San Andreas
Von Peter Clasen
Riesenkatastrophenspektakel trifft Familienkitschministory ergibt Durchschnittslangweiler mit Allesfliegtdirumdieohrenbudenzauber. Mehrwissenwollen?
Ray Gaines ist Rettungsflieger beim Los Angeles Fire Department, er war mit seinem Team schon in Afghanistan und hat bislang über 600 Einsätze geflogen – der Mann, der mit seinem Helikopter die kühnsten Stunts hinlegt, um hübsche Mädchen selbst aus auswegloser Lage zu befreien, hat einfach alles im Griff. Nur seine Familie nicht – bzw. seine Emotionen. Deshalb hat ihn seine Frau Emma auch gerade verlassen, die Scheidungspapiere geschickt und will nun zu Daniel ziehen, dem Stararchitekten, der in San Francisco das größte und stabilste Haus der Stadt hochzieht, der Bau ist fast schon fertig. Auch Tochter Blake ist zu Papi höflich-distanziert. Da müssen erst ein paar gewaltige Erdbeben passieren, ehe die Damen kapieren, wer ein echter Kerl ist und wer nicht. Seismologe Lawrence und sein Kollege Kim sind knapp davor, das in Kalifornien seit 100 Jahren überfällige große Beben vorauszusagen – und als sie auf dem Hoover-Staudamm in Nevada stehen, geht es auch schon los…
Es ist zum Greinen: Die Tricks sind alle recht hübsch geworden (Roland Emmerichs „2012“ bleibt trotzdem unerreicht), die Bilder sind zwar immer leicht unscharf, aber die Zerstörungseffekte-Software tut ohne Frage einen guten Dienst (die zusätzliche 3D-Konvertierung ist grob und plakativ, aber erträglich). Leider fußt das große Spektakel, das die Schicksale von Millionen Menschen, ja einer ganzen Nation betrifft, auf einer Familienstory, die so pütscherig, kitschig, klischeehaft und in all ihren bescheuerten Details so vollkommen absurd ist, dass man sich fast schämt, für etwas eine Kinokarte gelöst zu haben, das vom erzählerischen Niveau exakt auf Höhe der RTL-II-Disaster-Trashmovies liegt.
Hier also der Held und seine Beinahe-Ex, die auf großer Katastrophenrundreise doch noch Zeit für ein klärendes Gespräch finden; dort die Tochter, die mit einem propperen Briten und dessen kleinem Bruder einen Weg durch die Ruinenstadt und zu den Eltern sucht; nebenbei noch der Seismologe, der sich gleich zweimal unter den schützenden Tisch verkriecht (armer Paul Giamatti, sich in Hollywood die Miete zu verdienen kann echt hart sein) sowie der miese, feige Daniel (armer Ioan Gruffudd, s.o.), der seiner gerechten Strafe für soziales Totalversagen aber nicht entkommen kann. Der ganze, millionenfache Rest ist Staffage, spielt keine Rolle, auch nicht die sicherlich zahlreichen Leichen solcher tragischen Ereignisse.
Wer den Eindruck hat, ich würde an dieser Stelle schon zuviel verraten, täuscht sich: Der Ablauf der Geschichte ist mit einführender Beschreibung der, hüstel, Charaktere glasklar vorgezeichnet. Keine Frage, dass Ray trotz allem der tollste Vater der Welt ist (Männer reden halt nicht so gern, sie machen lieber was) – und Daniel so wenig standfest wie sein tolles Hochhaus. Apropos: Wie die Dinger kippen, fallen, sich spalten oder immer wieder der Länge nach flach hinlegen, sieht schon echt schick aus – aber ist das realistisch? Nun, vor 9/11 hatte man auch keine Vorstellung davon, wie ein World Trade Center auf inwendige Explosionen reagieren würde, vielleicht wissen wir bald mehr…
Immerhin haben wir jetzt schon mal erfahren, wie man die Riesenwelle des Tsunami reitet – und dass es in jeder Schneise der Zerstörung einen kleinen Pfad der Unverwundbarkeit gibt. Jedenfalls tut sich der genau dort auf, wo Vater Ray am Wirken ist. Er schlingert nicht nur im Heli zwischen kollabierenden Wolkenkratzern oder purzelnden Schiffscontainern hindurch, nein, er steuert auch im Motorboot durch überflutete Straßen, die voller Schutt und Wracks und Krempel stecken, nur wundersamerweise nicht dort, wo er gerade langbraust. Das Wasser ist dabei herrlich klar, und dass Papi seine verschollene Tochter unter Zigmillionen findet, ist es ebenso. In anderen Worten: Ich habe euch gewarnt.
Erschienen im TV Spielfilm Blog
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San Andreas, USA/Australien 2015 | Regie: Brad Peyton, Buch: Carlton Cuse, Andre Fabrizio, Jeremy Passmore | Mit: Dwayne Johnson, Carla Gugino, Alexandra Daddario, Paul Giamatti, Ioan Gruffudd, Kylie Minogue, u.a., Laufzeit: 114 Min., Verleih. Warner (Kinostart: 28.05.2015)