Hamburg Transit (3. Staffel, Folgen 27 – 39)
Von Christopher Klaese
Selten hat das deutsche Fernsehen die Vorabendunterhaltung mit so viel Verve eingeläutet – HAMBURG TRANSIT beginnt mit einem Titelvorspann, der noch heute mächtig Power hat. Mit seinen schnellen Schnitten, poppigen Farbverfremdungen, übereinandergelegten Bildverdreifachungen, geschichteten Invertierungseffekten, rotierenden Stadtansichten, herumsausenden Verkehrsmitteln und in Signalgelb aufzoomenden Titellettern wirkt er fast wie eine bundesdeutsche Version des HAWAII FÜNF-NULL-Openers (1968-1980). Zu Lande, zu Wasser und durch die Lüfte strömen die Menschen, Existenzen und Schicksale in „Das Tor zur Welt“, die Hafenstadt mit Herz, die Metropole mit gepflegtem Understatement. Träume und Tragik, Verbrechen und Verlieben, Rotherbaum und Reeperbahn – in Hamburg liegen die Extreme oft nur Straßenecken voneinander entfernt, ganz gleich, ob man hier wohnt oder nur auf der Durchreise ein paar Stunden Aufenthalt hat.
Mit HAMBURG TRANSIT katapultierte Gyula Trebitsch seine Firma Studio Hamburg in die knallbunten 1970er Jahre hinein. Bereits mit Hafenpolizei (1963–1966) und Polizeifunk ruft (1966–1970) hatte er erfolgreiche Krimiserien für die Vorabendschiene lanciert, denen sich HAMBURG TRANSIT als direkte Fortsetzung anschloss. Erneut entwickelte Trebitsch eine Serie, die ihren Teil zum föderalen Charakter der ARD-Sendeanstalten beitrug. Vom Haldenwanger Eck im Süden bis nach List auf Sylt im Norden sollten die Fernsehzuschauer die regionale und kulturelle Vielfalt Deutschlands in die Wohnzimmer gesendet bekommen. Dankenswerterweise zeichnete sich HAMBURG TRANSIT durch sympathische Hauptfiguren aus – die drei ermittelnden Kommissare wurden durch Karl-Heinz Hess, Eckard Dux und Heinz-Gerhard Lück verkörpert, die allesamt aus der Vorgängerserie Polizeifunk ruft übernommen wurden – sowie die Stringenz, möglichst viele Außenaufnahmen direkt an Originalschauplätzen zu drehen. Somit entging man der mitunter etwas drögen Studioatmosphäre und fing spürbares Flair „on location“ ein.
Auch die dritte Staffel bietet zahlreiche Gaststars, deren Aufzählung sich wie ein Who’s Who der beliebtesten Schauspieler jener Zeit liest: Karl-Otto Alberty, Dagmar Berghoff, Katharina Brauren, Uwe Dallmeier, Götz George, Ralf Gregan, Brigitte Grothum, Edgar Hoppe, Käte Jaenicke, Günter Lamprecht, Christiane Maybach, Gunnar Möller, Franziska Oehme, Kurd Pieritz, Hans Schellbach, Nikolaus Schilling, Rolf Schimpf, Willy Semmelrogge oder Lilith Ungerer – sie alle geben sich hier ein Stelldichein. Für Fans deutscher Sychronbearbeitungen ist es zudem eine große Freude, sonst eher durch ihre Stimme bekannte Akteure wie Kathrin Ackermann, Heinz Theo Branding, Ulrich Gressieker, Ingeburg Kanstein, Gottfried Kramer, Gunther Malzacher, Hans-Georg Panczak oder Peter Schiff in raren Auftritten vor der Kamera zu erleben.
Hinter der Kamera etablierte Trebitsch für die dritte Staffel einen Mix aus bewährtem und neuem Personal. Er verpflichtete mit Claus Peter Witt einen versierten Spielleiter, der sich durch die zweite Staffel für weitere Aufgaben empfohlen hatte und HAMBURG TRANSIT einen aktionsbetonten Touch verlieh. Für die letzten fünf Episoden der Staffel wagte der Produzent zudem das Experiment, je eine Folge an innovative Regieneulinge zu vergeben, die zum Teil ganz bewusst vom üblichen Schema der Serie abwichen. Darunter waren „Eintagsfliegen“ wie Wolf Erlend Rosenberg oder Vielfilmer wie Dieter Schlotterbeck, aber mit Dieter Wedel auch ein Charakterkopf, der mit Fernsehepen wie DER GROSSE BELLHEIM (1993) oder DER KÖNIG VON ST: PAULI (1998) zum späteren Chronisten deutscher Realität werden sollte. Als Kameramann kam bei HAMBURG TRANSIT nunmehr der einer Schauspielerfamilie entstammende Kai Borsche zum Einsatz, dessen starker Einsatz der Handkamera und natürlicher Beleuchtung der Topoi die Hansestadt wie den Moloch eines Blaxploitation-Films wirken ließ. Harald Winkler schließlich, dessen temporeiches, signalartig-fanfarenhafte und in Bläsern wie Streichern energische Titelthema weiterhin in Gebrauch blieb, wurde auch für die Episodenscores der dritten Staffel durch den für Fernsehserien und Werbefilme arbeitenden Hans Günther Leonhardt ersetzt, Bedauerlicherweise blieben Leonhardts abwechslungsreiche und spannungsgeladenen Soundtracks für HAMBURG TRANSIT kommerziell unveröffentlicht.
Auch bei den Geschichten standen für HAMBURG TRANSIT hervorragende Autoren parat, die sich an spannungsreichen Themen wie Vergiftungsuntat, Fundunterschlagung, Schwarzbrennerei, Suizid, Pelzschmuggel, Bombenattentat, Giftmüllverknappung, Hochstapelei, Drogenhandel, Diamantenraub, Gefängnisausbruch, Schließfachdiebstahl und Veruntreuung abarbeiteten. Irene Rodrian, die die meisten Drehbücher zur Serie schrieb, war eine der ersten deutschen Krimiautorinnen und erlangte damals über den Rowohlt-Verlag große Bekanntheit. Jürgen Knop, der Roger Fritz‘ Meisterstück MÄDCHEN MIT GEWALT (1969) mitgescriptet hatte, lieferte ebenso Geschichten wie Hansjörg Martin, Miterfinder des ‚neuen deutschen Kriminalromans‘ und Vielschreiber von rororo-Thrillern. Grimme-Preisträger Herbert Lichtenfeld schließlich hatte mit Kommissar Finke gerade einen populären TATORT-Kommissar (1971-1978) erfunden und verfasste später familientaugliche Seriendauerbrenner wie DIE SCHWARZWALDKLINIK (1984-1988) oder DER LANDARZT (1986-1997).
HAMBURG TRANSIT ist für Nostalgiker, Kenner, Liebhaber und Interessierte eine wahre Fundgrube und Gelegenheit, die damaligen Szenerien mit den heutigen Gegebenheiten abzugleichen und dabei festzustellen, wieviel sich doch in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Außerdem sind die kurzweiligen Episoden hervorragendes Zeit- und Lokalkolorit in hochdosierter Form. Sie stammen aus einer Welt, in der die heute oft überfüllte Köhlbrandbrücke noch im Bau war, man zum Telefonieren zwei Groschen brauchte, halb Deutschland VW Käfer fuhr, auf Partys in Harvestehude Roberto-Delgado-LPs liefen und man die Streife Peterwagen nannte.
Nachdem die vor einigen Jahren erschienene, ursprüngliche Auflage nur noch zu heftigen Sammlerpreisen den glücklichen Besitzer wechselt, hat dankenswerterweise Pidax vor einiger Zeit HAMBURG TRANSIT im platzsparenden Format und mit nutzerfreundlichem Wendecover neu veröffentlicht. Auf sieben DVDs sind alle 52 Folgen der Serie untergebracht, wobei die Qualität der auf Film im Vollbildformat gedrehten Episoden als durchgängig gut bezeichnet werden kann und in farbenfroher Pracht, frei von großen Unsauberkeiten zu genießen ist. Der deutsche Ton in klarem Mono garantiert über 1200 Minuten spannende, abwechslungsreiche und höchst unterhaltsame Kriminalspannung von der Waterkant. Sie entführt einen in die große, weite Welt im Kleinen, in den Szenekiez der Freien und Hansestadt Hamburg – in den wohligen und stets charmant reizvollen Trubel einer Zeit, die unsere mittlerweile gnädig betrachtete und mit etwas goldener Patina versehene, eigene Vergangenheit ist. Ahoi!
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Hamburg Transit (3. Staffel) | D 1972/1973 | Regie: Claus Peter Witt/Dieter Wedel/Diethardt Klante/Rainer Söhnlein/Dieter Schlotterbeck/Wolf Erlend Rosenberg | Darsteller: Karl-Heinz Hess, Eckart Dux, Christiane Maybach, Götz George, Gunnar Möller, Brigitte Grothum u.a.
Anbieter: Pidax
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