Rabid

Rabid

Von Nicolai Bühnemann

Im subversiven Cronenberg-Remake RABID machen die Twisted Twins Jen und Sylvia Soska einer Veganerin Lust auf Menschenfleisch – und entblößen die Subversion des Body Horrors zugleich als Teil unserer totalitären Verhältnisse.

David Cronenbergs RABID von 1977 ist ein Paradebeispiel für den modernen Horrorfilm. Seine Basis ist der Fortschritt, sowohl in technologischer (Spezialeffekte) als auch gesellschaftlicher Hinsicht (Aussetzen oder Lockerung der Zensur). Zugleich lebt er von einem tief empfundenen Unbehagen an diesen Entwicklungen. Das Grauen beginnt durch einen medizinischen Eingriff nach neuartiger Methode: Nach einem schweren Motorradunfall wird der Protagonistin Rose (Marilyn Chambers) Hautgewebe von ihrem Unterschenkel auf die Wunde transplantiert. Die Mutation der Zellen weckt jedoch bei Rose einen unstillbaren Durst nach menschlichem Blut, das sie sich durch einen Stachel einverleibt, der ihr aus der Achselhöhle wächst. Die Menschen, die sie sticht, werden dabei zugleich mit einem tollwutartigen Virus infiziert, der sie wiederum in Blutsauger verwandelt, die besinnungslos ihre Mitmenschen anfallen. Roses rastlose Streifzüge durch das nächtliche Montreal führen sie unter anderem in ein Pornokino, das für eine junge attraktive Frau definitiv ein Unsafe Space ist.

RABID gehört zu einer Reihe von Horrorfilmen seiner Zeit, die neue Bilder monströser Weiblichkeit kreierten, die wesentlich unmittelbarer und physischer daherkamen als die promisken und intrigierend über Leichen gehenden femme fatales im Thriller-Kino der 1940er und 1950er Jahre. Nach wie vor handelt es sich um (von Männern geschaffene) Schreckensbilder einer ungezügelten, zerstörerischen weiblichen Sexualität. So nimmt der Horror hier oft mit der Geschlechtsreife seinen Anfang. Zum Eintritt in die Pubertät fährt der Teufel in William Friedkins THE EXORCIST (1973) in die junge Regan; mit der ersten Periode beginnt das Martyrium von Brian DePalmas CARRIE (1976), das schließlich zum berüchtigten Massaker beim Abschlussball (ein weiterer Initiationsritus) führt, bei dem nicht mehr nur Menstruationsblut fließt.

Was in diesen Filmen Subtext war, macht Cronenberg in RABID (in dem übrigens einmal ein Kinoplakat von CARRIE zu sehen ist) zum eigentlichen Text. Es geht um die Angst vor einer Frau, die ihr zerstörerisches Begehren auf verschiedene (männliche und weibliche) Objekte richtet und dabei zugleich mit ihrem Stachel die phallische Ordnung der Penetration umkehrt. Diese Ordnung wiederum stellt der Film als destruktives Machtverhältnis dar – viele von Roses Opfern waren zunächst Täter, versuchten, sich an ihr zu vergehen.

War schon bei Cronenberg also ein feministisches Anliegen spürbar, gibt es vier Jahrzehnte später nun ein Remake, das von zwei Frauen inszeniert und geschrieben wurde. Die Zwillingsschwestern Jen und Sylvia Soska, die sich als Twisted Twins (wie sie ihre eigene Produktionsfirma nannten) in den letzten zehn Jahren mit einer handvoll eigenwilliger, blutrünstiger kleiner Filme einen Namen gemacht haben, scheinen als Kanadierinnen mit einem Faible für Body Horror geradezu prädestiniert für die Nachfolge eines David Cronenberg.

In ihrem Debüt DEAD HOOKER IN A TRUNK (2009) kombinierten sie einen bei aller grellen Überdrehtheit auch melancholischen Blick auf die Lebenswelten junger Erwachsener in der kanadischen Suburb mit einem immer abstruser freidrehenden Thriller-Plot, in dem sie selbst zwei der vier Hauptrollen spielten. Während die Soskas hinter der Kamera den Jungs das Nerdtum streitig machten, verpassten sie vor der Kamera jedem Bully, der in ihnen leichte Opfer sah, eine Kugel in den Kopf. Mit einem in der Body-Enhancement-Szene angesiedelten Splatterfilm (AMERICAN MARY), dem schönen Sequel eines eher mittelmäßigen Neo-Slashers (SEE NO EVIL 2) und dem vielleicht brutalsten und physischsten (Männer-)Knastfilm der 2010er Jahre (VENDETTA) formulierten sie ihren Stil und ihre Themen weiter aus. Freundschaft und andere Formen zwischenmenschlicher Allianzen spielen bei den Soskas immer eine große Rolle: Machen die technischen Möglichkeiten der Körpertransformation das physische Sein der Menschen immer prekärer, brauchen diese umso dringender Beziehungen, die ihnen im Außen Halt geben.

In RABID nun ist der selbstbewusste – vor allem visuelle – Rückgriff auf das eigene Schaffen längst zum integralen Bestandteil des Soska-Werkes geworden. Jahre nach einem Unfall, bei dem ihre Eltern ums Leben kamen, trägt Rose (Laura Vandervoort) Narben auf der Seele und im Gesicht. Ihre Arbeit als Modeschöpferin unter der Fuchtel des herrschsüchtigen Designers Günter (Mackenzie Gray), der seine neueste Kollektion „Schadenfreude“ nennt und seine weiblichen Untergebenen mit „Schnuckiputz“ anredet, ist ihr einziger Zufluchtsort. Das Unheil nimmt seinen Lauf, als Roses beste Freundin Chelsea (Hanneke Talbot) ihren jungen und attraktiven Kollegen Brad (Benjamin Hollingsworth) überredet, Rose auf eine Party einzuladen.

Dass ein solcher vermeintlicher Gefallen gegenüber einer introvertierten Außenseiterin furchtbare Folgen haben kann, wissen wir seit CARRIE. Hier führt er dazu, dass Rose irgendwann tief verletzt auf ihrem Roller davonfährt und in ihrer Wut einen nahenden LKW übersieht. Nach einer Notoperation ist von ihrem Gesicht nur noch eine vollkommen entstellte Fratze übrig. Nur eine auf Transhumanismus spezialisierte Klinik unter der Leitung von Dr. William Burroughs (!, Ted Atherton) kann die Spuren beider Unfälle tilgen – um den Preis allerdings, dass die Veganerin Rose einen extremen Hunger nach menschlichem Fleisch entwickelt.

Das Körperliche im Kino der Soskas offenbart sich zunächst daran, dass bei der gegenüber dem Original ergänzten Vorgeschichte eines ersten Unfalls in der Vorgeschichte nicht die Retraumatisierung und damit die Psychologie der Figur im Vordergrund steht. Vielmehr geht es darum, das Gesicht der Protagonistin zunächst immer weiter zu entstellen – um schließlich die Erscheinung der normschönen Laura Vandervoort hinter der Maske hervorzuzaubern. Durch diese Re-Konstruktion wird Schönheit selbst als gesellschaftlich vermitteltes Bild erkennbar, als eine weitere Maske, die nicht nur dafür sorgt, dass Rose nunmehr mühelos am Türsteher angesagter Clubs vorbeikommt, sondern basale Voraussetzung für ihre Selbstverwirklichung in der Modewelt ist.

Bei solchen (nicht sonderlich neuen) Erkenntnissen fangen die Soskas aber gerade erst an. Denn nicht nur weibliche Schönheit ist ein Riesengeschäft, sondern auch Bilder monströser Weiblichkeit. Günter ist begeistert von Roses neuen Arbeiten, in denen die vorher zurückhaltende Frau, die sich immer darum bemühte, möglichst lieb zu sein, nun ihre dunklere Seite offenbart, aus ihren Traumata Modedesigns macht (sehr deutlich etwa in einer Art metallenen Gitter vor dem Gesicht, das zu einem von ihr entworfenen Kleid gehört, und in dem visuell ihre nach dem Unfall frei liegenden Unterzähne nachhallen).

Hinter der Geschichte einer Frau, die für ihre Schönheit (unwissentlich) ihre Seele an einen (sehr weltlichen) Teufel verkauft, verbirgt sich eine andere, in der es darum geht, dass auch die Frau, die Zähne zeigt, sofort Teil eines Verwertungszusammenhangs wird, der aus jeglicher Regung Kapital zu schlagen versteht – und sie damit zugleich restlos domestiziert. Die Möglichkeit von Rebellion, von Aus- und Aufbruch, die 1977 immerhin noch in der Luft lag – auch wenn dieses Versprechen letztlich nie eingelöst wurde und die Frau als Strafe für ihre Transgressionen auf der Müllhalde der patriarchalen Gesellschaft landete – ist 2019 von vornherein unmöglich: Aus dem Motorrad, auf dem man zu zweit über die Landstraße raste, ist der City-Roller geworden, mit dem frau alleine zum nächsten Meeting eilt. Während in den politischen Angstfantasien der Siebziger die Gesellschaft beständig in ein totalitäres Militärregime zu kippen drohte (dessen Insignien in RABID wie in Romeros THE CRAZIES Männer mit weißen Schutzanzügen, Gasmasken und Gewehren sind), machen die Soskas das Totalitäre der bestehenden Verhältnisse sichtbar.

Brad, der Rose beständig zu retten versucht, Günter, der ihre Arbeitskraft (und die ihrer Kolleginnen) offen ausbeutet und das Mastermind, der große Strippenzieher hinter den Kulissen, den ein finaler Plot Twist ans Licht bringt, sind Agenten desselben Systems, das der Frau schließlich jeglichen Handlungsspielraum nimmt. Aber das ist noch nicht alles. Denn auch die Soskas selbst wissen um ihre Rolle in diesem abgekarteten Spiel. Das offenbart ihr Cameo, in dem sie als in verführerisch knappes Weinrot gehüllte, koksende Vamps, die andere Frauen wegen ihres Aussehens verhöhnen, die Tragödie in Gang setzen. Wie Günter, der sich in einer Szene vor Fernsehkameras vehement dagegen wehrt, dass seine Modeschau abgesagt werden soll, nur weil ein tödliches Virus grassiert, sind auch sie schließlich dem über allem stehenden gesellschaftlichen Imperativ verpflichtet: The Show must go on!

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Rabid, Kanada 2019 | Regie: Jen Soska, Sylvia Soska | Drehbuch: John Serge, Jen Soska, Sylvia Soska | Musik: Claude Foisy | Kamera: Kim Derko | Darsteller: Laura Vandervoort, Benjamin Hollingsworth, Ted Atherton, Hanneke Talbot, Stephen Huszar, Mackenzie Gray, Stephen McHattie, Kevin Hanchard, Heidi von Palleske, Joel Labelle | Laufzeit: 107 Min.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors. Erschienen auf critic.de