Hamburg Transit (4. Staffel, Folgen 40 – 52)
Von Christopher Klaese
Selten hat das deutsche Fernsehen die Vorabendunterhaltung mit so viel Verve eingeläutet – HAMBURG TRANSIT beginnt mit einem Titelvorspann, der noch heute mächtig Power hat. Mit seinen schnellen Schnitten, poppigen Farbverfremdungen, übereinandergelegten Bildverdreifachungen, geschichteten Invertierungseffekten, rotierenden Stadtansichten, herumsausenden Verkehrsmitteln und in Signalgelb aufzoomenden Titellettern wirkt er fast wie eine bundesdeutsche Version des HAWAII FÜNF-NULL-Openers (1968-1980). Zu Lande, zu Wasser und durch die Lüfte strömen die Menschen, Existenzen und Schicksale in „Das Tor zur Welt“, die Hafenstadt mit Herz, die Metropole mit gepflegtem Understatement. Träume und Tragik, Verbrechen und Verlieben, Rotherbaum und Reeperbahn – in Hamburg liegen die Extreme oft nur Straßenecken voneinander entfernt, ganz gleich, ob man hier wohnt oder nur auf der Durchreise ein paar Stunden Aufenthalt hat.
Mit HAMBURG TRANSIT katapultierte Gyula Trebitsch seine Firma Studio Hamburg in die knallbunten 1970er Jahre hinein. Bereits mit Hafenpolizei (1963–1966) und Polizeifunk ruft (1966–1970) hatte er erfolgreiche Krimiserien für die Vorabendschiene lanciert, denen sich HAMBURG TRANSIT als direkte Fortsetzung anschloss. Erneut entwickelte Trebitsch eine Serie, die ihren Teil zum föderalen Charakter der ARD-Sendeanstalten beitrug. Vom Haldenwanger Eck im Süden bis nach List auf Sylt im Norden sollten die Fernsehzuschauer die regionale und kulturelle Vielfalt Deutschlands in die Wohnzimmer gesendet bekommen. Dankenswerterweise zeichnete sich HAMBURG TRANSIT durch sympathische Hauptfiguren aus – die zwei ermittelnden Kommissare wurden durch Karl-Heinz Hess und Eckard Dux verkörpert, die beide aus der Vorgängerserie Polizeifunk ruft übernommen worden waren – sowie die Stringenz, möglichst viele Außenaufnahmen direkt an Originalschauplätzen zu drehen. Somit entging man der mitunter etwas drögen Studioatmosphäre und fing spürbares Flair „on location“ ein.
Auch die vierte Staffel bietet zahlreiche Gaststars, deren Aufzählung sich wie ein Who’s Who der beliebtesten Schauspieler jener Zeit liest: Katharina Brauren, Gernot Endemann, Dieter Eppler, Jan Fedder, Wera Frydtberg, Liane Hielscher, Kurt Jaggberg, Horst Janson, Anita Kupsch, Michaela May, Günter Meisner, Paul Neuhaus, Horst Michael Neutze, Kurd Pieritz, Xenia Pörtner, Ewa Strömberg oder Karl-Michael Vogler – sie alle geben sich hier ein Stelldichein. Für Fans deutscher Sychronbearbeitungen ist es zudem eine große Freude, sonst eher durch ihre Stimme bekannte Akteure wie Gerd Duwner, Mathias Einert, Gert Günther Hoffmann, Manfred Reddemann oder Andreas von der Meden in raren Auftritten vor der Kamera zu erleben.
Hinter der Kamera setzte Trebitsch indes auf Kontinuität und verpflichtete erneut Hermann Leitner, der im Alleingang die komplette Vorgängerserie Polizeifunk ruft mit 52 Folgen und die erste Staffel von HAMBURG TRANSIT inszeniert hatte. Als Kameramann kam wieder Hans Jura zum Einsatz, für den bei vereinzelten Folgen Lothar Dreher, Reiner Schäffer und Theodor Osenbrügge einsprangen. Jura hatte für DIE ENDLOSE NACHT (1963) und KENNWORT: REIHER (1964) jeweils ein Filmband in Gold erhalten und fand ebenso wie die „Einspringer“ passende Optiken und angenehme Wechsel zwischen statisch ausgewogenen Bildmontagen und kraftvoll wendigen Handkamerasequenzen. Während Harald Winklers temporeiches, signalartig-fanfarenhaftes Titelthema weiterhin in Gebrauch blieb und lediglich die „Three Crimes“-Piecen auf Bemusterungsplatten veröffentlicht wurden, wurde für die Episodenscores auch auf Librarymaterial des Chappell-Musikverlages à la Jack Arel & Pierre Dutour und bereits bestehende Schallplattenaufnahmen zurückgegriffen. So geschah es, dass neben Simon & Garfunkels „Mrs. Robinson“ etwa Peter Thomas‘ Polydor-Version des Hits „Georgy Girl“ erklang, sich Karl Böhm mit Strauss‘ „Rosenkavalier“ entlang Bert Kaempferts „Red Roses For A Blue Lady“ einreite.
Auch bei den Geschichten standen für HAMBURG TRANSIT hervorragende Autoren parat, die sich an spannungsreichen Themen wie Bodyguardtätigkeit, Erpressung, Versicherungsbetrug, Patentspionage, Einbruchvergehen, Postraub, Trampertum, Kunstdiebstahl, Beweismittelvernichtung, Bandenkriminalität, Investmentspekulationen und Schwarzarbeit abarbeiteten. Irene Rodrian, die die meisten Drehbücher zur Serie schrieb, war eine der ersten deutschen Krimiautorinnen und erlangte damals über den Rowohlt-Verlag große Bekanntheit. Jürgen Knop, der Roger Fritz‘ Meisterstück MÄDCHEN MIT GEWALT (1969) mitgescriptet hatte, lieferte ebenso Geschichten wie Friedhelm Werremeier, dessen Feder mit Trimmel der erste TATORT-Kommissar (1970 – 1982) entstammte. Grimme-Preisträger Herbert Lichtenfeld schließlich hatte mit Finke gerade einen populären TATORT-Kommissar (1971-1978) erfunden und verfasste später familientaugliche Seriendauerbrenner wie DIE SCHWARZWALDKLINIK (1984-1988) oder DER LANDARZT (1986-1997).
HAMBURG TRANSIT ist für Nostalgiker, Kenner, Liebhaber und Interessierte eine wahre Fundgrube und Gelegenheit, die damaligen Szenerien mit den heutigen Gegebenheiten abzugleichen und dabei festzustellen, wieviel sich doch in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Außerdem sind die kurzweiligen Episoden hervorragendes Zeit- und Lokalkolorit in hochdosierter Form. Sie stammen aus einer Welt, in der sich Ernie aus der SESAMSTRASSE und Barney Geröllheimer ein Büro im Berliner Europa-Center teilten, die „Wappen von Hamburg“ noch den täglichen Helgoland-Dienst absolvierte, man völlig selbstverständlich mit Tonbandmaschinen hantierte und der spätere Volksschauspieler Jan Fedder die Haare schulterlang trug.
Nachdem die vor einigen Jahren erschienene, ursprüngliche Auflage nur noch zu heftigen Sammlerpreisen den glücklichen Besitzer wechselt, hat dankenswerterweise Pidax vor einiger Zeit HAMBURG TRANSIT im platzsparenden Format und mit nutzerfreundlichem Wendecover neu veröffentlicht. Auf sieben DVDs sind alle 52 Folgen der Serie untergebracht, wobei die Qualität der auf Film im Vollbildformat gedrehten Episoden als durchgängig gut bezeichnet werden kann und in farbenfroher Pracht, frei von großen Unsauberkeiten zu genießen ist. Der deutsche Ton in klarem Mono garantiert über 1200 Minuten spannende, abwechslungsreiche und höchst unterhaltsame Kriminalspannung von der Waterkant. Sie entführt einen in die große, weite Welt im Kleinen, in den Szenekiez der Freien und Hansestadt Hamburg – in den wohligen und stets charmant reizvollen Trubel einer Zeit, die unsere mittlerweile gnädig betrachtete und mit etwas goldener Patina versehene, eigene Vergangenheit ist. Ahoi!
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Hamburg Transit (4. Staffel) | D 1973/1974 | Regie: Hermann Leitner | Darsteller: Karl-Heinz Hess, Eckart Dux, Anita Kupsch, Horst Janson, Jan Fedder, Michaela May u.a.
Anbieter: Pidax
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