problem vis-à-vis. Zwar hatte man sich mit einer Genrediversifikation (von Mystery und Psychothriller über Abenteuer bis zum Urzeitschinken war alles dabei) vom stigmatisierenden und die BBFC zum Schnauben bringenden Horrorlabel entfernt und somit breiter aufgestellt, aber während die Produktionskosten immer weiter stiegen, nahmen die Einnahmen an der Kinokasse kontinuierlich ab. Als der Garantievertrag mit den amerikanischen Financiers auslief und Warner mit einem neuen Angebot winkte, wollte Hammer die neu gewonnenen US-Vertriebspartner von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugen und schmiedeten einen ambitionierten Plan: sowohl die Kosten sollten egalisiert als auch Christopher Lee für seine legendäre Rolle als Fürst der Finsternis zurückgeholt werden. Hammer gleiste den ersten Back-to-back-Doppelpack der britischen Filmgeschichte auf und während Regieveteran John Gilling hintereinander DAS SCHWARZE REPTIL (1966) und NÄCHTE DES GRAUENS (1966) drehen durfte, verpflichtete man für BLUT FÜR DRACULA den Altmeister Terence Fisher, dem Routinier Don Sharp für RASPUTIN – DER WAHNSINNIGE MÖNCH (1966) nachfolgte, mit denselben, nur leicht umdekorierten Kulissen und großteils identischem Cast. So kam es, dass das Schloss Draculas merkwürdige Übereinstimmungen mit einem russischen Zarenpalast hatte und die Interieurs einer transsilvanischen Kaschemme sehr einer russischen Spelunke kurz vor dem Ural ähnelten.
Hatte man mit dem unbestrittenen Meisterwerk DRACULA (1958) Filmgeschichte geschrieben und versucht, durch DRACULA UND SEINE BRÄUTE (1960) neue und von Hauptdarsteller Lee unabhängige Wege zu gehen, musste der Hüne bei BLUT FÜR DRACULA wieder ins schwarzgewandete Cape steigen und fauchend und Zähne zeigend durchs Land geistern. Von der Inhaltsschwere der Geschichte gibt sich diese Fortsetzung limitiert und BLUT FÜR DRACULA ist sicherlich nicht der beste Film aus der Schmiede von Hammer Films, aber er vereint so ziemlich alle Ingredienzen, die einen ‚typischen Hammer‘ ausmachen. Eine Reisegesellschaft, die sich natürlich in den größten, anzunehmenden Schlamassel manövriert, der sinistre, seinem untoten Herren blind ergebene Diener, ein zupackender Pfarrer mit durchgeladener Büchse im Anschlag und eine abergläubische Bevölkerung, die sich mit Weihwasser und Knoblauchknollen dem Vampirismus zu erwehren versucht – von den diversen, bereits etablierten Motiven und Szenenauflösungen um den beißenden, hypnotisierenden, manisch-sexuellen Dracula einmal ganz abgesehen.
Für Christopher Lee ist BLUT FÜR DRACULA die perfekte Bühne, kann er doch in Ermangelung von jeglichem Dialog – weshalb dies so geschah, darüber entwickelten sich im Laufe der Jahrzehnte mehrere Versionen – seine schiere Präsenz ausspielen, durch Laute und stierende, blutunterlaufene Augen blanke Angst und nacktes Entsetzen verbreiten. Barbara Shelley ist schön wie selten zuvor, Andrew Keir grummelt sich – dick mit Polstern unter der Kutte ausgerüstet – Lebensweisheiten in den Bart, Francis Matthews agiert mit jener Over-the-Top-Manier, die jungen Schauspielern mitunter zu eigen ist. Terence Fisher, der souveräne Spielleiter mit hoher Liebenswürdigkeit, arrangiert alles zu bester Hammer-Kost, erzeugt jene unnachahmliche Atmosphäre, wie sie anscheinend nur in den Bray-Studios eingefangen werden konnte. Stammkomponist James Bernard evaluiert sein berühmt gewordenes und signifikant dastehendes Tritonus-Dracula-Motiv im opulenten Orchestersound der Spätromantik, verfertigt auf der Ganztonleiter mysteriöse Klangflächen, begeistert mit vorwärtspeitschenden Synkopen und einem fulminanten „Kreuz-Thema“ – von Debussy über Liszt bis Verdi arrangiert Bernard hier seine wuchtige Kenntnis der Musikgeschichte und flankiert die Abenteuer mit effektvollem Suspensescoring.
In Anbetracht der Tatsache, dass BLUT FÜR DRACULA aufgrund seiner Veröffentlichungsgeschichte über zwei legitime Fassungen verfügt, handelte Anolis folgerichtig, indem sie für die britische resp. amerikanische Fassung jeweils eine separate Blu-ray spendierte. Beide Fassungen mit deutschem und englischem Ton überzeugen durch perfekte Transfers, die das Cinemascopebild in wunderbarer Weise wiedergeben. Zur englischen Fassung gibt es jeweils Audiokommentare der Hammer-Fachleute Dr. Rolf Giesen sowie Uwe Sommerlad und Volker Kronz und als erhellendes Extra die halbstündige Dokumentation „Back to Black: The Making of Dracula: Prince of Darkness“ mit den Hammer-Kennern Marcus Hearn & Jonathan Rigby, dem Autor Mark Gatiss, dem Musikwissenschaftler David Huckvale sowie den Darstellern Barbara Shelley & Francis Matthews. In den beiden „Home Movies“-Featurettes werden kommentierte Schmalfilmaufnahmen von den Dreharbeiten präsentiert, die einen lebendigen Einblick in die Produktion des Filmes vermitteln, sowie ein halbstündiges Q&A-Panel mit Francis Matthews, der vital und selbstironisch die Atmosphäre am Set beschreibt. In einem weiteren Clip kommen die Darsteller Barbara Shelley und Andrew Keir zu Wort. Weitere Zugaben wie deutsche und britische Trailer, die deutsche Titelsequenz, verschiedene Werbeflyer und -ratschläge sowie eine umfangreiche Bildergalerie runden diese erste Blu-ray ab.
Für die US-Fassung auf der zweiten Scheibe sind sogar drei unterschiedliche Audiokommentare verfügbar: den Anfang machen die Schauspieler Christopher Lee, Barbara Shelley, Suzan Farmer und Francis Matthews, während auf einer anderen Spur der Genrekenner Troy Howarth beredt ausführt; abschließend referieren Steve Haberman und Constantine Nasr über den Film. Für Chronisten ist die britische Super-8-Fassung sowie die beiden „World of Hammer“-Kurzdokumentationen „Christopher Lee“ und „Dracula and the Undead“ von besonderem Interesse, neben weiteren Trailern und der englischen Comic-Adaption findet sich außerdem die durch Dialogbuchautor Gerd Naumann moderierte Featurette über den Synchronschauspieler Jürgen Thormann, der über seine jahrzehntelange Karriere berichtet. Einen besonderen Service bietet das Label für Sammler, reichen sie mit „Trailers from Hell: Dracula (1957) mit Joe Dante“ und den deutschen Titeln und Inserts für DRACULA doch Extras nach, die auf dem ursprünglichen Release des Originalfilms fehlten. Erschienen ist BLUT FÜR DRACULA im Mediabook in drei Covervarianten sowie außerdem in einer platz- und kostensparenden Vanilla-Edition.
Für die Mitte der poppigen ‚Swinging Sixties‘ wirkt BLUT FÜR DRACULA hoffnungslos überaltert und aus der Zeit gefallen, doch für Kinofreunde bietet BLUT FÜR DRACULA den typischen Hammer-Grusel und öffnete der Firma die Chance zur Erweiterung des Franchise. Mit DRACULAS RÜCKKEHR (1968) schritt man in eine neue Zeit, durch WIE SCHMECKT DAS BLUT VON DRACULA? (1970) schwappten die Ideen der 68er ins viktorianische England, bei DRACULA JAGT MINI MÄDCHEN (1972) gerierte man sich gar im dann schon fast wieder überkommenen Mod-Chic. All diese weiteren, hochunterhaltsamen Fortsetzungen währen ohne BLUT FÜR DRACULA undenkbar gewesen – dieses Eis ist sehr wohl auch für das Heimkino von heute noch ausgesprochen tragfähig.
___________________________________________________________________
Dracula: Prince of Darkness | GB 1966 | Regie: Terence Fisher | Darsteller: Christopher Lee, Barbara Shelley, Andrew Keir, Francis Matthews, Charles Tingwell, Thorley Walters u.a.
Anbieter: Anolis Entertainment
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.