Der Mann mit den Röntgenaugen

Der Mann mit den Röntgenaugen

Von Gerd Naumann

Die Produzentenkarriere von Roger Corman ist reich an verrückten, außergewöhnlichen, bisweilen auch „schundigen“ Filmwerken. Der Name Corman wurde so zur Marke für günstig produzierte B-Filme, die zur Unterhaltung des Publikums in Autokinos dienten und später durch Fernsehen oder Video neue Anhänger gewinnen konnten. Leider verstellen diese Filme oftmals den unbefangenen Blick auf den engagierten Filmemacher Corman, der in den 1960er Jahren einige der bedeutendsten Werke des phantastischen Films schuf. Während die schauerlich-unheimlichen Poe-Verfilmungen, bis auf eine Ausnahme mit Vincent Price in der Titelrolle besetzt, noch einem größeren Publikum geläufig sind, ist das Science-Fiction-Werk X: THE MAN WITH THE X-RAY EYES bis heute ein Geheimtipp geblieben. Seine deutsche Uraufführung erlebte der 1963 entstandene Film erst 1979 als Fernsehpremiere in der ARD. Ebenso wie in Cormans Poe-Adaption THE PREMATURE BURIAL (LEBENDIG BEGRABEN, 1962) übernahm der ehemalige Paramount-Star Ray Milland die Hauptrolle. Dass sich die Wege Cormans und Millands einmal kreuzen mussten, lag nahe. So hatte Milland bereits 1944 mit seiner Hauptrolle in THE UNINVITED (DER UNHEIMLICHE GAST) einen denkwürdigen Auftritt in einem Klassiker des phantastischen Kinos.

RÖNTGEN-CoverIn X: THE MAN WITH THE X-RAY EYES übernahm Milland die Rolle des Wissenschaftlers Dr. James Xavier, der ein Serum entwickelt hat, mit dem die Sehkraft um ein Vielfaches potenziert werden kann. Nachdem er auf sich allein gestellt und ohne finanzielle Unterstützung weiterarbeiten muss, unternimmt er einen Selbstversuch. Als er sich das Serum in die Augen tröpfelt, entwickelt er den titelgebenden „Röntgen-Blick“ und nimmt seine Umgebung buchstäblich transparent wahr. Von den Erfolgen seiner Forschungen berauscht, kommt es zum Streit mit seinem Weggefährten Dr. Sam Brant, der dem Serum mittlerweile mit großem Argwohn gegenüber steht. Nach einer Auseinandersetzung mit tödlichem Ausgang ist Xavier nun auf der Flucht. Vor allem aber ist er nun erpressbar…

RÖNTGEN-01Wer bei einer Regiearbeit Cormans die visuell überbordenden Poe-Adaptionen im Hinterkopf hat, wird hier mit einer gänzlich anderen, aber ebenso durchdachten Bildgestaltung überrascht. Prägten die Poe-Filme wahlweise grelle Primärfarben oder erdene Töne, so wirken die Bilder hier zunächst nüchterner, um möglichst realitätsgetreue Abbildungen der Wirklichkeit bemüht. Umso größer ist dann auch der ästhetische Schock, wenn wir im wahrsten Sinne des Wortes Augenzeuge und Blickkomplize von Dr. Xaviers durchleuchtenden Streifzügen werden. Hier setzt der Film frühzeitig humorvolle Akzente, die im Laufe der Handlung jedoch zunehmend weniger werden. Aus Dr. Xavier wird ein Ausgestoßener, ein Geächteter, der in seiner Getriebenheit nicht von ungefähr an die Figur des Johnny McQueen in Carol Reeds ODD MAN OUT (1947, AUSGESTOSSEN) erinnert. In dem Maße, in dem wir dem Untergang des glänzend spielenden Ray Milland folgen, wird auch die Bildgestaltung exzentrischer, ruheloser. Das Filmende, so viel sei verraten, hat bis heute nichts von seiner Wirkung verloren, ist immer noch ein Schlag in die Magengrube. X: THE MAN WITH THE X-RAY EYES bleibt nicht nur ein immens unterhaltsamer Science-Fiction-Film, sondern auch eine nach wie vor aktuelle Auseinandersetzung mit der ethischen Dimension wissenschaftlichen Handelns und der moralischen Verantwortlichkeit des Wissenschaftsbetriebs.

RÖNTGEN-02Die vor einiger Zeit bei Anolis in der Reihe „Galerie des Grauens“ erschienene und mittlerweile vergriffene DVD bot in Deutschland erstmals die Gelegenheit, den Film auf einem Heimmedium zu erwerben. Umso schöner ist es, dass nun auch eine gelungene HD-Abtastung existiert, die dankenswerterweise ebenfalls von Anolis veröffentlich wurde. Verfügte die DVD noch über Extras wie einen Audiokommentar von Roger Corman oder dem US-Kinoprolog, ist das Bonusmaterial auf der Blu-ray etwas spärlicher ausgefallen. Hier finden sich neben einer Bildergalerie und dem Werbeflyer diverse Trailer. Der Film aber wurde bislang noch nie in einer solchen Pracht veröffentlicht, insofern ist die Blu-ray eine echte Bereicherung für jede Filmsammlung.

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X: The Man with the X-Ray Eyes, USA 1963, R: Roger Corman, D: Ray Milland, Diana Van der Vlis, John Hoyt, Harold J. Stone u.a.

Anbieter: Anolis Entertainment