Killing
Von Jörg Stodolka
Es ist schön zu sehen, dass es Dinge gibt, die sich nie ändern. Das Filmfestival von Rotterdam zeigte mit KILLING (ZAN) den neuesten Film von Shinya Tsukamoto – so wie auch (fast) alle seine bisherigen Werke dort zur Aufführung gelangt waren. Was sich jedoch – zumindest äußerlich – geändert hat, ist das Setting, denn mit KILLING legt der Kultregisseur seinen ersten Chanbara vor – einen Samuraifilm, angesiedelt in einer ländlichen Gegend des 19. Jahrhunderts.
Auf eine abgelegene Reisfarm hat es den jungen Ronin Tsuzuki verschlagen, wo er für seinen Lebensunterhalt auf den Feldern arbeitet. Einzig die spielerischen Kämpfe mit dem Bauernsohn erinnern an seine frühere Ausbildung. Mit der Ankunft des erfahrenen Samurai Sawamura ändert sich die Stimmung. Dieser möchte den jungen Mann mit ins alte Tokio nehmen, um dort das Heer des Kaisers zu unterstützen. Die sich anbahnende Romanze mit der Bauerntochter tritt damit in den Hintergrund. Darüber hinaus erscheint eine Bande von Wegelagerern, deren unterschwellige Bedrohlichkeit eine Spirale der Gewalt in Gang setzt, die das eigentliche Ziel nach Edo zu ziehen in weite Ferne rücken lässt.
Mit einer linearen Narration und wenigen abstrakten Einschüben ist Tsukamotos neuer Film sein bisher zugänglichstes Werk und eine weitere Reflexion über den Sinn des Tötens nach dem vorangegangen NOBI – FIRES ON THE PLAIN (2014). Wie schon dort sind es nicht mehr die kalten Betonbauten des modernen Tokio, die das Geschehen subtil kommentieren, sondern die unberührte Natur. In KILLING ist es auch immer wieder das Grün des Waldes, das den Hintergrund zu den Gewaltaktionen bildet – ein immanenter Antagonismus von Leben und Tod. Dabei sind es nicht die über die Laufzeit des Films eher spärlichen, dafür intensiven Schwertkämpfe, die Tsukamotos Film ausmachen, sondern gerade die Momente der Ruhe, in denen Akteure und Natur miteinander verschmelzen. Mit der Beobachtung eines Ronin, der trotz seines erlernten Handwerks des Tötens Skrupel bis zur Erstarrung bei der Ausübung seines Berufes hat, liefert er einerseits einen humanistischen Blickwinkel, den man so in period pieces nur selten zu sehen bekommt. Andererseits beinhaltet KILLING aber auch jene Themen, die Tsukamoto seit seinen Anfängen beschäftigen: Die Fetischisierung der Waffe und Glorifizierung des damit verbundenen Lebens im Kontrast zur ernüchternden Realität, die alle mythische Überhöhung zunichtemacht. Der Beginn des Films zeigt dementsprechend die Entstehung eines Schwertes, das aus glühendem Metall geschmiedet wird – die Geburt der Ikone einer Lebensweise, die neben der Ausübung von Gewalt auch immer eine unterschwellige Sexualität beinhaltet. Gewalt, Sex und Tod als untrennbare Komponenten einer fragilen Ideologie maskulinen Machismo, das die innewohnenden tragischen Konsequenzen ausklammert und durch ebenso fragwürdige wie leere Begriffe wie Ehre und Stolz zu verschleiern sucht. Da ist es nur folgerichtig, dass sich in KILLING Sperma und Blut vermischen – doch auch auf sexueller Ebene versagt der junge Ronin. Und damit befindet sich Tsukamoto thematisch wieder in sehr heimischen Gefilden, die bis zu seinem Kultfilm TETSUO zurückreichen: Immer ist die Kontrolle der Protagonisten über das Geschehen nur scheinbar und entgleitet ihnen zusehends. Insbesondere BULLET BALLET (1998) kommt hier in den Sinn, denn auch dort bleibt der Besitz einer Waffe zur Charakterstärkung reine Behauptung. Letztendlich sind die Hauptfiguren schwach und am Ende gescheitert.
Tsukamoto hat in seinem neuen Film strenges Schwarzweiß gegen sattes Grün getauscht, gun metal gegen Schwertstahl. KILLING mag weniger abstrakt und narrativer sein. Das macht ihn aber nicht minder intensiv und lässt mit dem langgezogenen Schrei in der letzten Szene des Films vom gerne glorifizierten Samuraileben nur noch eine zerstörte Hülle zurück. Untermalt wird das im Verlauf der Handlung zunehmend düstere und nihilistische Geschehen übrigens mit den treibenden Percussions von Tsukamotos langjährigem Wegbegleiter Chu Ishikawa. Leider markiert KILLING die letzte Zusammenarbeit des TETSUO-Komponisten mit dem Regisseur. Er starb bereits im Dezember 2017 viel zu früh mit 51 Jahren.
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Zan, Japan 2018 | Regie, Drehbuch, Schnitt, Produktion: Shinya Tsukamoto | Kamera: Shinya Tsukamoto, Satoshi Hayashi | Musik: Chu Ishikawa | Darsteller: Shinya Tsukamoto, Yu Aoi, Sosuke Ikematsu, Tatsuya Nakamura, Ryusei Maeda u.a. | Laufzeit: 80 Min.
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