Der Todesschrei der Hexen
Von Michael Kathe
An allem waren die Hexen schuld, diese sexualisierten Überfrauen, übersinnlichen Hellseherinnen und ursprünglich weiblichen Jungfrauen, die sich gegen den Allmachtsanspruch der katholischen Kirche auflehnten und alternative Lebensweisen suchten, die sich so gar nicht mit dem feudalistisch-christlichen Klassensystem des 16. Jahrhunderts vertrugen. So will es der Filmgott der späten Sechziger und frühen Siebziger Jahre. Kein Wunder, beginnt DER TODESSCHREI DER HEXEN in der US-Version gleich mit einem Massaker an einem heidnischen Kult, der von einer Frau geführt wird. Lord Edward Whitman (Vincent Price), Feudalherr über ein kleines Städtchen, lässt keine Zweifel an seinem Herrschaftsanspruch. «Meine Kinder … warum?» fleht die heidnische Priesterin Oona (Elisabeth Bergner) ihren toten Jüngern nach. Wir befinden uns im England des 16. Jahrhunderts, in der hohen Zeit der Hexenverfolgungen.
Nachts betet sie zu Satan und verflucht Lord Whitman. Und siehe, aus dem Dunkel taucht ein Schönling auf, als befänden wir uns in einer Hammer-Produktionen der gleichen Produktionsjahre (aber trotz ähnlichem Look: DER TODESSCHREI ist eine AIP-Produktion und als solche stellt sie dem Film auch gleich ein E.A. Poe-Zitat voran). Es folgt eine kurze, krude Gerichtsverhandlung mit einem klaren Urteil: Erst einmal die sündige Frauenbrust mit einem Brandzeichen versehen (damit beginnt die ungeschnittene britische Version), gefolgt von einem Gepeitsche und Geschleife durch die ganze Ortschaft zur Belustigung der johlenden Bevölkerung, die sich am öffentlichen Pranger noch ihrer letzten Lebensmittel entledigt. Eine andere Szenenabfolge weist die (ungeschnittene) englische Version auf, sie beginnt mit der Gerichtsverhandlung (und sie macht auch insgesamt mehr Sinn). Doch nicht nur in der unterschiedlichen Szenenabfolge zeigen sich auch die Unterschiede zwischen den Versionen, die uns die beiden Ostalgica-DVDs bescheren:
– Die US-Fassung mit der Musik von Les Baxter ist effekthascherischer, macht aus dem Film eher eine Abfolge von Einzelszenen, von denen jede dramatischer als die andere musikalisch untermalt ist. Auch wenn Baxters Musik von der Kritik meist verrissen wird, ist sie in manchen Momenten durchaus vergnüglich. Tolle spacige Sounds, gruseliges Werwolfwehklagen aus der Ferne, gespenstische Töne, die klagende Oona – der Originaltitel CRY OF THE BANSHEE wird durch Baxters Soundlabor gerechtfertigt.
– Die Musik der ungeschnittenen englischen Version (87’) von Wilfred Josephs dagegen ist märchenhafter, klassischer und gießt aus den Filmszenen eine kohärente, interessante Story. Ein netter Hexenfilm der Endsechziger, der es mit den (sagen wir mal) mittelmäßigen Hammer-Produktionen der Zeit aufnehmen kann.
Mit den beiden Ostalgica-DVDs kann man den Film aber noch ein drittes Mal schauen. Ein Schmankerl ist die zusätzliche deutsche VHS-Version (82 min., mit Baxters Musik), die ein paar skurrile Varianten zum bekannten Film aufweist. So ist zum Beispiel Oonas (An)ruf(ung) nach einem Rächer in einen Rotfilter getaucht. Jedes Land mit eigenen Versuchen, dem mäßig schrecklichen Hexenfilm ein Maximum an Grauen herauszulocken.
Natürlich befinden wir uns zur Produktionszeit des Films, Ende der Sechziger Jahre, in einem Kulturkampf und so – wie viele Hammer-Produktionen – symbolisiert auch der breit angelegte Kampf gegen die Hexen den Kampf des Macht-Establishments gegen die veränderten Normen und Lebensweisen der Hippies und der neuen Studenten- bzw. Intellektuellenklasse, die Class of ‘68. Nicht nur Oonas Sekte ist eine freiheitliche Gruppe, die sich nicht zu Untertanen machen lassen wie die Dorfgemeinschaft, auch am jungen Pärchen (das eher brav wie Studenten aussieht), das an Whitmans Festtafel gebracht wird, zeigen sich die unterschwelligen Ängste und Begierden der Mächtigen. Die sanfte, friedliebende Frau wird von den Feudalherren mit sexueller Gewalt traktiert. Nur die Ehefrauen der Feudalherren sind nicht überzeugt von der Rechtmäßigkeit des Vergehens.
«Ihr seid verflucht, wir sind alle verflucht», ahnt Lord Whitmans Frau Patricia (gespielt von der wunderbaren schwedischen Schauspielerin Essy Persson, der leider keine internationale Karriere beschieden war) – und tatsächlich zeigt Oonas Fluch längst Wirkung. In der Gestalt des gutaussehenden Reitburschen Roderick (Patrick Mower), der ein Verhältnis zu Whitmans Tochter Maureen (Hilary Heath) pflegt. Der Zuschauer ahnt längst, dass der Wolf, der das Adelshaus verunsichert und nach und nach die Mitglieder der Adelsfamilie tötet, ein Werwolf ist. Und der Werwolf ist: Roderick. Als der ein Kind vor einem tollwütigen Hund rettet, dämmert als erstem dem Priester, weshalb Roderick die große Macht über Tiere ausüben kann.
Die Ereignisse überstürzen sich, der Film entwickelt eine durchaus unterhaltsame Spannung. Lord Whitmans Sohn Sean begibt sich in eine Dorfspelunke und vergreift sich an einer jungen Frau, die Zaubermittel verkaufte. Patricia verfällt immer mehr dem Wahnsinn. In der Zwischenzeit ist auch Rodericks Geliebte Maureen ist in seinen Armen nicht mehr sicher, denn der schöne Werwolf-Stallbursche scheint von den satanischen Messen Oonas ferngesteuert. Die attraktive «Hexe», die am Anfang des Films vom Gericht mit einem «H» («for herectic») auf die Brust gebrandet wurde, wird nun im Weinkeller gefoltert und längst nicht zuletzt kommen auch Voodoopüppchen ins Spiel. Und all das führt zu einem durchaus überraschenden Schluß.
DER TODESSCHREI DER HEXEN entwickelt zwar nicht das Grauen eines knallharten Hexenfilms, doch in seiner Vielfalt der Symbole, seinem Mix mit dem Wolfsmenschen-Mythos und seinem Blick auf die kommenden Folk Horror Filme der frühen Siebziger Jahre steht ihm ein Platz in den Film-Geschichtsbüchern des Grauens zu. Vincent Price kommt leider etwas wenig zum Zug, spielt seine Rolle aber gewohnt gut. Das Ostalgica-DVD-Doppelpack bietet neben den drei Filmversionen leider nur noch ein paar Trailer. Schade ist das insofern, weil die Bedeutung des Films eine durchaus größere gewesen sein muss. Bis hin zur New Wave Band Siouxie and the Banshees, deren Bandname vom Filmtitel inspiriert war. Die Blu-ray-Ausgabe aus Ostalgicas Classic Chiller Edition bietet dagegen etwas mehr. Zu erwähnen ist hier der in dieser Edition als Bonus enthaltene Roger-Corman-Streifen DER MASSENMÖRDER VON LONDON, der allein schon den Kauf rechtfertigen dürfte.
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Cry of the Banshee, Grossbritannien 1970, Regie: Gordon Hessler, Musik: Les Baxter (US-Fassung), Wilfried Josephs (UK-Fassung), Darsteller: Vincent Price, Hilary Heath, Elisabeth Bergner, Essy Persson, Patrick Mower, Hugh Griffith u.a.
Anbieter: Ostalgica
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