Aus dem Archiv: Roland Klicks Exile on Mainstream

Aus dem Archiv: Roland Klicks Exile on Mainstream

Von Andreas Busche

Reden wir nicht über über DEN „Deutschen Film“. Auch Roland Klick würde das nicht wollen.

Das Thema ist bei ihm lange durch. Obwohl er Grund genug hätte, an dem Unrecht noch Zeit seines Lebens zu knabbern und sich in Selbstmitleid und Haßtiraden zu vergraben. Er hatte immer nur das Beste gewollt, für sich und den Zuschauer und eben jenen o.g. deutschen Film, es aber letztlich nie allen Recht machen können. Jedes neue Filmprojekt wurde zu einem erneuten Hindernislauf durch die Wirren der deutschen Filmförderung, inkompetenter Produzenten-Stäbe und des ungeliebten Feuilletons. In den 60ern/70ern hatte speziell die genußfeindliche Linke, die den Jungen Deutschen Film für sich annektiert hatte, Klick gefressen und jeden seiner Filme blindwütig in der Luft zerrissen.

„Was ich an der ganzen linken Bewegung, wenn sie überhaupt noch existiert, bis heute falsch finde, ist diese Sinnesfeindlichkeit. Wenn ich nur an die ganzen linken Käseblätter von damals denke, die haben es alle nicht verstanden, die Leute mit ihrer wahrscheinlich sogar richtigen Haltung zu begeistern, indem sie einfach sinnlich sind. Und diese Sinnesfeindlichkeit hat sich natürlich auch im Jungen Deutschen Film ausgedrückt. Wenn die Filme sinnlich sind, gehen die Leute auch rein, und dann kommt Geld in die Kasse. Und die sagen dazu:“Ah, das ist kommerziell!“ Gerade ein Film, der den Massen was erzählen will, muß die Massen doch auch erreichen. Und das ist der Widerspruch, der sich bis heute nicht gelöst hat. Die Leute sind alle in der Theorie erstarrt. Das war eins der ganz großen Makel der linken Bewegung.“

Wundert es einen da noch, daß der Deutsche in der restlichen Welt als steif und humorlos gilt, wenn jahrzehntelang Figuren wie Fassbinder, Schlöndorff und Wenders die einzigen filmischen Exportgüter geblieben sind? Von den 90ern ganz zu schweigen: Außer Tykwer und Karmakar hat es da nichts gegeben, zu wenig, um nachhaltig identitätsstiftend zu wirken.

Vor 30 Jahren stand Roland Klick vor einem ganz ähnlichen Dilemma. Schon mit seiner ersten größeren Produktion BÜBCHEN (1968) eilte ihm der Ruf eines Wunderknaben, der neuen deutschen Hoffnung, voraus (und seitdem immer wieder). Ende der 60er stand der Junge Deutsche Film in seiner vollen, muffigen Blüte, die filmischen Gegenwartsreflektionen entsprangen der Realität verbiesterter, aufklärerischer Intellektueller, die sich die ganzen Traumata um ihre Elterngeneration in zahllosen, unglaublich zähen Selbtreinigungsprozessen immer wieder und wieder selbst austrieben: Fassbinders Theater-Allüren (wobei man ihm noch am wenigsten vorwerfen kann), Wenders prätentiöse „Dichter und Denker“-Manierismen oder Kluges keimfreie, klinisch tote,“neue“ Filmsprache. (Klicks praktischer Gegenentwurf der absoluten „Wahrheit“ kam besonders in SUPERMARKT (1973) zum Tragen- und von links wie ein Bumerang zurück) Der ganze Pulk Kulturschaffender, -vermittler gab Standing Ovations oder hing ihnen wie ein Klotz am Arsch (dort, wo es Fassbinder am liebsten hatte).

„Historisch betrachtet, war der Film der 50er Jahre eine Art Publikumsfilm, er hat sich jedenfalls so verstanden, und diese Art von Spekulation aufs Publikum, mit Heimatfilmen z. B., hatte zu Recht oder zu Unrecht, z. T. sogar zu Unrecht, keinen guten Ruf. Und der Junge Deutsche Film war angetreten, jetzt einen sogenannten engagierten Film zu machen. Und dieses Engagement drückte sich hauptsächlich in sehr viel kopflastiger Argumentation aus. Der Junge Deutsche Film hatte Film nicht wirklich als Film behandelt, sondern als Medium eingesetzt, um gewisse politische Thesen zu vermitteln- und zwar eigentlich eher verbal als filmisch. Und ich – ich selbst hab das Oberhausener Manifest ja noch nicht mitgemacht, ich war zu der Zeit noch im Off – hab so für mich einfach Lust gehabt, Filme zu machen. Und die waren aus Versehen klassisch! (lacht) Das führte aber dazu, daß ich in der Wahrnehmung dieser dem Jungen Deutschen Film gewogenen Filmpresse plötzlich sozusagen als ein Störenfried empfunden wurde, der die alte Form, die man glücklicherweise gerade abgeschafft hatte, auf eine neue Weise wieder ins Spiel brachte. Und deswegen ist mir so ein Filmkunst-Status, der damals produziert wurde – ich bin der Meinung, daß vieles davon nur Schein-Kunst war, einfach nicht zugesprochen worden. Also wurde ich eher als „Actionfilmer“ oder sowas in die Ecke gestellt.“

Zu der Zeit sind diese Regisseure ihre besten Hauptdarsteller gewesen, archetypisch für den deutschen Autorenfilm, der in seinen schlimmsten Momenten die übelsten Narzisten vor (und hinter) der Kamera sich verwirklichen ließ, ohne in den allermeisten Fällen das grundlegende Element eines gut funktionierenden Spielfilms zu transportieren: Unterhaltung. Darum hat Klick Hollywood auch immer näher gestanden als Bavaria. Dabei ist er alles andere als ein banaler Oberflächenabfilmer gewesen. Ein Gespräch mit Klick kann, wenn man es darauf anlegt, sehr schnell zu einer weitschweifenden Rundreise durch die Filmtheorie, mit Abstechern in die Philosophie und Soziologie ausufern, ohne daß seine unkonventionellen Ideen und Gedankengänge auf irgendeine Art und Weise traumtänzerisch wirken könnten. Roland Klick weiß, wovon er spricht! Hat er immer getan! Denn er hat eine Vision: Die kompromißlose Realisierung seiner Idee von Film in Verbindung mit aktionsorientiertem Publikumskino. Und genau letzteres hat ihm die deutsche Kritik immer wieder, speziell aber bei DEADLOCK (1970), zum Vorwurf gemacht.

„Wenn ich sage, ich bin nicht korrumpierbar, klingt das immer so großartig… aber was soll ich sagen, ich hab ja nichts außer mir selber. Das ist die einzige Basis, die ich wirklich hab, und wenn ich anfange, korrumpierbar zu werden, gebe ich diese Basis auf und verliere den Boden unter den Füßen. Deswegen ist es auch keine Heldentat, wenn ich so etwas sage, sondern auch Angst: Ich will nicht Sachen machen, an die ich nicht glaube. Wenn ich dran glaube, fühle ich die, und dann mache ich auch richtige Filme. Und wenn ich das nicht tue, bin ich nicht besser als jeder andere.“

Nicht zuletzt ein Grund, warum er es zu so wenig Filmen gebracht hat. Kein Wunder also, daß Klick auch heute noch mit ganzem Herzen hinter jedem seiner Filme steht, stehen kann. Muß! Alles andere wäre ein Verrat an sich selbst. Wer sich wie Klick mit seinen Filmprojekten dermaßen intensiv auseinandersetzt, und sich seine Vision so verinnerlicht hat, daß er sie am Drehort aus jeder Pore schwitzt, kann sich einfach nur mit jedem zehnten Drehbuch identifizieren, das auf seinem Tisch landet. Der hat nicht genug Kraft für mehr. Und keinen Bedarf!

So ein Wort wie „Vision“ klingt bei einem Filmemacher immer nach übertriebenem, eher abstoßendem Arbeitspathos, wer aber mit Klick spricht, erkennt: Der Mann ist ein Klassiker, ohne auch nur in irgendeiner Form alt, verbraucht oder überholt zu sein. Die Faktoren 1. Phantasie (bei ihm heißt das ganz klassisch auch Magie oder Poesie), 2. Wahrheit (oder Ehrlichkeit), 3. Liebe (zu den Figuren) und 4. Dynamik („…eine Sache, die stehenbleibt, ist tot…“, Klick benutzt so gut wie nie Schuß/Gegenschuß, ein Blick ergibt die nächste Szene, der Ball bleibt immer in Bewegung) sind so alt wie das Kino selber, aber bei Klick ergeben sie eine Symbiose, die zwar nicht das Rad neu erfindet, trotzdem aber, verwunderlich genug, viel zu selten solch volle Blüten trieb. Und genau diese vier Punkte, auf die im Verlaufe der weiteren Filmbesprechungen noch näher eingegangen wird, sind auch ausschlaggebend für Klick, warum seine Ansichten über Film/Kino so konträr zu denen der restlichen deutschen Filmemacher laufen.

„In meinen Filmen werden die Dinge, um die es geht, selten ausgesprochen. Die wesentliche Dinge transportieren sich über’s Bild und die Stimmung, über das Verhalten der Leute, aber nicht über die Worte. Und in Deutschland können die Leute bloß lesen. Die Deutschen haben eine unglaubliche Begabung, Sachverhalte in den Griff zu kriegen und zu organisieren. Und es gibt Dinge, denen tut das sehr gut, bei Mercedes z. B. (lacht). Wenn man aber das gleiche bei einem Fluß versucht, dann hat man keinen Fluß mehr, sondern einen Kanal (lacht wieder), und diese ganze ökonomische Sachlichkeit macht den Fluß kaputt. Das gleiche gilt im Grunde genommen für Kunst, Poesie, Film und all diese Dinge: Wenn man es voll in den Griff kriegt, ist die Poesie weg. Irgendein französischer Surrealist hat mal gesagt: Poesie entsteht durch Widerspruch. Widersprüche regen die Phantasie an. Wenn ein Schauspieler mit seiner Körpersprache das Gegenteil von dem ausdrückt, was er sagt, entsteht doch erst eine Geschichte. In Deutschland funktioniert das einfach nicht, alles wird mit Worten versichert. Die behandeln einen Film wie eine Kanalisation. Der Zuschauer kommt als Person aber nur in den Film rein, mit seiner inneren Welt, wenn ich ihm den Raum lasse. Und wenn ich ihm den Raum wegnehme, indem ich alles zu Ende erkläre, dann verliert der Film dadurch seine Magie, dann töten wir die Phantasie und damit den Zuschauer, wir killen den Zuschauer.“(Punkt 1) Man hat Klick im Laufe der Zeit viel vorgeworfen. Daß seine Filme amerikanisch ausgesehen hätten, war noch das harmloseste. Dabei ist genau das immer das große Manko von deutschen Produktionen gewesen, selbst bis in die 90er hinein: Daß sie eben immer deutsch, nach ordinärem Fernseh-Kleinbildformat, ausgesehen haben (rühmliche Ausnahmen wie Erler oder Graf bestätigen wie immer die Regel).

„Meine Filme sind nicht amerikanisch. Aber: Die Amerikaner machen Filme richtig. Und wenn man Filme richtig macht, sehen die auch amerikanisch aus. Der Petersen hat z. B. DAS BOOT richtig gemacht, und deswegen sieht der Film auch amerikanisch aus.“

Seine einfache Formel: Filme + Publikum = Kino.

„Ich wollte immer Publikumskino machen und habe dem jungen deutschen Film seine Publikumsfeindlichkeit vorgeworfen, die sich schon in Titeln wie „Tod dem Zuschauer“ ausdrückte. Das Publikum hatte keine Lobby im neuen deutschen Film. Ich habe immer gesagt, die Leute haben bezahlt und haben ein Recht darauf, daß ich mit ihnen filmisch spreche. Das wurde mir seinerzeit als Korruption ausgelegt, aber es bedeutet das genaue Gegenteil. Kino muß aus sich selbst heraus leben, und dazu gehört, daß es sein Publikum liebt. Wir müssen an der Form arbeiten, damit sich der Inhalt bestmöglich vermittelt. Und Formen, die unterhalten, nimmt man leichter auf. Das hat der gesamte junge deutsche Film nicht begriffen. Diese esoterische Haltung hat einen Geist gezüchtet, als sei es ehrbar, Filme zu drehen, in denen Leute sitzen und gähnen.“

SupermarktInzwischen gilt Roland Klick immerhin als Kultregisseur, obwohl er mit DEADLOCK, SUPERMARKT und LIEB VATERLAND MAGST RUHIG SEIN drei beachtliche kommerzielle Erfolge auf der Habenseite verbuchen konnte. Von diversen Bundesfilmpreisen ganz zu schweigen. Trotzdem hatte er bis zum Schluß um jeden einzelnen Film kämpfen müssen. Als die Presse schließlich 1992 mit SCHLUCKAUF (1989) wieder einen seiner Filme in der Luft zerriß und die Filmförderung auch noch zu allem Überfluß das gestiftete Geld zurückforderte (ein Novum in der Geschichte der FFA!) war für Klick das Maß voll. „Da habe ich gedacht, jetzt könnt ihr mich mal, aber kreuzweise, und nicht mal das!“ Er verließ Deutschland endgültig!

Das ist mindestens tragisch, denn in der Filmlandschaft ist Klick eine rühmliche Ausnahmeerscheinung gewesen. So albern und pathetisch das auch klingen mag (solche Anachronismen kann sich heute wahrscheinlich kaum noch einer leisten): Roland Klick lebte das Kino. Wie anders sollte man sich sonst erklären, daß er sich über 20 Jahre lang immer wieder aufrappelte, sich immer weiter schleppte, jede Demütigung klaglos einsteckte (auch dazu später mehr!), einfach nie aufgab und mehr als einmal eigenes Kapital investierte, um SEINE Vision unverschnitten auf Zelluloid zu bannen. Solch eine Manie zeichnete nur wenige Regisseure aus, und trotz aller Hürden ist er nicht – wie viele andere Kollegen – an ihr zugrundegegangen. Sie hat ihn geformt.

Der fade Beigeschmack: Obwohl er bis zu seinem bisher letzten Film 1989 21 Jahre im professionellen Filmgeschäft tätig gewesen war, hat er es auf gerade mal acht Spielfilme gebracht, die Zahl seiner an Ignoranz und Geldknappheit gescheiterten Projekte ist dabei allerdings auch nicht unwesentlich kleiner.

The early Years

Für seinen zweiten Kurzfilm LUDWIG (1964; nach seinem gefeierten Kurzfilm WEIHNACHTEN) jagte Klick Otto Sander, Vater von Koksdose Ben Becker, als zurückgebliebenen, grunzenden und grobmotorischen Dorftrottel durch die entmythologisierte Tristesse eines kleinen Bauerndorfes. Für diesen Film kehrte er nach Jahren an den Ort seiner unbeschwerten Kindheit zurück, nicht zuletzt ein Grund, warum er die Bewohner der Einöde nicht läppischen Inzest-Witzchen opfert. Eine humane Ader, die sein Werk bis zu seinem letzten Film SCHLUCKAUF konsequent durchzieht. Die Nähe zu seinen Schauspielern, die Integration ihrer individuellen Charakter-Eigenschaften in die Figuren gehört für Klick maßgeblich zu dem Begriffskomplex, den er innerhalb seines Kinos mit schon erwähnter „Wahrheit“ umschreibt. Heute meint Klick, daß ihm mit LUDWIG ganz intuitiv etwas gelungen ist, was er sich in den folgenden Jahren erst wieder hart erarbeiten mußte: das Ineinandergreifen von einer „sozialer Wahrheit“, die man ablichtet, und Kino. Zu diesem Zeitpunkt liebte die Kritik Klick noch und lobte LUDWIG als den ersten „Anti-Heimatfilm“.

Die Geschichte um JIMMY ORPHEUS (1966), kein Kurzfilm mehr, aber auch vom Spielfilm noch weit entfernt, ist irgendwie schon exemplarisch für Klicks Filmographie. Nach drei Kurzfilmen war für Klick klar, daß der nächste Film ein langer sein würde. Aber der Bankrott des Atlas-Verleihs zwang Klick und Kameramann Robert van Ackeren (in der Wahl seiner Kameramänner hatte Klick immer ein glückliches Händchen bewiesen), den Film unter extrem bescheidenen Bedingungen zu Ende zu flicken. Am Ende ist JIMMY ORPHEUS nicht der Film geworden, der er hätte sein können, eine Kategorie, die scheinbar nur für Roland Klick eingerichtet wurde, und die er auch in den folgenden Jahren reichlich bediente – sogar mehr als ihm lieb sein durfte.

Trotzdem war die Zeit reif. Klicks Reputation erzwang geradezu sein erstes Spielfilm-Projekt, aber was er auch bei der Filmförderung einreichte, es wurde gnadenlos abgelehnt. Der Anfang eines jahrzehntelangen Kampfes, den Klick 1992 schließlich entnervt aufgab.

Lausebengel

„Ich bin bei der Filmförderung eigentlich immer recht gut bedacht worden, das Problem ist vielmehr die sogenannte Projektförderung, weil sich da ein Verein von Leuten, die zwar jahrelang mit Film zu tun hatten, aber eigentlich Parteipolitiker sind, oder Kirchenoberhäupter, anmaßen, Filme zu bewerten, eigentlich aber nur einen pluralistischen Gesellschaftskonsens herstellen können, der aber nie richtig sein kann, Film soll eigentlich immer über den Konsens hinausgehen. Sonst hat er keine Funktion. Den Konsens befriedigen, das können die Vorabendserien machen. Aber ein Kinofilm sollte immer einen Schritt in ein unbekanntes Land sein. Aber diese Gremien sind immer nur auf den Konsens aus. Fellini oder Romero hätte es bei uns nie gegeben. Die Filmförderung hätte kein einziges ihrer Projekte gefördert. Da, wo Förderung eingreift, wird sie zur Zensur, und zwar zur Zensur des Mittelmaßes.“

Aus Verzweiflung ging er nach Italien, um als mit Regie-Filmpreisen dekorierter Assistent unter Fellini für SATYRICON zu arbeiten. Aber irgendwann war er einfach mal dran. Die Geschichte fand er als kleine Meldung in einer Tageszeitung: Kleiner Junge tötet seine Schwester! Das Drehbuch zu BÜBCHEN (1968) war innerhalb von 16 Stunden geschrieben und paßte der Filmförderung so ganz genau in die Sozialdrama-Schiene, die des Jungen Deutschen Films würdig war. Was am Ende allerdings herauskam, entfachte einen Sturm der Empörung in der Filmpresse.

Heute gilt BÜBCHEN als Klassiker. Die Art und Weise, wie Klick mit der Tat umging, war seiner Zeit weit voraus und stieß beim Publikum auf komplettes Unverständnis. Dazu kam, daß selbstverständlich auch das Spielfilm-Debüt dem Klick-Syndrom anheim fiel und erst ein Jahr später (nach zwei Verleih-Pleiten) unter dem unglaublich bescheuerten Titel DER KLEINE VAMPIR seinen Weg in die Kinos fand. Der Film beginnt mit einer Kamerafahrt über eine typische End-60er-Vorstadtsiedlung und endet am Eßtisch einer kleinen miefigen Wohnstube mit all ihren Abarten kleinbürgerlichen Chics: ekelhafte Einbauschränke, graue Wände und kackbraune Sofas. Hier wird sich die Ablenkung vom tristen Alltag noch trichterweise mit Alkohol eingeführt (aber nur einmal in der Woche). Und in dieses Grauen pflanzt Klick ein weiteres: Vom Kindermädchen Monika (Klick-Entdeckung Renate Roland als zuckersüßes rotzfreches – und minderjähriges! – Bardot-Surrogat) mit den aufseherischen Pflichten alleingelassen, fällt dem achtjährigen Achim (unglaublich gut: Sascha Urchs) mit seinem offensichtlich stark gestörten Sozialverhalten (kein Wunder bei dem Umfeld) nichts Besseres ein, als seiner kleinen Schwester Katrin, noch im Krabbelalter, im Spiel eine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen. Die Motive für die Tat (ob Absicht, Unfall, Unachtsamkeit, Neugier oder einfach nur Langeweile) bleiben ungeklärt, das Baby ist am Ende jedenfalls tot, und es ist schon beeindruckend, mit wieviel Präzision und Gemütsruhe Achim die Leiche seiner kleinen Schwester verschwinden läßt. Als die Familie vom wöchentlichen Freizeitbesäufnis zurückkehrt, ist das Baby verschwunden und Ernüchterung tritt ein. Und erst an diesem Punkt beginnt Klick, seine eigentliche Geschichte zu erzählen. Die Fassaden wanken, aber das Haus muß halten, Abgründe tun sich auf, aber der tiefe Fall folgt (noch) nicht, der kleinbürgerliche Geist wird auf eine harte Probe gestellt und Klick beobachtet mit dokumentarischer Detailfreude, wie zwanghaft die Form gewahrt wird, auch wenn die Nerven blankliegen. Während die Polizei erfolglos verschiedene Spuren aufnimmt (ein kleiner Behörden-Diss ist für Klick obligat), wird im tumben Familienleben weiter verdrängt, was das Zeug hält, obwohl Vater Sieghardt Rupp (groß in seiner Rolle, und später auch als Zollfahnder Kressin einer der wenigen goutierbaren Tatort-Kommissare) Sohnemann die krude Geschichte nicht ganz abnehmen will. Die Beziehung von Achim und seinem Vater ist das Klick-typische Element in dieser emotionslosen Vorstadt-Zombie-Hölle. Mit wenigen Szenen und noch weniger Gestiken läßt Klick den Vater transparent werden. Er ist nicht der „herzlose Prolet“, als den ihn seine Frau schimpft, nur weil ihm die Mittel fehlen, seine Gefühle in Worte zu fassen. Das schafft dafür Klick mit der Kamera umso präziser: In der Bar, seinem zweiten Wohnzimmer, wo er Achim sein erstes Bier spendiert, im Hobbykeller oder später auf dem Schrottplatz, wo er die Leiche Katrins findet und wortlos nach Hause zurückkehrt. Das Schweigen über die Tat Achims ist ein Zeichen nicht nachvollzienbarer, tiefster Vaterliebe (ähnlich wie die in Michael Hanekes ziemlich dünnen BENNYS VIDEO), aber über das alles wird bei Klick mit keinem Wort gesprochen, der Zuschauer muß es sich erarbeiten, ebenso wie er von einem unsäglichen sozialkritischen Zeigefinger verschont wird (im Gegensatz zu BENNYS VIDEO). Achims Vergangenheit ist zu kurz, um für eine ausgeprägte Sozialanalyse herhalten zu können.

BÜBCHEN zeigte Mut zur Lücke, verweigerte jegliche Stellungnahme und stieß 1969 genau deswegen auf tiefe Ablehnung. Erst viele Jahre später wurde ihm die Ehre zuteil, die er wirklich verdient. Ganz im Gegensatz zu DEADLOCK (1970).

Die Wüste lebt!

Der lief 1971 im Zoo Palast und wurde Klicks größter Triumph. Aber kein Klick-Film ohne ein „aber“. Die Geschichten der Entstehung (oder Nicht-Entstehung) seiner Filme waren meist spannender als die Filme seiner damaligen Kollegen selbst. Geld war wieder mal der Grund, warum DEADLOCK fast erneut in die Schublade zurückgewandert wäre. Den Grundstock lieferte groteskerweise eine Drehbuchprämie (zu dem Drehbuch, das von der Filmförderung jahrelang regelmäßig abgelehnt wurde) des Innenministeriums, aber Fehlinvestitionen und Klicks Gutgläubigkeit legten die Quelle langsam trocken, bevor auch nur eine Szene gedreht worden war: Mit privaten Krediten fuhren Klick und sein Team schließlich nach Israel, buchstäblich mitten zwischen die bestehenden Fronten kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg, wo er unter dem Schutz des israelischen Militärs drehte. Er wußte, wenn die letzte Szene nicht abgedreht war, bevor ihm das Geld ausging, hätte er sich in Deutschland nicht mehr blicken zu lassen brauchen. Natürlich reichte es nicht! In einer letzten Verzweiflungsaktion flog er zurück nach Berlin, um gewonnene Wettschulden einzutreiben, mit denen der Film schließlich beendet werden konnte. Soviel in kurz.

Noch heute ist DEADLOCK (ursprünglich als Wettbewerbs-Film für Cannes geplant, aber nach Protesten linker Lobbyisten nur in einer Sondervorstellung aufgeführt) ein Phänomen in der deutschen Filmgeschichte, ein tonnenschweres Vehikel, das sich langsam aber unaufhaltsam durch dein Bewußtsein walzt. Zu seiner Zeit galt DEADLOCK als reiner Action-Film (das war er!), aber gleichzeitig war er auch Western, Gangsterfilm Psychodrama und Kammerspiel, durchdrungen von einer Aura der Metaphysik, die nur wenige Regisseure nach ihm so glänzend auf Film bannen konnten (nicht umsonst mußte damals selbst Jodorowsky gestehen, daß der Film ihn stark beeindruckt hätte).

Mitten in der Wüste, nahe einer stillgelegten Minen-Siedlung, bricht ein blutender, verdreckter und schwerbewaffneter Junge, Kid (Marquard Bohm), vor Schwäche zusammen. Wo er herkommt, ist nicht bekannt, und wird auch im folgenden nur unzulänglich geklärt. Noch weniger als Tarantino in RESERVOIR DOGS ist Klick an dem Überfall interessiert; er zeigt ihn nicht einmal in Rückblenden. In Kids Metallkoffer: die Beute. Charles Dump (Mario Adorf), ein jämmerlicher, genauso verdreckter, kleiner Schlappschwanz mit großer Klappe und zusammen mit seiner abgewracklten Frau, einer alten fetten Schlampe, und seiner Tochter Jessy, einer zurückgebliebenen Schönheit, der letzte Bewohner der Siedlung, nimmt das Geld, und Kid unter seine Fittiche. Die Auseinandersetzung zwischen Dump und Kid nimmt die erste Hälfte des Films ein, bis der Alte, Sunshine (grandios abgehalftert: Anthony Dawson), Kids Partner-in-Crime, in das Wüstenkaff einschreitet. Langsam eskaliert die vermeintliche Patt-Situation. Klick opfert das Tempo seines Films nicht selbstzweckhaften Action-Einlagen (womit an dieser Stelle nichts gegen selbstzweckhafte Action gesagt werden soll), selbst sie sind „kontrolliert“, dienen den Figuren und der Handlung zur Entfaltung. Das Ergebnis: Die „Action“ durchbricht stets Sequenzen von „falscher“ Ruhe, in die die Hitze und dumpfe Wüsten-Atmosphäre die Protagonisten einlullt – eine Eskalation folgt der nächsten.

„Ich persönlich bin der Meinung, daß Film immer „Action“ ist, wenn ich eine Handlung in Aktion umsetzen kann, auch wenn es eine ganz kleine ist. Auch wenn Leute im Wartezimmer sitzen und warten, dann muß etwas passieren, da fällt ’ne Handtasche um, da fallen Bilder raus, dann will jemand wissen, was das für Bilder sind, daraus entsteht meinetwegen eine Familiengeschichte usw., in einem Wartezimmer kann eine Menge kleiner Aktionen passieren, die aber ständig voranschreiten und transportieren, was der Film letztlich als ganzes bringt. Bei LUDWIG z. B., da passiert ja gar nichts, aber trotzdem ist immer was los.“ (Punkt 4)

DEADLOCK ist wie ein Lehrfilm der alten Klick-Schule. Lustvoller als jemals zuvor spielt er mit Andeutungen und Geheimnissen und deren Bedeutungen (die Schußwunde, Kids Single, die er in der uralten Jukebox immer wieder und wieder spielt, seine und Sunshines ominöse gemeinsame Freundin Lily, Dumps nächtliches Winseln) und dem außergewöhnlichen Drehort. Hier lebt die Wüste wirklich noch! Die flirrende Sonne, der demolierte Pappcowboy über den Dächern und nicht zuletzt der psychedelische Soundtrack von Can reichern das aufreibende Katz-und-Maus-Spiel mit mystischen Bewußtseinserweiterungs-Phantasien an. Die Kargheit des Sets und das Fehlen jeglicher moralischer Verhaltensformen in diesem völlig desozialisierten Ambiente lassen mehr als eine Ahnung von Italo-Western aufkommen. Kein Wunder, daß am Ende nur einer überlebt…

Raus auf die Straße

Anfang der 70er schwamm Klick kurzzeitig auf einer Welle des Erfolges. Angebote für Italo-Western landeten nach DEADLOCK fast täglich auf seinem Tisch, aber das war Klick zu einfach. Er hätte nach Hollywood gehen können, Angebote lagen vor, Steven Spielberg, noch heute ein guter Freund Klicks, zeigte sich begeistert, aber Klick wollte seinem Sohn Alexander, den er nach dem Tod seiner Frau Marlis kurz nach der Premiere von BÜBCHEN bei einem Autounfall alleine erziehen mußte, ein Jet-Set-Leben ersparen. Er blieb in Deutschland. Nach den großen Bildern in der Wüste schwebte ihm nun etwas Konkretes vor, ein Großstadtfilm, ein Milieu, das ihm, im Vergleich zur Wüste, sehr vertraut war. Mit DEADLOCK hatte er die letzten Reste seines Hippietums ausgelebt, jetzt wollte er wieder Tacheles reden. „Ich konnte mir nicht nur meine Haight-Ashbury-Träume in der Wüste verwirklichen, ich mußte mich auch wieder darum kümmern, was in meiner Stadt, meiner Straße passiert.“ Die frühen 70er waren, nicht zuletzt 68er-bedingt, die Jahre des sozialen Engagements. Aus dieser Situation heraus entstand das Drehbuch zu SUPERMARKT (1973). SUPERMARKT wurde Klicks rasantestes, rührendstes, ausweglosestes Stück Kino, ein rauher Großstadtfilm ohne Milieu-Romantik oder-Mythos wie bei Jürgen Roland, sondern starr vor Dreck und trotzdem herzlich. Und wieder mit einer Entdeckung: Charly Wierzejewsky, von Klick auf der Straße aufgetrieben und vor der Kamera zu Höchstleistungen getrieben, ebenso wie die Fassbinder-Schauspielerin Eva Mattes, Walter Kohut und Michael Degen. Warum schaffte es Klick in jedem Film immer wieder aufs neue, Talente zu entdecken, die dann nie wieder auf der Leinwand zu sehen waren, oder in etablierten Schauspielern das Feuer noch einmal zu entfachen? Aber auch hinter der Kamera stand wieder ein Star, der davon noch gar nichts wußte: Jost Vacano, der später auch für die unglaublichen Kamerafahrten bei Petersens DAS BOOT verantwortlich war und dann in Hollywood Verhoevens Mann wurde – bis heute. Inzwischen muß Vacano zugeben, daß Klicks sachdienliche Hinweise bei SUPERMARKT, die nicht selten zu erbitterten Streits geführt hatten, seine Kameraarbeit maßgeblich beeinflußt haben. Kann man sich gut vorstellen, sieht man sich die Überfall-Szene in SUPERMARKT an. Mittendrin statt nur dabei! Die hektischen Fahrten durch den Pulk entsetzter Passanten, die Verfolgungsjagden zu Fuß, die verwackelte Panik trugen einen Großteil zu der ungeschliffenen Ästhetik bei, die SUPERMARKT auszeichnet.

„Der Film war damals ein Kultfilm für die Kids, und das ist auch etwas, das ich ganz wichtig finde, das hat auch was mit dieser Ehrlichkeit zu tun. Ein Regisseur ist immer irgendwie in einer elitären Situation. Er dreht z. B. einen Film über die Drogenszene, ist aber kein Junkie. Und wenn man diesen Gedanken mal ernstnimmt, hat Filmemachen auch immer etwas mit Ausbeuten zu tun. Gott sei dank gibt es die Junkies, da kann man jetzt einen Film drüber machen. Das hat mich immer gestört. Und ich habe dann gesagt, wenn wir Filme machen, wo wir andere Schicksale nehmen, um Kino zu machen, dann müssen wir dieses Kino aber denen, denen wir es genommen haben, wiedergeben. Wir dürfen die Filme nicht wie Alexander Kluge für die feinen Leute im Elfenbeinturm machen. Das ist für mich die einzige Legitimation, aus der heraus man überhaupt Filme machen kann.“ (Punkt 2)

Von der ersten Sekunde an macht Klick dem Zuschauer klar, daß seinem Hauptdarsteller Willi dasselbe Schicksal wie 1000 andere Stricher, Junkies und Obdachlose ereilen wird. Seine Versuche, aus dem Teufelskreis auszubrechen, sind Thema des Films, bis zum bitteren Ende. Die Kamera hält soviel Distanz, um ihn gerade noch als Identifikationsfigur aufzubauen, mit all ihren Schwächen und Fehlern. Zu Willi paßt Klicks Leitmotto in der Ausarbeitung seiner Charaktere wie die Faust aufs Auge: „Wer seine Figuren sympathisch macht, um sie sympathisch zu machen, kann sie nicht lieben.“ (Punkt 3)

Wenn das Titellied von Marius (Müller) West(ernhagen), dessen erste Platte – damals noch in Englisch – Klick produziert hatte, vorbei ist, weiß man genug über Willi, und das zu erwartende Schicksal nimmt seinen Lauf. Beim Streunen auf der Reeperbahn lernt er die Prostituierte Monika kennen. Zum ersten Mal empfindet er ein Gefühl der Verantwortung und Hoffnung. Aber um sie und ihr Kind aus dem Milieu zu holen, braucht er Geld. Kennt man ja bereits. Als er schließlich in Notwehr einen Mord begeht, ist sein Schicksal besiegelt.

Sozialkitsch ist das andere Ende der Fahnenstange bei SUPERMARKT, aber Klicks unprätentiöse Betrachtungsweise ist über jeden Zweifel erhaben. Selbst Spaziergänge am Strand gibt er nicht der Lächerlichkeit preis – denn immerhin befindet man sich mitten im Herbst in Hamburg. Der Strand ist dreckig und kein Sonnenuntergang verblendet. Klicks Umgang mit seinen Milieus steht wieder für seine Ehrlichkeit, er weiß, daß er sich nur in Deutschland befindet, und in keiner Szene versucht er das zu vertuschen, er muß mit dieser Tatsache wohl oder übel arbeiten. „Im deutschen Fernsehen wird mit einer Kleinbürger-Mentalität versucht, New York zu kopieren, oder Hollywood. Und warum funktioniert es nicht? Ganz einfach: Weil es nicht wahr ist!“

Der Journalist Frank wiederum, Klicks Alter Ego, versucht, erst aus beruflichem Interesse, später aus persönlichem, Willi aus dem Loch zu holen. Aber das gegenseitige Unverständnis ist zu groß, er scheitert, wie auch Willi scheitern muß. Wenn er beim letzten Abschied im Redaktionsbüro Frank ins Gsicht sagt „Laß mich jetzt mal machen, Frank, ich kenne meine Chancen“, dann weiß man genau, er weiß gar nichts, und so kommt es auch. Der Überfall mit Theo, auch so ein gefallener Großstadt-Engel, endet in einem Fiasko, und die bestehenden Konflikte zwischen den beiden Kleinganoven enden mit Theos Tod. Aber die Freude über das Geld währt nur kurz. Monika verrät ihn, zu seinem besten und dem ihres Kindes. Die Kraft von Klicks Bildern spricht Bände in der grandiosen Schlußsequenz, in der Willi im Elbtunnel in der Masse Berufstätiger mit seinem Geldkoffer auf die Kamera zustrebt, an den Ort, wo die Polizei auf ihn wartet – und Westernhagens wehmütiger Titelsong ein letztes Mal einsetzt. SUPERMARKT war Klicks bester, so gut sollte er nie wieder werden, aber seine Schuld war das gewiß nicht.

The Cockfighting Years

Lieb Vaterland, magst ruhig seinSein nächster Film LIEB VATERLAND, MAGST RUHIG SEIN (1975) war die Verfilmung einer Ost-West-Agenten-Geschichte von Johannes Mario Simmel. Die Verbindung Klick-Simmel ist auf den ersten Blick eine seltsame: hier der Mann für großes Kino mit Herz, da der Fließbandschreiber ohne Tiefe. Aber Klick hat immer betont, daß eine schlechte Vorlage noch lange kein miserables Drehbuch zu sein braucht, und so wurde aus einem Simmel-Roman ein Klick-Film, zu dem Klick auch heute noch ohne Scheu stehen kann. Mit diesem Film nahm er auch das erste Mal Kontakt zu dem aufstrebenden Produzenten Bernd Eichinger auf, dem er später indirekt eine der größten persönlichen Enttäuschungen seiner Laufbahn verdanken sollte. Ein Kritiker meinte über LIEB VATERLAND, MAGST RUHIG SEIN, daß Klick in das wuchernde Gestrüpp der Simmel-Figuren Schneisen geschnitten hätte, so daß einzelne Figuren mit einer gewissen Würde sichtbar wurden. Also wieder typisch Klick! Ulrich von Berg schrieb, daß die Wahrheit über LIEB VATERLAND, MAGST RUHIG SEIN irgendwo zwischen „Klicks schwächster Film“ und „beste Simmel-Verfilmung“ liege. Es war gute Routine, nicht mehr und nicht weniger. Mag man von Simmels Lob, daß er, würde er den Roman noch mal schreiben, ihn so schreiben würde wie Klicks Drehbuch, halten, was man will.

Das Beste, was man über DERBY FEVER USA (1979) sagen kann ist, „Ich liebe Pferde mehr als Frauen. ‚Ne Frau findest Du immer, nicht aber ein gutes Pferd!“ (Das stammt nicht von Klick) Die Dokumentation über das Kentucky Derby, eines der größten Pferderennen der Welt, fast ein Karneval, wurde in Deutschland hochdekoriert, war aber letztlich weder als Doku noch als pseudo-dokumentarischer Quasi-Spielfilm wirklich interessant, denn Klick hatte von vorneherein ein Problem: Pferderennen sind langweilig, und so schafft es auch sein Film nicht, bei aller kindlichen Begeisterung, das durchgedrehte Flair des neuntägigen Volksfestes einzufangen, sondern hält sich an langweiligen Einwohnern, Stallburschen und Lokalpolitikern auf. Hier konnte er seine Amerika-Affinität zwar voll ausleben – stilistisch hat sein Film das Äußere einer wilden Collage, ähnlich den AFN-Sendungen, mit der Vermischung von Film- und Fernsehmaterial, Werbung, nervenden Moderatoren und Interview-Sequenzen, die aber über die volle Distanz trotzdem nicht so recht aus den Taschen kommt – das Ergebnis ist allerdings im Endeffekt weder Fisch noch Fleisch: weder heißblütige Sportdoku noch einfühlsames Portrait des ganz alltäglichen Kleinstadtlebens anhand von etwas nicht ganz Alltäglichem (siehe BÜBCHEN).

Und schließlich die Katastrophe um die Verfilmung von WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO. Schon im Vorfeld gab es ernste Streitigkeit zwischen den Produzenten Wendtland und Eichinger, der Wendtland die Rechte vor der Nase weggeschnappt hatte, als der sich mit Klick schon längst einig gewesen war. Klick drehte den Film mit seinem Freund Eichinger. Leider mißfiel den Produktionsleitern Klicks Herangehensweise, und es kam zu Unstimmigkeiten am Set, bis Klick schließlich zwei Wochen vor Drehbeginn entnervt ausstieg. Und sieht man sich SUPERMARKT an, wird einem schmerzhaft bewußt, was für ein atemberaubender Film WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO hätte werden können, und nicht so ein Haufen Scheiße, als der er am Ende ins Kino kam. Klick hatte mit SUPERMARKT genau das Feeling bewiesen, den Stoff authentisch zu bearbeiten. Die Enttäuschung saß Klick damals tief in den Knochen. Aber noch gab er nicht auf.

Weiß wie Schnee

Und Klicks Drama ging weiter. Für WHITE STAR (1981-83) hatte er sich einen amerikanischen Co-Produzenten geholt, der seine Wunschkandidaten Dennis Hopper und Jane Birkin finanzieren sollte, aber schnell stellte sich heraus, daß der das Geld unmöglich aufbringen konnte. Schließlich verfielen die Fördergelder, der deutsche Co-Produzent bekam ebenfalls nasse Füße, Jane Birkin wurde unbezahlbar und bevor auch nur eine einzige Szene gedreht worden war, stand Klick mit einer Millionen in der Kreide. In seiner Not holte er sich das Armeetheater der US Army, das in Berlin stationiert war; billiger ging’s kaum noch. Hopper konnte er sich gerade noch leisten. Statt Hollywood Hopper + Armeetheater, Klick konnte es gar nicht fassen. Aber Hopper war krank. Anfang der 80er befand er sich in seiner Hochkoks-Phase, jeder wußte das, aber Klick unterschätzte die Situation. Schon vorher hatte Hopper in Interviews erklärt: „Dieser Film ist unglaubich gefährlich für mich, weil er mich soviel angeht.“ Er hatte untertrieben. Dieser Film hätte Hopper beinahe gekillt. Und das Schöne (neben einer Menge Schwachstellen): Man sieht es in jeder Sekunde. Hopper hatte sich vor der Kamera entblößt!

„Der hat gedacht, diese Rolle will ich unbedingt ganz toll machen. Und wenn Hopper ganz toll meint, dann meint er Kokain (lacht) Man wußte damals ja: Hopper kokst! Ich habe aber nicht genau gewußt, was das bedeutet. Er war immer unheimlich zivilisiert, wenn ich drüben gewesen war. Und als wir gedreht haben, kam plötzlich das Koks ins Spiel. Der ist wirklich am laufenden Band ausgeflippt, wenn er nichts hatte oder gekriegt hat. Andererseits ist er aber auch wie ein Tier gewesen. Dazu kam aber auch: Da er oft ausgefallen ist, konnten wir viele Szenen nicht drehen, weil wir in Zeitnot geraten waren. Wir haben manchmal einen ganzen Tag gewartet, daß Hopper zwei Stunden am Tag genau da war, wo man gut mit ihm drehen konnte – nicht ganz oben und nicht ganz unten. Und dieser Zeitdruck führte dazu, daß die ganzen ruhigen Szenen alle wegfielen (lacht) Ich hab jede Nacht am Drehbuch rumgestrichen und Fetzen zusammengefügt, damit die Handlung zu einem Ende kommt. Es wurde nur gedreht, was wir unbedingt brauchten. Und bei diesen Szenen hatte er oftmals auch noch den Text vergessen, dann wurde er wütend. Also fingen Jürgen und ich nach dem Film an, Füllmaterial nachzudrehen. Aber der Film hat heute immer noch Überdruck, weil eigentlich nur alle tollen Szenen gedreht worden sind, aber alle Szenen, die auch zu einem Film gehören, die ruhigen, nicht.“

Hopper IST Ken Barlow, ein Rock’n’Roll-Urvieh, einer, dessen fette Jahre lange hinter ihm liegen, der das Maul aufreißt, keinen lieber als sich reden hört und noch einmal viel Geld zwischen seinen Fingern spüren möchte. Geld, darum geht es auch in WHITE STAR wieder, und besorgen soll es ihm der Moody (Terrance Robay), der von Barlow entdeckt und mit aller Gewalt zum Star gepusht werden soll. Um Musik geht es nur sekundär: Image ist alles. Moody liefert das Gesicht, Barlow den Slogan: „Future!“ Punk is dead! Und die Skandale, die durch die Presse gehen, bevor sie auch nur die Chance hat, ein Wort über die grauenhafte Esoterik-Suppe zu verlieren, die aus Moodys Keyboard blubbert. Barlow ist klar, daß nicht die Musik, sondern die Medien Stars formen, und so setzt er auf die Maschinerie, die seinen schwuchtelblonden Schützling an die Spitze treiben soll. Selbst vor Waffengewalt schreckt er in letzter Konsequenz nicht zurück. Und genauso wie Barlow die Situation mehr und mehr entgleitet (und die Sprüche – ganz Hopper – mit jedem Mal verkokst-größenwahnsinniger werden), muß auch Klick alle Kraft aufwenden, um den Flurschaden, den Hopper hinter sich zurückläßt, zu bereinigen und den Film nicht aus den Händen zu verlieren. Aber niemand kann Hopper etwas vorwerfen, sein Kokswahn gibt dem Inhalt die korrekte Form, an allen Ecken und Enden bricht der Film – genauso wie die Charaktere – auseinander. Schließlich war selbst Klick hilflos. Am Ende war es kein großes Kino mehr, aber ein eindrucksvolles B-Movie, das 90 Minuten lang vor der Explosion steht, weiß Gott nicht Klicks bester, aber 100% unverfälscht. Die Ära von „synthetischer“ Musik wurde 1981 mit einem Paukenschlag eingeläutet und vom Rock’n’Roller Klick auch gleich gebührend kommentiert.

Ein Wiedersehen gibt es auch mit David Hess (als Barlows schmierigem Handlanger Frank), der sich in den 70ern mit seinen Rollen in Wes Cravens LAST HOUSE ON THE LEFT und LAST HOUSE AT THE EDGE OF THE PARK von Deodato in die Herzen aller Slasher-Fans gespielt hatte. Nach diesen Filmen mußten sich alle Film-Psychos, -Sickos und -Sadisten an ihm messen lassen. Und wieder einmal war es Klick, der zur richtigen Zeit das richtige Händchen bewiesen hatte.

White StarEpilog

Nach WHITE STAR war erstmal Pause. Weil er es so wollte. Genauso wie er auch SCHLUCKAUF (1989) einfach so wollte. „Ich wollte einmal zu den Wurzeln zurück. Keine internationalen Geschwader. Ich wollte einen kleinen Film. Stille, viel Zeit, Lachen, Poesie.“ Die Geschichte um das Landei, das sich den Herausforderungen der Großstadt stellen muß und ein neuer Mensch wird, ist nicht neu, wird aber von Klick mit viel Phantasie und Raffinesse erzählt. Als die FFA nach fast einem Jahr quasi unter Druck der Öffentlichkeit (und nicht wenigen von Klicks Kollegen) das vernichtende Urteil über SCHLUCKAUF zurücknahm, hatte Klick Deutschland bereits den Rücken gekehrt.

„Das Kleinbürgertum ist im Grunde genommen eine machtbesessene Bande. Sie wollen über alles Macht haben, so bin ich auch erzogen worden. Meine Mutter wollte Macht über mich haben bis hin zu meinem Schwanz und meiner Unterhose. Und wenn sie nicht den totalen Einblick gehabt hat, ist sie ausgeflippt. Ich sage auch immer: Deutsche Filme sind von Söhnen, nicht von Männern. Auf der anderen Seite entstehen durch so eine Gesellschaftsstruktur aber auch gute Dinge. Ich hab die kräftigsten Impulse dadurch erhalten, daß ich behindert worden bin. Frühkindlich und so. Vielleicht muß das auch so sein. Mit anderen Worten: Ich lebe zwar im Ausland bequemer, aber ich verarbeite dort, was ich von Deutschland erfahren habe. Wie eine Mission, von der ich denke, daß sie diesem Land auch zuträglich ist. Wir können ja nicht alle erstarren. Mein Gott, das ist ein Scheißland, aber es ist trotzdem meine Heimat, und das wird man auch nicht los. Man empfindet in der eigenen Sprache.“

Seit 1992 arbeitete er noch zwölfmal unter Pseudonymen für’s Fernsehen („Aber mit Kinoformat!“, wie er lachend betont). Aber darüber möchte er eigentlich nicht sprechen. Er wollte endlich einmal ohne dieses Lonesome Cowboy-Image arbeiten, das mit seinem Namen verbunden wird.

Inzwischen lebt er die meiste Zeit des Jahres in Irland und schreibt an seinem Buch, das ihn schon seit mehreren Jahren beschäftigt. In letzter Zeit erhält er wieder verstärkt Angebote aus Hollywood. Das Interesse ist gering, die Verlockung allerdings immer noch da.

„Ich bin inzwischen an einem Punkt angekommen, der mir sehr gut tut. Ich bin von Film und vom Filmemachen besessen gewesen. Das Wort „besessen“ drückt ja aus, daß man nicht eigentlich Herr der Dinge ist, sondern Objekt: Man besitzt nicht, man ist besessen. So sehr diese Besessenheit eine große Triebfeder ist (…), so scheint es mir auch darum zu gehen, daß man sie überwindet, um zur Meisterschaft zu kommen. Denn Meisterschaft bedeutet immer, daß man selber Meister der Dinge ist. (…) Dazu gehört, daß man es auch lassen kann, daß man sagen kann, ich muß nicht, denn Besessenheit heißt immer, daß man muß. Man kann sagen, ich kann auf diesen Film verzichten, es sei denn, ich bekomme diese und jene Bedingungen. Das ist der Prozeß, in dem ich momentan stecke (…) und ich werde sehen, was rauskommt.“

Da kann man nur hoffen, daß er noch ein einziges Mal DAS Drehbuch erhalten wird.

Die Zitate sind entnommen einem Interview mit Roland Klick im Mai 97 in Berlin, einem Interview von Frieder Schleich und dem Buch „Das Kino des Roland Klick“ von Ulrich von Berg.

Dank an Roland Klick für SUPERMARKT (und nicht nur dafür) und Ulrich von Berg für ein erschöpfendes Buch eines echten Fans.

Zuerst erschienen in Splatting Image #37, März 1999.