3000 Jahre Sehnsucht

3000 Jahre Sehnsucht

Von Shamway

George Miller ist ein seltsamer Regisseur. Er schrieb und inszenierte 1979 mit MAD MAX den Postapokalypse-Film, der genau dem Zeitgeist entsprach und sofort eine kultische Fanbase generierte. Spätestens mit MAD MAX 2 (1981) zeigte er, was für ein kreatives Genie in ihm steckte: klare, dramaturgisch saubere Story, unglaublich einfallsreiche Dekors und Ausstattung (atemberaubend punkige Endzeitautos!), präzise, straighte Charakterzeichnungen. Nachdem er 1985 mit MAD MAX 3 auch ein riesiges Budget in die Postapokalypse eintauchte, trumpfte er zwei Jahre später mit DIE HEXEN VON EASTWICK (1987) mit einem humorvollen, magischen Film über ins Leere laufenden männlichen Machismo auf. Beinahe jede Szene war humorvoll und interessant: überraschende, witzige Einstellungen voll visueller Ideen, dramaturgischer Kniffe, geschliffener Dialoge. Wer hatte den feministischen Diskurs der achtziger Jahre und seine Schwachstellen (fällt man nicht trotzdem dem arroganten Mr. Big zum Opfer?) jemals so unterhaltsam aus einer weiblichen Perspektive inszeniert (ja, Miller konnte das!)?

Danach herrschte mehr oder minder Stille – und wer sich weitere Highlights in den Diskursfeldern Gender oder Apokalypse des so talentierten Miller erhoffte, wurde enttäuscht. Nach dem sehr guten Drama LORENZOS ÖL (1991) folgten die Kinderfilme SCHWEINCHEN BABE IN DER GROSSEN STADT (1998), HAPPY FEET (2006) und HAPPY FEET 2 (2011), ersteres durchaus sehenswert – aber so what?! In 2015 dann der Hammer: MAD MAX – FURY ROAD war ein Film, dem man sich nicht entziehen konnte und in dem Miller das ganze Können und die ganzen Stärken vollumfänglich ausspielte. Was für eine Rückkehr des damals bereits Siebzigjährigen!

Bevor er die MAD MAX-Serie fortsetzt (hoffentlich nicht nur als Produzent), erscheint nun 3000 JAHRE SEHNSUCHT (3000 YEARS OF LONGING) im Kino. Alithea Binnie (Tilda Swinton) sagt bereits in der Einleitung: “My story is true. You’re more likely to believe me, however, if I tell it as a fairytale …” Mit dieser Aussage wird einerseits bereits darauf hingewiesen, dass man gewisse Verfremdungen (Märchen) in Geschichten packen muss, damit sie verstanden oder akzeptiert werden, andererseits fordert Miller mit diesem Satz geradezu dazu auf, die fabulierende Story zurück zu übersetzen und zu interpretieren.

Alithea Binnie selbst ist Forscherin auf dem Gebiet der Narratologie. Sie lebt seit Unzeiten allein und ist glücklich dabei – weil sie sich damit auf ihr geistiges Leben und ihre Untersuchungen konzentrieren kann. Miller begeht überhaupt nicht den Fehler, Binnie als Frau mit Mangel (weil einsam) darzustellen – im Gegenteil: Ihre Leidenschaft für die geistigen Exkursionen zeigt sich in ihrem ‚restless leg‘, das seit ihrer Jugend dann einsetzt, wenn sie liest oder schreibt.

An einem Kongress in Istanbul wird sie mit Visionen von großer Intensität konfrontiert, so stark, wie sie sie seit ihrer Jugend nicht mehr hatte. Eine Rückkehr der verdrängten kindlichen Imagination, dieses Mal mit Dschinn und der arabischen Welt des Mittelalters (während sie am Kongress noch erklärt, wie mythologische Figuren, die früher der Erklärung von Phänomenen dienten, umso mehr zu Metaphern werden, wie die Wissenschaft Fortschritte macht). Der Dschinn (Idris Elba) in ihrem Hotelzimmer wird von ihr genötigt, seine Geschichte zu erzählen, weil sie – ganz rational – erst einmal nicht drei Wünsche äußern möchte, die ihr bisher so glückliches Leben ins Negative drehen könnten.

Die Gespräche der beiden im Hotelzimmer haben beinahe etwas von einem Zweipersonen-Theaterstück, sind aber unterbrochen durch die fantastischen, mit Special-Effects gespickten Erzählungen des Dschinns. Dabei ist Millers Filmsprache immer noch genauso gespickt mit überraschenden Details und großartigen Einfällen wie zu EASTWICK-Zeiten. Dieselbe Filmsprache – und auch thematisch nicht ganz verschieden.

Sieht man sich den Werdegang des Dschinns in seinen Erzählungen an, wird da das Beziehungsleben von Alithea (der Name bedeutet übrigens „Die Wahrhaftigkeit“) nachgezeichnet. Weil das aus geschlechterparitätischen Gründen heutzutage vielleicht nicht ganz politisch korrekt ist, muss es verklausuliert als verspielter Fantasyfilm-im-Film dargestellt werden. Dabei ist Millers Film aber gar nicht antifeministisch. Wenn anfangs der Dschinn seine Position als Liebhaber der Königin von Saba verliert, weil König Salomo ihr souffliert, was an einem Mann begehrenswert sein soll, so zeigt das die gesellschaftliche Konditionierung des weiblichen Begehrens auf (womit die Widersprüche der drei Hexen von Eastwick wieder thematisiert werden). In der Folge zeigen sich mehrere Konstellationen, die den psychologischen Weg von Alithea nachzeichnen, bis hin zur jungen Zefir, die das gesamte Wissen der Menschheit in sich aufnimmt und die damit so etwas wie die aktuelle Situation Alitheas widerspiegelt.

Alithea und der Dschinn teilen die durchaus zufriedene Erfahrung von Einsamkeit und finden schließlich über die Fiktion zueinander. Liebe entsteht hier in der Fiktion, nicht in der Wissenschaft.

George Miller hat keinen atemberaubenden, aber doch einen überaus klugen und schönen Film geschaffen, als Pause zur neuen MAD-MAX-Trilogie (er nennt sein Werk auch einen „Anti-Mad Max“), deren mittlerer Teil demnächst ansteht.

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Three Thousand Years of Longing, Australien 2022 | Regie: George Miller | Drehbuch: George Miller, Augusta Gore | Kamera: John Seale | Musik: Junkie XL | Darsteller: Tilda Swinton, Idris Elba, Aamito Lagum, Burcu Gölgedar, Ogulcan Arman Uslu u.a. | Laufzeit: 108 min.