Wilder

Wilder

Von Michael Kathe

Die Schweizer Alpen: Star der Schweizer Tourismusbranche seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Nicht nur die sonnige Seite, die jeden Wanderer das Herz höher schlagen lässt. Diese Heidi-Schweiz war mit satten Farben in beglückenden Berglandschaften neulich in den beiden Schweizer Erfolgskinderfilmen der letzten Jahre zu sehen, Alain Gsponers HEIDI (2015) und Xavier Kollers SCHELLENURSLI (2015). Aber … es gibt auch die dunkle Seite, und auch die hat ihren Reiz: Die vernebelten, kargen, tristen Bergwelten, wie sie schon der Schweizreisende Maler William Turner festhielt, eigenen sich ebenso für düstere Filme wie zum Beispiel die Exorzismusstory des Schweizer Regiestars Michael Steiner, SENNENTUNTSCHI (2010), die aus monetären Gründen in Schweiz für Skandale sorgte. Dass die Dark Side sich auch für eine TV-Serie eignet, ist für ein serienarmes Land wie die Schweiz nun doch wieder ein kleines Wagnis. Das Resultat, die Krimiserie WILDER, kann sich aber sehen lassen.

Wilder_1Die Verwandtschaft zu anderen dunklen Begebenheiten und geheimnisvollen Landschaften wie z.B. TOP OF THE LAKE, liegt auf der Hand. Doch WILDER blamiert sich nicht im Vergleich, sondern porträtiert mit ähnlicher stilistischer Versiertheit eine nicht-urbane Schweiz in ihrer dörflichen Tradition, die stets mit dem Hereinbrechen der modernen Welt hadert. Zwei Staffeln wurden bisher gedreht: In beiden zeigt sich, dass nicht das Neue Anlass der Probleme ist, sondern die ungelösten Probleme der Vergangenheit damit nach oben gespült werden.

In der ersten Staffel wird das (fiktive) Bergdorf Oberwies von einem ägyptischen Investor zum Ferienressort umgebaut. Ausgerechnet als Investor Karim al-Baroudi den Spatenstich setzt, wird in der Nacht seine Tochter Amina (Amira El Sayed) vermisst – und der alte Künstler Armon Todt (Christian Kohlund) ermordet. Den lokalpolitisch pikanten Fall zu lösen hat die ursprünglich einheimische Kommissarin Rosa Wilder (Sarah Spale). Ihre Verbandelung mit den Dorfbewohnern setzt die Ermittlerin unter Druck. Bei den Nachforschungen des verdächtigen (und rassistischen) Garagisten etwa stellt sich ausgerechnet heraus, dass er eine Affäre mit ihrer Mutter hatte. Jeder hat etwas zu verstecken (und TWIN PEAKS lässt von weitem grüßen). Der Fall weitet sich derart aus, dass Rosa Wilder Unterstützung vom Bundespolizisten Manfred Kägi (Marcus Signer) erhält, womit die Serie die klassische Kriminalkombi von lokalem Polizisten und FBI-Agenten aufgreift. Überflüssig zu sagen, dass die beiden spröden Persönlichkeiten nur zögerlich Vertrauen aufbauen.

Wilder_3Als aber noch der Bodyguard des Investors tot aufgefunden wird (der eine Folge zuvor das Bergdorf als „Käfig aus Stein“ bezeichnete), gewinnt die Story in der eisigen Schneelandschaft, den Nebelschwaden und einsamen Holzhäusern im Wald an Fahrt. Gemeindepräsident Räber, Hotelchef Rindlisbacher und ein paar andere machen sich verdächtig, weil sie offensichtlich etwas zu verbergen haben. Alibis stimmen nicht, Tathergänge sind schwer zu rekonstruieren.

Dazwischen irrt oft eine Busfahrerin durch die einsame Bergstraße. Sie verweist auf die Zeit, in der ein Schulbus von einem Bergsturz erfasst wurde und alle 12 Schüler starben. Das in dieser Begebenheit aus der Vergangenheit einer der Schlüssel zur Aufklärung der Morde liegt, lässt sich zwar erahnen – doch die Serie bleibt spannend bis zum Schluss.

Wilder_4Die zweite Staffel spielt nicht mehr in einer Alpenregion, sondern im zweisprachigen Schweizer Jura. Brauntöne herrschen vor und – zumindest – die Deutschschweizer Version wechselt immer mal wieder von der sogenannten deutschschweizer Mundart ins Französische. Nahe dem (ebenfalls fiktiven) Dorf Thallingen werden nach einem Volksfest drei Personen erschossen aufgefunden. Im Kofferraum eines der Autos, die am Tatort standen, lag ausgerechnet Simon Kägi (Gilles Marti), der Neffe unseres Kriminalisten der Bundespolizei, Manfred Kägi. Doch Simon ist bereits geflüchtet, bevor der die erkalteten Leichen auf der Waldlichtung gesehen hat, die von der Polizei am nächsten Tag untersucht werden. Eine Tat im Drogenmillieu? Natürlich nicht, stellt Rosa Wilder – inzwischen zur Profilerin ausgebildet – schnell einmal fest. Dass einer der Toten von der kosovarischen Familie kommt, die abseits des Dorfes ein Restaurant führt, wiegelt natürlich einige Dorfbewohner auf. Dass derselbe Tote homosexuell war, verstört den Vater Enver Kabashi (Edo Rizvanolli) wiederum enorm. Andauernde Spannungen, Geheimnisse, Verdächtige und Hidden Agendas werden wiederum raffiniert zusammengesetzt. Spuren aus der Vergangenheit gibt es in dieser Folge gleich mehrfach – und sie treten auf dramaturgisch meisterliche Weise nur langsam ans Tageslicht. Nicht zuletzt setzen auch persönliche Begebenheiten gleich beiden Protagonisten, Rosa Wilder und Manfred Kägi, zu.
Mehr soll nicht verraten werden. WILDER ist wie einer dieser Sechsteiler, die üblicherweise von ARTE übernommen und ausgestrahlt werden. Verdient hätte es diese Schweizer Serie.

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Wilder | Schweiz 2017 und 2020 | Regie: Pierre Monnard | Darsteller: Sarah Spale, Marcus Signer, Andreas Matti, Ruth Schwegler, Manuela Diedermann, Edon Rizvanolli, Elda Sorry u.a. | Staffel 1 & 2 | 2 x 6 Folgen à 50 min.