Haus der tödlichen Sünden

Haus der tödlichen Sünden

Von Guy Montag

Filme, die in Venedig spielen, sind schon mal prinzipiell eine Schau. Wenige Schauplätze üben eine derartig natürliche Faszination aus, derer sich der Zuschauer zwangsläufig nicht entziehen kann. Die Liste ist lang; da muss nicht immer eine Gondel Trauer tragen. ALLA RICERCA DEL PIACERE hat denselben Bonus und offenbart darüber hinaus noch die klassischen Ingredienzen, bei denen der geneigte Fan sich beruhigt in den Sessel schmeißt und mit Genießerblick in die Röhre guckt.

Cover-SÜNDEDem Literaten ein frisches Farbband. Greta (Barbara Bouchet), die gerade ihre neue Stellung beim erfolgreichen Romanautor Stuart (Farley Granger) angetreten hat, ist des Schreibers Villa unheimlich. Nicht nur, dass ihre Vorgängerin und Freundin Sally (Patrizia Viotti) unter mysteriösen Umständen verschwand, auch Eleonora (Rosalba Nero), die verführerische Gespielin des Buchstabenwirblers, der sinistre Diener (Umberto Raho) und der klobige Fischer Rocco (Petar Martinovitch) lassen sie argwöhnisch werden. Irgendwas ist faul in der Lagune, Urtriebe und verquere Denkansichten geben sich die Hand. Als sie Ihre Freundin in einem Pornofilm wiedererkennt, einem Mordanschlag entgeht und der Kommissar sich an den ehrbaren Autor nicht recht herantraut, nimmt sie die Nachforschungen selbst in die ansonsten Zehn-Finger-blind tippenden Hände – und gerät dabei in einen Strudel aus Begierde, Sex und nacktem Entsetzen.

Gedreht im braungetönten Chromoscope zeigt die Kamera von Aldo Giordani neben dem offensichtlichen das versteckte an den Rändern der Ereignisse. Fast beiläufig fängt sie kleine, beschreibende Begebenheiten ein, für die im heutigen Kino kein Platz mehr ist, aber so viel über die Menschen erzählen. Die Geschichte, für die Regisseur Amadio im Grunde den Hitchcock‘schen COCKTAIL FÜR EINE LEICHE (1948) aus einer anderen Perspektive noch mal neu erzählt – und mit Farley Granger auch gleich noch eine direkte Verbindung aufmacht – dient als ‚Vorwand‘ für eine Abfolge an Exzentrik und leiser Gesellschaftskritik an der `upper class´. Die geifernden Oberen leben Ihre Triebe zu Lasten der Unterprivilegierten aus und suchen als satte Wohlstandsmenschen nach neuen Kicks in Form von Herrschaft und Macht. Da wir es aber mit Publikumskino zu tun haben, ist alles eingebettet in leichte Formalismen des Giallokinos, versetzt mit Topoi des Inselthrillers, es riecht nach Suspense – und chic bebildert ist das Ganze außerdem. Nicht mit Oberflächenreizen geizen; diese Maxime hatte wohl auch Silvio Amadio im Kopf, als er ALLE RICERCA DEL PIACERE drehte. Seine Darsteller, allesamt keine unbeschriebenen Blätter und nie um eine Genreplotte verlegen, geben sich ein fröhliches Stelldichein und zeigen, was sie können. Mit bunten Kostümen und immer einer Kippe im Anschlag spielt es sich auch gleich ganz anders.

Teo Usuelli, einige Jahre der gesetzte Tonkünstler für Regieexzentriker Marco Ferreri, wurde die Aufgabe zuteil, dieses Arrangement von Ideen und Plotlinien musikalisch in Form zu bringen. Neben einem für Italokenner obligaten Liebesthema, dass sich in Gestalt eines majestätischen Loungepops durch den Film zieht, setzt es sperrig-dissonante Spannungsmomente, jazzige Sourcecues und einen repetierenden Rockbeat, der mit den simplen Lyrics „Sexually … sexually“ mehr als einmal auf dem Plattenteller rotiert. Vielleicht wird dem ein oder anderen Zuschauer dieser als ‚Piacere Sequence‘ bezeichnete Track bekannt vorkommen: die Coen-Brüder verwendeten ihn – gemeinsam mit dem großorchestralen ‚Traffic Boom‘ aus der Feder Piero Piccionis – in ihrem Kulthit THE BIG LEBOWSKI (1998).

SÜNDE-03Dankenswerterweise ist ALLE RICERCA DEL PIACERE zu einer Zeit entstanden, als ein Film zuallererst einmal gut aussehen sollte – ein Umstand, der im fabelhaften Breitwandtransfer der Blu-ray/DVD nun vollends zur Geltung kommt und wiederholt dem Label als Referenz angeheftet werden kann. Neben dem italienischen ‚Originalton‘ – wobei Produktionen aus dem Land in Stiefelform sowie grundsätzlich ‚übersprochen‘ wurden – ist die englische Exportsynchronisation enthalten. Da es nie einen deutschen Kinoeinsatz gab, muss man auf eine germanische Sprachfassung verzichten; diesen Verzicht sollte man jedoch dem Film zuliebe gerne üben. Als Extras gibt es einen unterhaltsamen Audiokommentar der gemeinschaftlichen praktizierenden Doktoren Marcus Stiglegger und Kai Nauman nebst Pelle Felsch (der für Uwe Schier einst sicher ganze Leitz-Ordner mit g’schmackigen Filmtiteln hätte füllen können) sowie Interviews mit den beiden Aktricen Barbara Bouchet und Rosalba Neri, die sich voller Freude und mit merkbarer Wehmut an den Film erinnern. Ein Gespräch mit Silvio Amadios Sohn Stefano rundet das Bild um diesen faszinierenden Regisseurshandwerker zusätzlich ab. Weiterhin enthalten sind der englische Kinotrailer, eine umfangreiche Bildergalerie sowie ein locker und analytisch geschriebener Bookletessay von Marcel Barion. Den sollte man am besten während des zeitgleichen Genusses des Soundtracks lesen, der in Kooperation mit dem legendären, römischen BEAT-Labels direkt aus der Via Filippo Nicolai in diese Edition gewandert ist. Nach dem noch unter Sazuma.com-Flagge erschienenem LA SETTIMA DONNA (1978), wo einst Discostampfer von Roberto Pregadio und seinen Mini-Moogs erklangen, offeriert Camera Obscura nun zum zweiten Mal den Score auf einer separaten Audio-CD in voller Länge – ein absolutes Lieblingsextra, dass es zur Freude des Rezensenten trotz aller Unrentabilität für das Label gerne öfter geben kann.

Wieder einmal miterleben wir die Auferstehung einer kleinen, feinen Filmperle aus der Blütezeit des italienischen Genrefilmes. In bester Aufmachung erschienen werden wir Zeuge einer Gradwanderung zwischen den Genres, kunstvoll ausgearbeitet und nonchalant in Bilder gegossen. Ein alter Hitchcock-Recke, ein Zwei-Meter-Hüne und zwei Damen mit Blankziehzwang – was kann da noch schiefgehen?

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Alla Ricerca Del Piacere, Italien 1972, R: Silvio Amadio, D: Farley Granger, Barbara Bouchet, Rosalba Neri, Umberto Raho, Patrizia Viotti, Nino Segurini

Anbieter: Camera Obscura