1922

1922

Von Oliver Schäfer

Nebraska, 1922: Goldene Sonnenaufgänge, endlos blauer Himmel und sich ebenso endlos ausdehnende Maisfelder. Der Farmer Wilfred James (Thomas Jane) und seine Frau Arlette (Molly Parker) leben mit ihrem 14jährigen Sohn Henry (Dylan Schmid) auf einer kleinen Farm, deren Ertrag zwar keinen großen Luxus ermöglicht, zum Leben aber völlig ausreicht. Arlette hat jedoch genug vom eintönigen Landleben. Sie möchte in die Stadt ziehen und dort ein Geschäft eröffnen. Das nötige Kapital will sie durch den Verkauf ihres geerbten Farmlandes aufbringen. Wilfred kann diesem Plan nichts abgewinnen, kann seinen Frau jedoch nicht davon abbringen. Also fasst er einen mörderischen Plan und hetzt seinen in die Nachbarstochter verliebten Sohn gegen seine Frau auf. Die Aussicht, seine Freundin und die Farm verlassen zu müssen, überzeugt Henry schließlich davon, dass die von Wilf geplante Ermordung Arlettes die einzige Lösung ist. Obwohl die Tat unentdeckt bleibt und Wilf sich gegenüber dem Sheriff durch eine überzeugende Geschichte von anfänglichen Verdächtigungen befreien kann, vergiftet die Tat schleichend das Leben von Vater und Sohn.

1922_PosterAuch wenn das unter den Bodendielen vor sich hin schlagende Herz hier von in den Wänden kratzenden Ratten ersetzt wird, werden beim Zuschauen Erinnerungen an Poes „Das verräterische Herz“ aufkommen. Trotz einiger gruseliger Szenen hat der Australier Zak Hilditch (THESE FINAL HOURS) aus Kings Novelle (enthalten in der Novellensammlung „Zwischen Nacht und Dunkel“) keinen Horrorfilm gemacht, sondern ein stilvolles und düsteres Drama um Schuld und Sühne, Gewissen und Konsequenzen, in dessen Verlauf Wilf und Sohn Henry auf unterschiedliche Art von ihrer Schuld eingeholt werden.

1922_4Dabei gelingt Hilditch, was viele Verfilmungen vermissen lassen, nämlich die Stärken von Kings Prosa – Charakterzeichnung und eine Atmosphäre drohenden Unheils – auch in die Filmversion zu transferieren. Auch der für King typische düstere Humor blitzt bisweilen auf, insbesondere als eine Kuh quasi als Versteck für Arlettes Leiche herhalten muss. Zudem hat Hilditch offensichtlich ein Talent zur Schauspielerführung. Nach Frank Darabonts DER NEBEL und Lawrence Kasdans DREAMCATCHER tritt Thomas Jane zum dritten Mal in einer King-Verfilmung auf. Mit wenigen, meist durch zusammengepresste Zähne genuschelten Worten und subtilem Minenspiel brilliert Jane hier in einer seiner besten Rollen der letzten Jahre. Seine Darstellung und die begleitenden Voice Over Monologe sorgen dafür, dass man als Zuschauer nie vollständig die Sympathie für ihn verliert, ungeachtet der grausamen Ermordung seiner Frau. Molly Parker, die durch prägnante Rollen in praktisch jeder namhaften US-Serie (DEADWOOD, DEXTER, HOUSE OF CARDS) bekannt ist, trifft hier den richtigen Ton zwischen Verbitterung und Entschlossenheit in ihrem Plan für ihr weiteres Leben. Newcomer Dylan Schmid (HORNS) macht ebenfalls eine gute Figur als zum Mord verführter Sohn, der im Verlauf des Films seinen eigenen Weg ins Verderben findet.

1922_3Ben Richardsons (BEASTS OF THE SOUTHERN WILD) Bildgestaltung erinnert an Terrence Malicks DAYS OF HEAVEN, so dass man sich statt des heimischen Fernsehers zwischendurch schon mal eine Kinoleinwand wünscht, während Mike Pattons (THE PLACE BEYOND THE PINES) minimalistischer Score für die stimmungsvolle Untermalung sorgt.

Auch wenn manchem das Tempo zu gemächlich vorkommen mag und der Film seine Geschichte auch in 90-95 Minuten sehr gut hätte erzählen können, so hat Netflix hier nach DAS SPIEL – GERALD´S GAME doch eine weitere gelungene King-Adaption produziert. Auf diesem Level darf es von mir aus gern weitergehen.

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1922, USA 2017 | Regie: Zak Hilditch | Drehbuch: Zak Hilditch nach der Novelle von Stephen King | Musik: Mike Patton | Kamera: Ben Richardson | Schnitt: Merlin Eden | Produktion: Ross M. Dinerstein | Mit: Thomas Jane, Molly Parker, Dylan Schmid, Kaitlyn Bernard, Neal McDonough, Brian D’Arcy James, Tanya Champoux | Laufzeit: 102 Min.