Occupied, 1. Staffel

Occupied, 1. Staffel

Von Shamway

Norwegen macht ernst. Der grünste Staat Europas, fortschrittlich in Elektrifizierung wie Stromgewinnung durch Windkraft, will nun seinen größten Makel abstoßen: Das viele Geld des Landes stammt von ihren schier unendlichen Öl- und Gasreserven vor den Küsten des Landes. Zum neuen Premierminister Norwegens wurde Jesper Berg (Henrik Mestad) gewählt, und er setzt seine Wahlversprechen schnell um. Die gesamte fossile Energieförderung wird heruntergefahren und eingestellt und das Land schließt seine Energielücke mit drei Thoriumkraftwerken. Der EU, die jedoch auch Öl und Gas aus Norwegen bezieht, schlägt er vor, dasselbe zu tun. Allerdings fehlt der EU das Interesse auf eine Umstellung auf nachhaltige Energie. Sie benötigt die fossilen Energien aus Norwegen weiterhin und schließt einen Deal mit Russland ab. Russland soll die norwegischen Ölplattformen besetzen, denn die Russen sind das nächstgelegene Land mit der nötigen Erfahrung, das Öl in no time wieder zum Sprudeln zu bringen. Russland gewinnt dadurch natürlich nicht die Sympathien des norwegischen Volkes, aber trotzdem auf dem norwegischen Festland immer mehr an Bedeutung. Reiche Russen kommen nach Norwegen, Restaurants und Hotels blühen auf, viele Norweger fühlen sich in einem besetzten Staat, obwohl weder russisches Militär oder Polizei, noch russische Gerichtsbarkeit oder Regierung im Land anwesend sind. Das schlecht laufende Restaurant von Bente Norum (Ane Dahl Torp) etwa erfährt neuen Schwung durch hochkarätige russische Gäste. Nicht unbedingt zur Freude ihres Mannes Thomas Eriksen (Vegar Hoel), der als Investigativjournalist auf einmal erpressbar werden könnte. Die Norweger murren.

In der Realität war es übrigens umgekehrt: Die russische Regierung hat 2015 Protest gegen die Lancierung von OCCUPIED eingelegt. In der Stellungnahme der russischen Botschaft heisst es: „Es ist bedauerlich, dass sich die Erfinder der Serie entschlossen haben, ausgerechnet zum 70. Jahrestag nach Ende des Zweiten Weltkriegs die norwegischen Zuschauer – in der schlimmsten Tradition des Kalten Kriegs – mit einer nicht existenten Gefahr aus dem Osten zu erschrecken, so als hätten sie den heldenhaften Beitrag vergessen, den die sowjetische Armee bei der Befreiung des nördlichen Norwegens von den Nazi-Besatzern geleistet hat.“ Das ist tatsächlich nicht ganz fair, wenngleich für uns antirussisch indoktrinierten Westler die Idee natürlich verfängt: Russland bietet sich als glaubwürdige Möglichkeit eines Besetzers eben an. Trotzdem ist es nicht eben vertrauensfördernd, dass Hauptdarsteller Henrik Mestad Recherchezeit mit dem ehemaligen norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg verbringen durfte. Denn schließlich fungiert Stoltenberg heute als NATO-Chef.

Dem Schöpfer der Story, Bestsellerautor Jo Nesbo, ging es vor allem um die Befindlichkeit eines Staats, der sich in seinen Bemühungen um Klimaveränderung allein gelassen fühlt. Nicht ganz zu Unrecht, wenn man Worte und Taten in der Rest-EU miteinander vergleicht. Nesbo ging es auch um eine Besetzung: Wie würde man in Norwegen darauf reagieren? Wie (schnell) verändert sich eine stabile Demokratie, wenn sie plötzlich von einer fremden Macht besetzt wird? Sehr schnell, ist die Antwort. In OCCUPIED überschlagen sich Ereignisse, wird die Situation schnell immer dramatischer. Ein Attentat auf die russische Botschafterin Irina Sidorova (Ingeborga Dapkünaité) kann mit Glück und dem Einsatz von Jesper Bergs Bodyguard Hans-Martin Djupvik (Eldar Skar) gerade noch verhindert werden. Auch Berg selber ist ständig in Gefahr. Nicht nur durch die sich formierende terroristische Befreiungsbewegung „Fritt Norge“, die von Journalist Thomas Eriksen hart angegangen werden. Schließlich entpuppt sich der große Feind im Regierungsgebäude. Die Innenministerin Wenche Arnesen (Ragnhild Gudbrandsen) lässt ihre Beziehungen zur Armee spielen, um Jesper Bergs Treiben und den Russen Einhalt zu gebieten. In diesem aufkommenden Chaos, das tempomäßig in die Nähe zum Spannungsklassiker „24“ gesetzt werden kann, ist ausgerechnet die russische Botschafterin nicht nur Interessensvertreterin ihres Landes, sondern diejenige, die zwischen den Interessen ihres Landes und denjenigen Norwegens zu vermitteln weiß. Oft nicht so, wie wir Zuschauer das erwarten würden – weil wir uns zu wenig in die wahren russischen Interessen und Befindlichkeiten einfühlen können. Aber so, dass ein Status Quo bestehen bleibt – was aber nicht heißt, dass alles gut ausgeht.

Zum Glück auch fehlt der Serie ein Einzelkämpfer vom Format eines Jack Bauer. So kann OCCUPIED innerhalb des voranpreschenden Plots viel stärker auf all die Effekte der „Besetzung“ (ob vermeintlich oder real wird offen gelassen) fokussieren oder sie zumindest antippen. Wo soll sich kritischer Journalismus ansiedeln? Bei Russland, Regierung oder Rebellen – oder wird er nicht zermalmt in der Ausnahmesituation? Entwickelt sich in Militär oder Nachrichtendiensten ein opponierender Staat im Staat? Unabhängigkeitsbewegung? Fünfte Kolonne? Zerrissene Familien aus Russlandfreunden und Russlandfeinden?

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Okkupert, 1. Staffel, Norwegen / Schweden / Frankreich 2015 – 2019 | Regie: Erik Skjoldbjærg, Erik Richter Strand, Pal Sletaune, Eva Sorhaug, John Andreas Andersen | Musik: Nicholas Sillitoe | Darsteller: Henrik Mestad, Eldar Skar, Janne Heltberg, Selome Emnetu, Ingeborga Dapkünaité, Ane Dahl Torp, Vegar Hoel u.a. | Laufzeit: 10x 46min.

Die Serie ist noch bis am 9.Dezember 2022 auf der arte Mediathek zu sehen.