Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück

Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück

Von Peter Clasen

2009 drehte Regisseur Florian Gallenberger mit Ulrich Tukur das aufwändige Historiendrama JOHN RABE. Mit der Starpower von Emma Watson (HARRY POTTER-Saga), Daniel Brühl (RUSH – ALLES FÜR DEN SIEG) und Michael Nyqvist (MILLENNIUM-Trilogie) versucht er sich jetzt an einem Politthriller – der mich leider völlig kalt gelassen hat…

Colonia_CoverSantiago de Chile, 1973: Der deutsche Politaktivist Daniel ist seit vier Monaten im bürgerkrieg-gefährdeten Land, um für den demokratischen Präsidenten Allende zu kämpfen – es heißt, die CIA wolle ihn stürzen. Freundin Lena, Stewardess bei der Lufthansa, nimmt sich ein paar Tage frei, um etwas Zeit mit ihrem Geliebten zu verbringen. Genau jetzt putscht sich das Militär an die Macht, General Pinochet startet Massenverhaftungen und Sofortexekutionen. Daniel und Lena werden wie tausende andere ins Nationalstadion gezerrt – ehe Daniel weiter verschleppt wird.

Die Mitkämpfer ahnen, dass Daniel in Colonia Dignidad gelandet ist und schreiben ihn ab, nur Lena nicht. Sie spielt die brave Christin und bittet um Aufnahme in der vom deutschen Laienprediger Paul Schäfer geleiteten „Kolonie der Würde“, um Daniel zu finden – dabei ahnt sie nicht, dass hier in verborgenen Tunneln ein Folterzentrum der Geheimpolizei steckt. Männer und Frauen begegnen sich in der „wohltätigen Mission“ allerdings praktisch nie: Sie und selbst die Kinder leben in getrennten Trakten und Welten. Während der schwer gefolterte Daniel den nun geistig Behinderten markiert, sucht Lena nach Wegen, überhaupt mit ihm in Kontakt zu treten…

Colonia_03Sorry, das ist nicht aufreibendes, großes Kino, das ist nur ein kleiner, bemühter TV-Film, den sich sämtliche Geldgeber so zahm und zahnlos zurechtgewünscht haben, dass man ihn nun, in dieser eher milden Form, gut im Fernsehen versenden kann – vielleicht nicht gerade um 20.15 Uhr, etwas später aber ohne Probleme. Als Zuschauer ist man weniger über die auf wahren Ereignissen beruhenden menschenfeindlichen Verhältnisse schockiert, sondern eher darüber, wie ein potenter, faszinierender Stoff verhunzt wird – und wie ein guter Regisseur sein Handwerk verrät.

Die Geschichte ist reich an potenziellen Suspense-Momenten, doch wirklich jeder davon wird verschlürt und hingehuscht – Hitchcock würde weinen, wenn er sähe, wie der späte Kollege Gallenberger sein Erbe schändet. Allerspätestens dann, wenn die Flüchtenden zum gefahrvollen Tauchen gezwungen sind, müsste man sich vor Angst in die Hose machen, doch nach wenigen, mehr als knappen Einstellungen, in denen der Tod droht, ist auch dieser Drops gelutscht – mehr verträgt der deutsche Fernsehzuschauer nicht, das tut er nicht mögen, und mehr kriegt auch der deutsche Kinozuschauer nicht geboten, ist halt jeder selbst schuld, wenn er für deutsche Gremienfilme Geld ausgibt!

Colonia_02Anderes Beispiel: Der bigotte Sektenleiter Paul Schäfer, der die Frauen auf dem Feld schuften lässt und die Männer (äh, was treiben die denn eigentlich tagsüber?) mit sadistischen „Herrenveranstaltungen“ bei Laune hält, ist ein heimlicher Päderast – aber nachdem der Herr die Pantoffeln abstreift, um den kleinen Jungs unter die Dusche zu folgen, erleben wir null verwüstete Kinderseelen, weder Schmerz, Blut noch Rebellion (der weinende Bub zu Filmbeginn ist so schlecht inszeniert, dass er nicht weiter ins Gewicht fällt), nur das Punkt Punkt Punkt bis zum nächsten Szenenschnitt – mehr verträgt der deutsche Fernsehzuschauer nicht, und intelligenter wird auch der deutsche Kinozuschauer nicht bedient.

Der Film guckt nicht hin, er senkt den Blick, bricht ab und schweift weiter. Wenn Lena beim Kartoffelnernten ausgelaugt zu Boden fällt und jetzt erst recht zum Opfer der sadistischen Aufseherin „Tante Gisela“ wird, nennt der Film zwar grob die Koordinaten der nun folgenden Pein, sieht sich aber außerstande, hier wenigstenz kurz zu verweilen – dabei wären genau dies die Szenen, die z.B. auch bei Steve McQueens 12 YEARS A SLAVE oder Angelina Jolies UNBROKEN hängen bleiben. COLONIA DIGNIDAD dagegen verschenkt eine Möglichkeit nach der anderen: Kurz gedacht, direkt bebildert, flott in der jeweiligen Auflösung.

Colonia_01An wirklich verstörenden Szenen leistet sich der Film eine einzige: nämlich die, als Daniel gefoltert wird. Trotzdem auch hier die gewisse Einschränkung: Der Moment ist schnell vorbei, und der Horror ist vor allem ein ästhetischer. Selbst der angedachte spätere Giftgastod von Daniel spielt sich vor allem auf der Erzählebene ab – für ein Hörspiel okay, für echtes Kino reicht das nicht.

Wieder ein Fall, wo man sich ein Hollywood-Remake wünscht, das jede Chance wirklich nutzt, aber nachdem HARRY POTTER-Darling Emma Watson schon einmal das Gesicht hingehalten hat, wird so schnell nichts Neues kommen, der Stoff ist verbrannt. Wer die Misere des deutschen Kinos verstehen will, muss diesen Film sehen – nicht unbedingt jetzt im Kino, es reicht die Ausstrahlung in ein paar Monaten im TV, dort, wo der Film von Anfang an hingehört.

Erschienen im TV Spielfilm Blog.

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Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück, Deutschland / Luxemburg / Frankreich 2015 | Regie: Florian Gallenberger | Drehbuch: Torsten Wenzel, Florian Gallenberger | Kamera: Kolja Brandt | Musik: André Dziezuk, Fernando Velazquez | Mit: Emma Watson, Daniel Brühl, Michael Nyqvist, Richenda Carey, Vicky Krieps, Jeanne Werner, Johannes Allmayer, u.a. | Laufzeit: 11o Min. | Verleih: Majestic