Baghdad in my Shadow

Baghdad in my Shadow

Von Michael Kathe

Stellen Sie sich vor: ein Woody-Allen-Film, dem der Charme zwar abgeht, der aber eine politisch interessante Thriller-Story erzählt. BAGHDAD IN MY SHADOW des bekannten Schweizer Regisseurs Samir ist ein langsam erzählter, aber spannender Film über die Community der Exil-Iraker in London, der vorzugsweise in einem Café spielt.

Das kleine Café „Abu Nawas“ (benannt nach dem homoerotisch schreibenden Dichter des 8. Jhdt. n. Chr.) ist ein familiärer Ort aufgeklärter, kommunistischer Irak-Flüchtlinge und ihrer Verwandten und Kinder. Geführt wird die Bar von dem entspannten Koch Zeki und seiner Frau, die sich gerade damit abfinden, dass ihr Sohn Muhannad (Waseem Abbas) schwul ist. Hinter der Bar arbeitet Amal (Zahraa Ghandur), die – formell zwar noch verheiratet – mit dem Engländer Martin anbandelt. Im Café selbst sitzt der eigentliche Protagonist des Films, der Schriftsteller Taufiq (Haytham Abdulrazaq), der seinem Neffen Nassir (Shervin Alenabi) das Lesen des Korans mit einer gewissen offenen Einstellung beibringen will. Nassir ist ein junger Iraker, der sich gegen den ganzen Ex-Iraker-Klüngel stellt und sich einer extremistischen, salafistischen Gruppierung anschliesst. Taufiqs Koranlese als Kommunist, der im Café einen Weihnachtsbaum mit Hammer- und Sichel-Stern auf der Bäumchenspitze aufhängt, fruchtet wenig.

Im Bann des Salafistenpredigers betet Nassir nicht nur mit anderen Jugendlichen in der Moschee, sie zahlen auch hohe Geldsummen an terroristische Gruppierungen nach Syrien ein. Illegal, versteht sich. Als dann noch der neue irakische Kulturattaché Englands erstmals zu einer Lesung von Taufiq im kleinen Café auftaucht, bekommt der Film Dramatik. Nicht nur wegen der stechenden, blauen Augen des Kulturattachés, sondern auch, weil es sich um den Ex-Mann Amals handelt, der früher dem Geheimdienst Saddam Husseins angehörte, für den Tod vieler Irakis verantwortlich zeichnete und nicht zuletzt jetzt in London mit den Salafisten zusammenspannt.

Erzählt wird die Story als Flashback. Taufiq wird vom britischen Geheimdienst verhaftet und verhört, gibt nur zögerlich Auskunft über einen Mord unter den genannten Personen. So wird die Mordgeschichte langsam aufgerollt, mit einer gehörigen Portion exilarabischem Sentiment. Das kleine Café „Abu Nawas“ ist Dreh- und Angelpunkt der Protagonisten, ein kleines Irak inmitten Londons. Denn weder werden die Exilierten jemals wieder in den Irak zurückkehren, noch sind sie einfach so in die englische Gesellschaft integriert. In der Annäherung der Kulturen lassen sowohl der junge Homosexuelle Muhannad wie auch die wenig ältere Amal Zurückhaltung walten. Niemand soll ihre englischen Freunde kennen lernen. Ein Date findet behutsam in einer Zaha-Hadid-Ausstellung statt. Der dritte Junge, Nassir, versucht diese Annäherung nicht einmal mehr.

Gesellig sind lediglich die alten Linken in ihrem kleinen Irak. Sie denken politisch, sind aber kaum noch politisch tätig und pflegen die Kunst und Kultur ihrer Heimat – nicht im traditionellen Sinn, sondern modern. Sie helfen, dem Film den Wohlfühlfaktor und die Spannung zu verleihen. Denn – man ahnte es von Anfang an – das Glück im Café währt auch nicht ewig. BAGHDAD IN MY SHADOW zeigt den Zusammenbruch der Träume, aller Träume, der exilirakischen Gemeinschaft: Nicht einmal in einem demokratischen europäischen Land kommen sie mehr zur Ruhe, denn plötzlich werden sie auch hier von Irren aus den eigenen Reihen angegriffen. Asyl ist nicht einfach die Ruhe vor dem Diktator und dem Kriegsgebiet. Asyl heißt eben oft auch: Die Kämpfe der Heimat gehen untereinander weiter, die Vernunft ist auch in diesen Fluchtorten nicht gesichert. Und der ewige Traum von Bagdad bleibt: Der Film beginnt und endet mit einer Totalen über Bagdad.

Der Irak hat Regisseur Samir nie losgelassen. Er ist selber in Irak geboren, siedelte jedoch schon mit 6 Jahren in die Schweiz, wo er eine schöne alternative Filmkarriere hinlegte, angefangen mit dem skurrilen Experimentalfilm MORLOVE – EINE ODE FÜR HEISENBERG (1987) und dem post-punk-szenigen Film FILOU (1988) bis hin zu größeren Schweizer Produktionen wie SNOW WHITE (2005), das die wohlstandverwahrloste, drogenüberflutete Oberschichtjugend Zürichs ins Blickfeld rückte. Mit seinen Dokumentarfilmen FORGET BAGHDAD (2002) und dem als bester fremdsprachiger Film für einen Oscar nominierten IRAQI ODYSSEY (2014) beschäftigte er sich intensiv mit dem Irak. Jetzt hat er den Gestrandeten des Saddam-Regimes mit einer manchmal etwas steifen und langsamen, aber insgesamt liebevollen und durchaus spannenden Fiktion zu Leben verholfen. Unterstützt wird er dabei von ein paar hervorragenden Schauspielern: Haytham Abdulrazaq als Taufiq und Zahraa Ghandur als Amal tragen die Szenen, in denen sie auftreten. Und in Nebenrollen sieht man so hervorragende Schauspielerinnen wie Kerry Fox (INTIMACY) und – Achtung, New Wave-Fans! – Kultstars wie Hazel O’Connor (in Samirs Film als Sängerin auf der Bühne: wie vor 4 Jahrzehnten, wo sie die Hauptrolle spielte im New-Wave-Film BREAKING GLASS (1980) und mit der dystopischen New-Wave-Hymne „Eighth Day“ die Charts stürmte).

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Baghdad in my shadow | Schweiz / Deutschland / Grossbritannien 2019 | Regie: Samir | Darsteller: Haytham Abdulrazaq, Zahraa Ghandur, Waseem Abbas, Shervin Alenabi, Kae Bahar, Kerry Fox, Hazel O’Connor | Laufzeit: 105 min.