Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen

Betrachten wir die Angelegenheit als abgeschlossen

Von Christopher Klaese

„NO“ – in großen, bildfüllenden, roten Lettern. Vor einem diesig-trüben Blick ins Tal ist es mit das Erste, was wir von NO IL CASO È FELICEMENTE RISOLTO sehen. Ein großes „NEIN“ zur Welt, zum Staat, zur Gerechtigkeit. Dass Riz Ortolani dieses Bild mit einem elegischen Rockbeat grundiert, in dessen Verlauf ein wehmütig klagender Synthesizer mit den fragilen Streichern um die Seele des Zuschauers ringt, verleiht der Szenerie zusätzlichen Fatalismus. Dann ein harscher Bruch und erste Anzeichen, dass die Welt aus den Fugen ist: mit geschickter Doppelmontage werden wir desorientiert. Das Bergidyll bleibt sichtbar, doch wir hören die adrenalingesteigerte Klangkulisse eines Serie-A-Fußballspiels – und umgekehrt. Es bleibt nicht das letzte Mal, dass wir uns fragen: sind wir noch normal? Oder sind wir schon so verrückt wie unsere Welt?

Cover-ANGELEGENHEITFabio Santamaria (Enzo Cerusico) ist kein Glückskind. Denn anstelle einer Angelerholung tritt das blanke Entsetzen ein: er beobachtet im Schilf einen Mord. Er sieht den Mörder – und der Mörder sieht ihn. Doch um nicht selbst in Verdacht zu geraten, geht er nicht zur Polizei – und schweigt. Nicht so der Mörder, Professor Ranieri (Riccardo Cucciolla), der nun seinerseits Fabio eines Mordes bezichtigt. Und da Fabio weder zur Oberklasse noch zu den intelligentesten Menschen auf dem Erdenrund gehört, fährt die italienischen Justiz nun den vollen Apparat an, in dessen unbarmherzig mahlendem Mühlwerk für Fabio alles unter die Räder kommt. Doch Peppi (Enrico Maria Salerno), ein erfahrener und menschenerfahrener Journalist, hat in Bezug auf diese ganze Angelegenheit so seine ganz eigenen Ideen.

Wie die Täuschung und die bewusste Dysfunktion zwischen Bild und Ton zu Beginn, so verkehrt Vittorio Salerno in seinem Regiedebüt die ‚heile Welt‘ in Hitchcock’sches Drama. Der Unschuldige, der eines Verbrechens bezichtigt wird, von dem er alleine weiß, dass er es nicht begangen hat. Aber Enzo Cerusico ist kein James Stewart, eher eine Mischung aus Cary Grant und Nino Manfredi. Und doch wird ihm eine Charakterschwäche zum Verhängnis: er will sich nicht positionieren, er möchte im Ungefähren sein Leben weiterleben. So wie es weite Teile der Gesellschaft damals taten. Für Cerusico ist es die Rolle seines Lebens und auch Cucciolla, ansonsten auf positive Rollen festgelegt, merkt man die Dankbarkeit der Chance gegenüber an, die ihm dieser Film bietet: sein ganzes schauspielerisches Können in den Dienst einer Predigt wider die Gleichgültigkeit zu stellen. Enrico Maria Salerno, jener fabulöse Mime dem von Kunstfilm bis Kommerzplotte nichts fern war, verbeißt sich als gewitzter Pressevertreter mit Verve in seine Arbeit und beschließt den Reigen der Schauspielheroen – bei den weiblichen Darstellern kann speziell Martine Brochard in einer kurzen, jedoch prägnanten Rolle wirksam akzentuieren.

ANGELEGENHEIT-02Justitia; die mythologische Personifikation der Gerechtigkeit. Eine Gottheit, deren unfehlbare Weisheit den Irdischen Halt und Sicherheit gibt. Doch was geschieht, wenn die Vollkommenheit aus dem Göttlichen weicht, wenn für Menschen dieser Souverän seine Verpflichtung und Kraft verliert? Man schwingt sich auf, selbst Gott zu sein – man bemisst sich eigens das Maß der Schuld, man legt sich den persönlichen Maßstab zur Erfüllung an. Diesem Trugbild erliegen sowohl Fabio als auch Ranieri, denn die Verantwortung für die eigene Tat – ob nun Mörder oder Zeuge ist ganz gleich – will keiner der beiden übernehmen. Während Fabio sich mit lakonischer Inkonsequenz und eher lapidaren Floskeln zu beruhigen sucht, sich nicht zum Richter machen möchte und sich doch immer tiefer in den Abgrund reitet, verhängt Ranieri – dargeboten in einem intensiven und an doppeldeutigem Zynismus kaum überbietbaren Dialog zwischen den beiden – sich seine Strafe selbst: „Wenn ich für meine Tat ins Gefängnis ginge, so wäre dies als Sühne für die Bestie in mir nicht genug. Aber mit dieser Bestie als freier Mann zu leben, bis ans Ende meiner Tage; das ist die viel größere Pein und ich verhänge sie mir durch eigene Hand“. Furchterregend ist bei beiden Figuren, dass sie Justitia zu keinem Augenblick auch nur zutrauen, dass sie überhaupt in der Lage wäre, ohne Ansehen der Person Recht zu schaffen. Mit welcher Stringenz und bitterer Selbstironie die italienische Judikative jener Jahre hier an den Pranger geführt wird, hat man selten gesehen.

ANGELEGENHEIT-03Innerhalb der Italian Genre Cinema Collection (IGCC) ist im schmuckvollen Digipack nun als siebzehnter Eintrag dieser wunderbare Film erschienen, wobei sich der Breitbildtransfer in bester Qualität präsentiert und das vom Label gewohnt hohe Niveau zu halten vermag. Neben der deutschen Synchronisation, die einst für einen Kinoeinsatz in der DDR entstand, ist der italienische ‚Originalton‘ enthalten. Bei den Extras sticht neben dem souveränen Audiokommentar der Filmwissenschaftler Dr. Marcus Stiglegger und ‚The Migthy‘ Kai Naumann die Featurette „Mother Justice“ hervor, in der Regisseur Vittorio Salerno und Schauspielerin Martine Brochard über die Produktionsumstände und das damalige Klima im Lande Auskunft geben. Auch erklärt der Regisseur, wie es zu dem alternativen Ende kam, dass man sich im separaten Vergleich ansehen kann. Der italienische Trailer, eine Fotogalerie sowie ein Booklet des Filmgelehrten Christian Keßler runden die Extras ab, welche durchgängig mit mehrsprachigen Untertitelwahlmöglichkeiten versehen sind.

Dass dieser Film nunmehr seine Blu-ray-Weltpremiere feiert und erstmalig mit dem vom Regisseur ursprünglich intendierten Ende verfügbar ist, gestaltet sich als echte Entdeckung. Denn wie schon bei Lizzanis, ebenfalls bei Camera Obscura erschienenem, SAN BABILA ORE 20: UN DELITTO INUTILE (1974), können wir wirklich begreifen, warum Menschen in der damaligen Gesellschafft so gehandelt haben. Und da sich an menschlichen Grundeigenschaften nichts geändert hat, ist der Film aktuell und universell geblieben. Ein kleiner Klassiker, dessen Sinn, Zweck und Wirkung, man in keinem Fall als abgeschlossen betrachten sollte.

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No il caso è felicemente risolto, I 1973, R: Vittorio Salerno, D: Enzo Cerusico, Enrico Maria Salerno, Riccardo Cucciolla, Martine Brochard, Umberto Raho, Antonella Dogan

Anbieter: Camera Obscura