Night Moves

Night Moves

Von Alexander Karpisek

Vielleicht ist es zu naheliegend Kelly Reichardts Filme OLD JOY (2006), WENDY AND LUCY (2008) und MEEK´S CUTOFF (2010) unter dem Blickwinkel klassischer Genreabgrenzung zu besprechen. Unmöglich und sinnfrei ist es nicht. Man hätte dann eine Art Roadmovie-Trilogie, in welcher der Mythos der Straße und westamerikanischen Landschaft unter verschiedenen Vorzeichen eine abschließende und unaufgeregte Bewertung erfährt. Einmal mit, einmal ohne Fahrzeug und in MEEK´S CUTOFF unter Verlust des grundsätzlichen Objekts, also der Straße selbst, darf man getrost sicher sein: das Dahintreiben über warmen Asphalt kann es nicht mehr, verändert nichts, der Zauber war einmal. Die unter Beobachtung stehenden Menschen müssen sich, da wo sie sind, wieder allein entscheiden, wie Wendy (Michelle Williams). Oder sie entscheiden sich nicht oder auf eine Weise, die den Entschluss unsichtbar hält, wie Kurt (Will Oldham). Das ist – das war – jedes mal respekteinflößend genug.

night.moves.2013.cover2Dass die Roadmovie-Ecke gar nicht gemeint sein könnte, zeigt sich in NIGHT MOVES, Reichardts aktueller Arbeit, deutlicher als zu erwarten war. Die US-amerikanische Regisseurin hält am Thema Entscheidung fest – möglicherweise auch nur ein weiterer Mythos, aber einer der klarerweise genreunabhängig funktioniert – und verlässt diesmal das verzweigte Netz der unbestimmten Ausleuchtung über die mutlose Abkürzung der Konventionalisierung. NIGHT MOVES kommt am Ende als Psycho-Thriller daher, obwohl er anfangs gar keiner ist. Immerhin: Die Landschaft hält stand, bleibt die bereits über die Jahre eingeführte, mit der Großstadt und dem Menschen brechende.

Die Umweltaktivisten Josh (Jesse Eisenberg), Dena (Dakota Fanning) und Harmon (Peter Sarsgaard) planen die Sprengung eines Staudamms. Im Heute angesiedelt, in einem scheinbar täterlosen westlichen Umfeld, das die Earth Liberation Front-Perspektive längst als unakzeptabel ausgeworfen hat, entwickeln die Regisseurin und ihr Kameramann Christopher Blauvelt das neutrale Tableau der Planungsphase, unterstützt durch eben die Landschaft, der es egal ist. Das Vorhaben läuft unter verwaisten Bedingungen an. Diese entwurzelte Schilderung kann, so wie sie hier stattfindet, eigentlich nur im für Reichardt so typischen post-Zustand indentifiziert werden. Dieses unabhängige Zufallsgrüppchen spricht nicht darüber, nicht einmal untereinander, was sie antreibt, weil es ohnehin keinen Rückhalt mehr dafür gibt bzw. weil bereits die Gründe – nicht erst die Aktionen – immer die falschen sind.

Bestehende Netzwerke sind ein Scherz, denn in den Versammlungen zirkulieren nach wie vor die immergleichen Aufklärungsfilme, an die mit sich ewig im Kreis drehenden Diskussionen über die kleinen Veränderungen bzw. Verschlimmbesserungen angeschlossen wird. Ein gelangweilter, nutzloser Zustand.

Diese melancholische Anklage endet leider dort, wo der Thriller, der bereits im Titel NIGHT MOVES mitschwingt, einsetzt. Das Heranrücken der Umsetzung bringt den Orkan stimmungserzeugender Bilder. Ein totes Reh auf der Straße, das ein lebendes Ungeborenes in sich trägt, wirft den ersten Schlagschatten. Die mehr als hundert Kilo Sprengstoff aus Ammoniumnitratdünger werden nicht umsonst im Motorboot, das den Namen des Filmtitels trägt, gestapelt und nachts über das Wasser zur Staumauer gebracht. Josh, Dena und Harmon schaffen es freilich noch rechtzeitig in ihren Truck. Die Explosion findet statt. Aus dem Off dumpf vibrierend erschüttert sie den weiteren Filmverlauf. Das Folgende orientiert sich an bekannten Suspensestrategien. Schlammige Spuren an Schuhen werden nur vom Zuschauer bemerkt.

Josh, der in einer Biobauernhofkommune aushilft, Dena, die in einem alternativen Spa für Frauen arbeitet und Harmon, ein Ex-Soldat der in einem abgelegenen Wohnwagen haust, werden als unnahbare Einzelgänger vorgestellt. Die Konstellation des Trios, das keines werden kann, ist von Beginn an sehr fragil angelegt. Josh bringt den kümmerlichen Rest an Idealismus ins Unternehmen, Dena das Geld. Harmon dirigiert. Zuneigung bleibt unsichtbar. Als jedoch der ältere, vor Testosteron strotzende Harmon ein paar lustige Momente mit der jüngeren Dena im Wohnwagen verbringt, die alles und nichts bedeuten können, werden kaum inszenierte Spannungen messbar. Das ist aufregender und vor allem etwas völlig anderes als die verrückte Hitchcockerei, die den Film an der Stelle fortsetzt, wo plötzlich von einem Camper die Rede ist, der seit der erfolgten Sprengung vermisst wird.

Mit Auflösung der Zweckgemeinschaft verkalkt die Schilderung unter dem Einfluss konsequentialistischer Ethik schließlich folgenschwer. Josh wird ins Visier genommen. Harmon und Dena werden aus dem Bild gestellt, bestimmen aber in ihrer Abwesenheit Joshs Verhalten. Das Dreieck wird neu organisiert und das ist sicherlich auch richtig so. Kopfschütteln verursacht die groteske Figurenabdichtung, die alles Außenstehende hinter sich lässt, und einen anderen Film gestaltet. Harmon, der überhaupt nicht mehr zu sehen ist, wird zur dunklen Stimme am Telefon, die Josh vom seelischen Zerfall Denas berichtet. Dena, die immer dann zu sehen ist, wenn Josh sie findet, ist als Untote Spa-Wandlerin und belustigende Raskolnikow-Ablegerin nur noch Wrack. Und Josh gerinnt genau zu dem ferngesteuerten Feigling und geborenen Schwerverbrecher, der er nie war.

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Night Moves, USA 2013 | Regie: Kelly Reichardt, Buch: Jonathan Raymond und Kelly Reichardt | Mit: Jesse Eisenberg, Dakota Fanning, Peter Sarsgaard, u.a. | Laufzeit: 112 Minuten, Verleih: MFA+ (Kinostart: 14.08.2014).