Der Fluch von Siniestro

Der Fluch von Siniestro

Von Gerd Naumann

Nachdem Terence Fisher für Hammer dem Horrorgenre mit Verfilmungen von FRANKENSTEIN (1957) und DRACULA (1958) neue Impulse gab, wollte das Studio eine weitere mythologische Horrorgestalt wieder zum Leben erwecken. Die Gelegenheit ergab sich, als Hammer ein Filmprojekt über die spanische Inquisition fallen ließ, dafür aber bereits Szenenbauten in Auftrag gegeben hatte. Die Produktion um Anthony Hinds und Anthony Nelson Keys entschied, anstelle des aufgegebenen Projektes den Roman „The Werewolf of Paris“ von Guy Endore zu verfilmen. Damit die vorhandenen Bauten genutzt werden konnten, verlegte man die Handlung kurzerhand in das Spanien des 18. Jahrhunderts. Bereits 1935 hatte Universal den Roman als WEREWOLF OF LONDON durch Stuart Walker verfilmen lassen, jedoch ist Terence Fishers Adaption DER FLUCH VON SINIESTRO (1961), im Original THE CURSE OF THE WEREWOLF, weitaus werkgetreuer. Zur Entstehungszeit hatte das Projekt immense Probleme mit der britischen Filmzensur, weshalb über die ursprüngliche Schnittfassung nunmehr gemutmaßt werden darf. Als anstößig wurden nicht nur die Beziehungen und Handlungsweisen verschiedener Figuren kritisiert, sondern auch blutige Effekte oder gar Auftritte des Werwolfs selbst in Frage gestellt. Und so ist der Film auch zensurhistorisch von Belang. Einmal ist er die gängige und bekannte Verleihfassung, wie diese seit dem Kinoeinsatz im Umlauf ist, und einmal ist er die explizitere Version, deren Veröffentlichung durch die Intervention der britischen BBFC verhindert wurde. Solcherart Zensureingriffe waren gerade bei frühen Filmen der Hammer-Studios keine Seltenheit, und so steht die nunmehr bekannte Fassung exemplarisch für ein versunkenes Kapitel britischer Sittengeschichte.

der.fluch.von.siniestro.1961.coverDie Erzählstruktur gliedert sich in vier Handlungsstränge. Das erste Viertel des Films befasst sich mit der Leidensgeschichte eines Bettlers, der auf das Schloss des sadistischen Marques Siniestro gerät. Dieser feiert gerade Hochzeit und demütigt den Bettler in Anwesenheit der Gäste, bis er ihn in sein Verlies sperren lässt. Dort wird der Bettler vergessen und verlebt einsame Jahre im Kerker, bis auf den Kerkermeister und seine stumme Tochter hat er keinen Kontakt zu menschlichen Wesen. Die Jahre in stumpfer Einsamkeit gehen am Bettler nicht spurlos vorüber, er verkommt und verroht, wird zu einer Bestie Mensch. Als auch die nunmehr erwachsene Tochter des Kerkermeisters zu ihm in die Zelle gesperrt wird, vergeht er sich an ihr. Der zweite Handlungsstrang umfasst die Flucht des Mädchens aus der Zelle, das schließlich erschöpft zusammenbricht, von Don Alfredo Corledo gefunden und in sein Heim gebracht wird. Dort wird sie gepflegt und bringt einen Jungen zur Welt, der das Ergebnis der unseligen Verbindung mit dem verwilderten Gefangenen ist. Auch wenn die Haushilfe des Dons düstere Vorahnungen vom Schicksal des Neugeborenen hat, so wischt der Don die in seinen Augen abergläubischen Bedenken beiseite. Nunmehr behandelt der dritte Handlungsstrang das Heranwachsen des Leon genannten Jungen, der im Knabenalter beginnt, sich seiner Werwolfskrankheit bewusst zu werden. Als junger Erwachsener verlässt er das gut behütetete Elterhaus, um sich eine Arbeit zu suchen und die Liebe zu finden. Der vierte Handlungsstrang umfasst die genretypische dramatische Zuspitzung und die Bekämpfung innerer wie äußerer Dämonen. Die Bestie in Leon bricht sich Bahn…

Fishers DER FLUCH VON SINIESTRO schlägt eine filmhistorische Brücke zwischen den Topoi des Universal-Monsterfilms und pluralistischeren Ansichten einer sich abzeichnenden liberalen Öffentlichkeit. Ging es bei der Werwolfvariante von Universal um den Leidensweg eines Mannes gehobeneren Standes, der durch den Kontakt mit dem Bösen infiziert wird und sich nunmehr mit den Schattenwesen und einer Existenz in der Dunkelheit arrangieren muss, so ist Hammers Werwolfentwurf in gewisser Hinsicht eine klassenkämpferische Interpretation. Die Abstammung des Werwolfs ist weder adelig noch privilegiert, er ist das Kind einer Vereinigung durch Gewalt. Dass der junge Leon in die Obhut des wohlhabenden Don Alfredo Corledo gerät, ist mehr einem Zufall geschuldet. Den Keim des Bösen, hiernach die proletarische Herkunft, kann Leon aber zu keiner Zeit verbergen. Da ist zum einen sein animalisches Äußeres, zum anderen sucht er sich, als er das Haus des Adoptivvaters verlässt, eine bodenständige Arbeit und verschwendet keinen Gedanken daran, ein Studium aufzunehmen. Die liebevolle Beziehung zwischen Don Corledo und seinem Adoptivsohn ist ein interessanter Handlungsstrang, da der Don alle Ständebedenken ignorierend für das Kind und den späteren Wolfsmann eintritt. Wie junge Männer des Öfteren die Zuneigung ihres Vaters zurückweisen, so scheint sich auch Leon durch die Nestflucht einen eigenen Weg ins Leben suchen zu wollen. Und somit ist Hammers erster und leider einziger Werwolffilm nicht nur eine kluge Reflexion über gesellschaftliche Klassenunterschiede und die Überwindung derselben, sondern auch ein Film über das Erwachsenwerden und die Bändigung adoleszenter Dämonen, Sorgen und Ängste. Die Verwandlung des Jungen in den Werwolf – was für eine märchenhafte Metapher für das Erwachsenwerden.

DER FLUCH VON SINIESTRO wurde vor einigen Jahren bereits von Koch Media auf DVD aufgelegt, mit der nun erschienenen Blu-ray ist Anolis aber die bislang mit Abstand beste Veröffentlichung im deutschsprachigen Raum gelungen. Die Bildqualität ist als hervorragend zu bezeichnen, das Zusatzmaterial ist umfangreich und gehaltvoll. Neben dem deutschen und dem englischen Trailer finden sich Bildergalerien, der alte Verleihratschlag oder ein Filmcomic. Hervorzuheben ist auch das Featurette MAKING OF „THE CURSE OF THE WEREWOLF“, in dem zahlreiche Zeitzeugen, mal ernsthaft und mal launisch, über die Entstehung des Films berichten. Neben den Schauspielern kommen ebenfalls Szenenbildner und Requisitenbauer zu Wort. Weitere Featurettes sowie ein Audiokommentar von Rolf Giesen und Volker Lange runden diese hochwertige Edition ab. Wie immer in der neuen Hammer-Reihe von Anolis ist auch dieser Film in zwei verschiedenen Mediabooks, denen jeweils ein umfangreichreiches Booklet beiliegt, und als Standardedition erhältlich.

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The Curse of the Werewolf, Großbritannien 1961, Regie: Terence Fisher, Mit: Oliver Reed, Clifford Evans, Yvonne Romain, Anthony Dawson, Catherine Feller, Richard Wordsworth, u.a.

Anbieter: Anolis Entertainment