Fango Bollente - Die grausamen Drei

Fango Bollente – Die grausamen Drei

Von Christopher Klaese

Im Grunde hätte es einem Regisseur mühelos reichen können, wenn er sich mit BETRACHTEN WIR DIE ANGELEGENHEIT ALS ABGESCHLOSSEN (1973) in die Annalen der Filmgeschichte eingetragen hätte. Ein Film wie eine Predigt, eine Oblate, an der sich die ‚feine Gesellschaft‘ schon leicht verschlucken konnte. Doch Vittorio Salerno, soviel mehr als nur der Bruder des berühmten Schauspielers, ließ es nicht dabei bewenden und schickte zwei Jahre später, frei finanziert und mit schwer naturalistischen Anstrich, das wahrlich letzte Abendmahl auf die Reise – und für diesen Trip besteht Anschnallpflicht.

fango-bollente_PosterAls Ovidio (Joe Dallesandro), seines Zeichens Datenverarbeiter in einem Computerzentrum und mit der karrieresüchtigen Alba (Martine Brochard) verheiratet, einem Mäuseexperiment beiwohnt – in dessen Verlauf die Tiere, einander ihren Lebensraum streitig machend, sich gegenseitig umbringen – legt sich in seinem Kopf ein imaginärer Schalter um: diese Gesellschaft gehört verschwunden. Gemeinsam mit seinen Freunden Giacomo (Gianfranco De Grassi) und Peppe (Guido De Carli) fallen sukzessive die Hemmungen gegenüber den Mitmenschen. Ohne Rücksicht auf Verluste schlagen die drei eine Schneise der Verwüstung, von Gewalt, Exzess und Tod. Die Polizei glaubt an einen politischen Hintergrund, doch der listige Kommissar Santagà (Enrico Maria Salerno) ahnt, dass er es hier mit einem ganz anderen Kaliber zu tun hat: dem Menschen an sich, jenem Raubtier, dass schlimmer sein kann als jede Kreatur. Die Jagd auf das ‚Trio Infernale’ ist somit eröffnet.

fango-bollente4Die ‚bleierne Zeit‘ im Italien der 1970er Jahre – geprägt von Misstrauen in den Staatsapparat, Terrorakten von rechts wie links und einer zunehmenden Einebnung der Menschlichkeit – bescherte unseren Nachbarn so einige Spielarten des Genrefilmes, mit denen man versuchte im politisch aufgeheizten Klima die aktuellen Ereignisse zu spiegeln. Vittorio Salernos DIE GRAUSAMEN DREI dürfte wohl der direkteste und verbindlichste Zugang zu dieser Zeit sein, handelt er doch die stetige Angst, die empathiefreie Gesellschaft und die allgemeine Oberflächlichkeit in einer Schärfe ab, wie man sie selten gesehen haben dürfte. Nach dem römischen Prinzip ‚panem et circenses‘ hält Salerno den Menschen in Turin – exemplarisch für die Bevölkerung eines Landes, eines Kontinents, vielleicht sogar der ganzen Welt – den Spiegel aus Zelluloid vor.

Dass sich kurz darauf mehrere Filmemacher auf verschiedene Art bei ihm bedienten – entweder den publikumswirksamen Aspekt hervorhebend wie COME CANI ARRABBIATI (1976) oder den dokumentarisch-aufklärerischen Weg einschlagend wie SAN BABILA ORE 20: UN DELITTO INUTILE (1976) – dürfte Salerno mit einem gewissen Stolz erfüllt haben. Ganz im Gegensatz zu den verhassten Vergleichen mit Kubricks UHRWERK ORANGE (1972), die durch die italienische Journaille zur Premiere von DIE GRAUSAMEN DREI allenthalben gezogen wurden. Denn Salerno geht nicht Kubricks Weg des konterkarierenden Wahnwitzes, er gibt dem Zuschauer keine Möglichkeit der kognitiven Trennung vom Geschehen – er lässt das Leben so brutal, so echt, so ungeschönt wie es ist. Keine Fisimatenten, alttestamentarischer Gestus.

fango-bollente6Auf wie vielen Ebenen der Film funktioniert – ob als Zeitstück oder temporeicher Gangsterfilm, Gesellschaftskritik oder sleaziger Dauerbrenner – zeigt sich nicht zuletzt darin, wie wenig der Streifen von seiner grundlegenden Aktualität eingebüßt hat. Mögen die Haare heute kürzer, die Computer kleiner und die Wohnungen grauer sein – an den Menschen die sie tragen, bedienen, bewohnen hat sich nicht viel geändert; und selbst wenn, dann eher zum Negativen. Welchen Drive der Film besitzt, zeigt sich hörbar auch bei seinem Soundtrack. Im Grunde aus zwei Haupthemen bestehend, verfertigte Franco Campanino testosterongeschwängerte Rockbeats mit Power und Verve, zu denen sich Pop-Art-Ikone Joe Dallesandro und seine Kumpanen durch den kochenden Schlamm schlängelten. Ebenfalls des Regisseurs legendärer Bruder Enrico Maria Salerno, der mit seinem Portrait des raubeinigen Kommissars der langen Liste von Galaauftritten im Genrekino eine weitere Glanzleistung hinzufügte.

Die Präsentation des Streifens ist – wie vom Label gewohnt – absolut erstklassig und man muss Camera Obscura an dieser Stelle erneut Dank aussprechen; dafür, dass sie vergessene Perlen des italienischen Genrekinos in heute bestmöglicher Form zugänglich machen und für die Nachwelt konservieren. Der Transfer zeigt sich in Bestform und lässt keine Wünsche offen. Die italienische Sprachfassung kann, in Ermangelung eines deutschen Verleihs, mit deutschen oder englischen Untertiteln genossen werden. Unterhaltsam sind der informativ-launische Audiokommentar der beiden Genrekenner Christian Kessler und Pelle Felsch sowie die Featurette „The Savage One“ mit Hauptdarsteller Joe Dallesandro, der in ehrlicher Art seine Karriere Revue passieren lässt. Die Regisseur Vittorio Salerno gewidmete Featurette „Rat Eat Rat“, der kurze Zeit nach diesem Interview verstarb, präsentiert ihn sowie die Darstellerin Martine Brochard, die beide von den Umständen der Filmentstehung und dem damaligen Klima innerhalb der italienischen Gesellschaft berichten. Ein abrundender Bookletessay vom nach langer Zeit wieder einmal in dieser Form über das Genrekino schreibenden Robert Zion beschließt die flankierenden Materialien.

fango-bollente5Wer dachte, DIE WILDE MEUTE (1975) wäre für Dallesandro-Fans schon die Meisterklasse, der sollte sich DIE GRAUSAMEN DREI ansehen; er wird nicht enttäuscht werden. Überhaupt jeder Italo-Fan, jeder Genrefreund, jeder Filminteressierte, jeder Politikwissenschaftler und jeder Soziologe – im Grunde sollten alle Menschen DIE GRAUSAMEN DREI gesehen haben. Denn Meisterwerke muss man kennen und bewahren – und aus einem Film, der mittlerweile über vierzig Jahre auf dem Buckel hat, für das Heute lernen zu können, ist sicher ein mehr als angemessenes Prädikat, das man Vittorio Salerno nachrufen kann.

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Fango Bollente, Italien 1975, R: Vittorio Salerno, D: Joe Dallesandro, Enrico Maria Salerno, Martine Brochard, Gianfranco De Grassi, Guido De Carli, Carmen Scarpitta u.a.

Anbieter: Camera Obscura