Die Taube von Bozen - ganz persönliche Erinnerungen an Peter Martell

Die Taube von Bozen – ganz persönliche Erinnerungen an Peter Martell

Von Marian Dora

Denken sie an all das, was dieser Mann erlebt haben muss!
So viele Filme. Viele Länder. Viele Frauen. Das Leben gespürt. Jeden Tag. Existenz in ihrer angenehmsten Inkarnation.
Zur richtigen Zeit geboren. Am richtigen Ort. Mit den richtigen Genen. Und dem Quäntchen Glück, das man trotz allem dennoch braucht.
Geboren in die goldene Zeit des italienischen Kinos.
Man kann gar nicht anders, als diesen Mann beneiden.
Alle Hoffnungen, Träume, Wünsche werden in eine solche Person projiziert.
Weiß man das Geschenk des Daseins wirklich zu schätzen? Holt man alles aus den wenigen Jahren heraus, die einem das Schicksal zubilligt? Hat man den Mut, dem Leben jenen Raum zuzugestehen, welcher größtmögliche Entfaltung ermöglicht? Oder lässt man sich zu sehr gefangen nehmen durch Konventionen, durch Erwartungen, durch Sicherheitsdenken?

Es ist Abend. Wir schlendern in der Dunkelheit durch die Gassen von Bozen. Auf dem Weg in die nächste Kneipe. Es ist Herbst, die Luft schon kühl.
In einer leeren Seitengasse, in ungewöhnlicher Position, sich mit einem Flügel an der Hausmauer abstützend, eine Taube. Sie atmet schwer, ist offenbar verletzt. Flügel gebrochen? Ich beuge mich zu ihr hinunter. Das Tier hat ganz offensichtlich ein ernstliches Problem. Wie lange es noch aushält, lässt sich schwer einschätzen. Auch die genaue Art der Verletzung nicht. Von einem Hund gebissen worden? Blut kann ich nicht erkennen. Was aber auch an den Lichtverhältnissen liegen kann. Keinesfalls jedoch scheint mit einer spontanen Erholung zu rechnen zu sein.
Wir setzen den Weg fort und biegen einige Meter später rechts in die Gaststätte ein.
Das erste Bier wird bestellt. Peter Martell lädt mich ein, obwohl er, wie er bekennt, „ständig pleite“ ist. Die Bestellung wird später dann auch nicht bar beglichen. Es wird angeschrieben. Der Wirt kennt Peter Martell, und er kennt das Procedere. Glücklich scheint er darüber nicht, aber er spielt das Spiel mit. Weiß er um Peters Vergangenheit? Gewiss. Kennt er gar dessen Filme? Manchen davon sicherlich. Bozen ist keine allzu große Stadt. Und Peter Martell hatte eine große Karriere. Er durfte nicht nur teilhaben an der bedeutendsten Zeit italienischer Genre-Filmkunst, sondern sie durch seine eindrucksvolle, charismatische Erscheinung prägen.
Das erste Bier wird getrunken. Das erste Bier an diesem Ort, nicht das erste Bier an diesem Abend.
„Peter…die Taube da draußen…was können wir tun? Normalerweise wendet man sich zum Beispiel an das Ordnungsamt. Die kümmern sich um so was. Einfach liegen lassen können wir das Tier nicht. Und erschlagen? In der Stadt findet man nicht einmal den dafür notwendigen Stein. Oder gar das Bierglas hier? …Ich kann das jedenfalls nicht. Was schlägst du vor? Ich komme nicht von hier, nicht aus dieser Stadt, nicht aus diesem Land. Wie läuft das hier? Was macht man in einem solchen Fall? Und zu dieser Uhrzeit?“
Ich lasse Peter Martell zunächst sein Glas leeren, bevor ich eine Antwort auf meine Fragen erwarte. Und lenke mich ab, indem ich mir mal wieder bewusstmache, mit wem ich gerade hier sitze und den Abend verbringe…

Jahre zuvor: Carsten Frank hatte mich mit ihm bekannt gemacht. Er hatte ihn „reaktiviert“, für Jess Francos „Killer Barbys vs. Dracula“ wieder vor die Filmkamera geholt.
Der erste Besuch in Bozen ließ nicht unbeeindruckt. Peter Martell lebte dort auf „auf der Straße“. Obdach bot ihm sein alter, noch marginal fahrtüchtiger VW-Bus. Diesen hatte er an einem Straßenrand in der Stadt abgestellt. Der Straßengraben bestünde nur noch aus seiner Pisse, ließ er uns wissen. Aber er hielte es grundsätzlich mit der Sauberkeit und springe morgens gerne in den Brunnen am Marktplatz, um „Arschloch, Schwanz und Stinkfüße“ zu waschen. Schmuddelig wirkte er letztendlich nicht, und auch seine gegenwärtige Erscheinung ließ -trotz des unpassend makellosen künstlichen Gebisses- nicht unbeeindruckt. Vom Gangbild her blieb er Cowboy („der einzige Cowboy Bozens“ wie er stolz verkündete), die Haare weiß und lang, ein Auge funktionslos und entfärbt. Beim Hobeln eines Schiffsrumpfes, nach Beendigung seiner Filmkarriere, fuhr ihm ein bösmeinender Stahlsplitter in die Pupille. Anstatt die Klinik aufzusuchen, bevorzugte er den Weg in die nächste Kneipe, um den Schrecken zunächst mit einigen Drinks zu verdauen. Der Abend zog sich bis tief in die Nacht, und als er am nächsten Morgen doch noch ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen wollte, war es für eine Rettung der Sehkraft bereits zu spät. Ein Schicksalsschlag sei dies jedoch mitnichten. Erst mit einem Auge habe er gelernt, die Welt richtig zu betrachten…

Zum ersten Mal fiel mir Peter Martell in „Dolanie‘s Melodie“ auf. Die titelgebende Melodie war mir schon aus frühesten Kindheitstagen bekannt. Der Film war schlecht und enttäuschte mich. Beeindruckend allerdings war der blondgefärbte Hauptdarsteller. Name notiert und gemerkt.
Im Laufe der Jugend sollte mir das Gesicht noch viele Male auffallen. Am eindrucksvollsten, ganz ohne jeden Zweifel, im so wundervollen Tragikwestern von Ferdinando Baldi: „Seine Kugeln pfeifen das Todeslied“. Welch ein Film. Welch ein Hauptdarsteller.

Peter Martell wurde 1938 als Pietro Martellanz im zweisprachigen Südtirol in Bozen, der heutigen Heimat des „Ötzi“, geboren. Gezeugt wurde er nach eigenen Aussagen auf einem nahegelegenen Berggipfel. Diesen kann man sehen, wenn man einige Kilometer aus der Stadt in Richtung Norden fährt. Erzogen wurde er jedoch nicht durch seine Eltern, sondern durch die ortsansässigen Prostituierten. Seine freigeistige Einstellung ließ ihn schon früh zum „Streuner“ werden, zum Abenteurer.
Zögerlichkeit und Ängstlichkeit waren seine Sache nicht. Um das Leben und die Welt kennen zu lernen, trampte er im Jugendalter nach Hamburg und heuerte als Schiffsjunge an. Die älteren und erfahreneren Kollegen pflegten einen rauen Umgangston, und bei einer Streitigkeit zog sich Peter Martell durch einen abgebrochenen Flaschenhals seine charakteristische Narbe unterhalb des rechten Auges zu.
Als er in jungen Jahren bei Dreharbeiten zusah, scheute sich der verantwortliche Darsteller, von einer Leiter in einen Stapel auf leere Kartonkisten zu springen. Der hierfür vorgesehene Stuntman hatte sich bereits verletzt und fiel aus. Peter Martell ergriff die Chance, bot sich an und sprang. Der Sprung in eine Karriere.
Den Produzenten der aufblühenden italienischen Filmindustrie, welche auf der Suche nach geeigneten Gesichtern waren, um sie zu „Stars“ aufzubauen, blieb der junge, gutaussehende und wagemutige Mann nicht lange verborgen.
Zunächst wurde Peter Martell in Nebenrollen eingesetzt, allerdings bereits unter namhaften Regisseuren wie Maurizi Lucidi oder Michele Lupo. 1966 besetzte Antonio Margheriti Peter Martell zum ersten Mal in einer tragenden Rolle, in seinem Science Fiction-Film „Il Pianeta errante“ (Orion 3000).
„Der Regisseur war okay. Aber der Dreh war unangenehm. Dauernd im Studio. Keine Sonne, keine frische Luft. Nichts für mich. Die haben viel mit irgendwelchen Modellen gemacht. Hat mich aber nicht interessiert. Irgendwann bin ich einfach gegangen. Aber da waren die Szenen mit mir auch schon abgedreht, glaube ich.“
In darauffolgenden Jahr dann die nächste große Rolle: „Il Cobra“ (Die Cobra) 1967 von Mario Sequi.
„Die Dreharbeiten habe ich angenehm in Erinnerung. Der Film soll auch ganz gut sein, habe ich gehört. Durch diese Rolle wurde man auf jeden Fall auf mich aufmerksam, was Hauptrollen angeht. Das Plakat zu dem Film hing irgendwo riesig groß an einer Hauswand. Ich setzte mich davor, rauchte eine und dachte mir: Jetzt hast du es geschafft“.
„Lola Colt“ (Lola Colt- sie spuckt dem Teufel ins Gesicht) 1967 von Siro Marcellini:
„Da kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Ich weiß aber, dass der Film recht erfolgreich war. Und ich danach hauptsächlich in Western spielen sollte. Was mir ganz recht war.“
Es folgten -Schlag auf Schlag- Angebote, vorwiegend für Westernfilme. Nach der Rolle wurde nicht gefragt, zunächst zählte alleine die Möglichkeit, auf angenehme Art und Weise Gage zu erhalten- als Garant für ein unbeschwertes Leben. Die Qualität der Werke war wechselhaft, und oftmals Peter Martell der einzige Grund, sich die Filme bis zum Ende anzusehen.
„Due croci a Danger Pass“ 1967 von Rafael Romero Marchent:
„Auch eine Hauptrolle, glaube ich. Der Regisseur war ein Spanier. Ich habe ihn nicht unangenehm in Erinnerung. Habe später nochmal mit ihm gedreht. Keine Ahnung mehr, um was es in dem Film ging.“
Hauptdarsteller durfte Peter Martell auch in „Il lungo giorno del massacro“ (Das Gesetz der Erbarmungslosen) 1968 sein, einem schwächeren Western von Alberto Cardone, welcher zwei Jahre zuvor mit dem eindrucksvollen „Mille dollari sul nero“ (Sartana) und dem ebenfalls erwähnenswerten „Sette dollari sul russo“ (Django- die Geier stehen Schlange) auffiel.
„Du, an den Film habe ich keine Erinnerung mehr. Einen Film gemacht, das Geld auf den Kopf gehauen, ein paar Tage später in einem anderen Film gespielt. Teilweise habe ich nicht einmal die Titel der Filme gekannt, in denen ich gespielt habe. Zumindest ist mir der Regisseur nicht unangenehm in Erinnerung geblieben“.
„Dio li crea -lo li ammazzo“ (Bleigericht) 1968 von Paolo Bianchi:
„Ich kenne den Titel noch und erinnere mich an den Regisseur. Und wenn du sagst, der Film sei gut, dann glaube ich dir das. Mich hat das aber alles nicht interessiert. Ich wollte nur mühelos Geld verdienen und ein gutes Leben führen. Und wie kann man besser Geld verdienen, als mit irgendwelchen Cowboy- und Indianer-Spielen. Habe ich schon als Kind gespielt. Und auf einmal wurde ich dafür bezahlt. Und das nicht schlecht!“
Eine wichtige Freundschaft entstand während der Dreharbeiten zu „Banditi a milano“ (Die Banditen von Mailand) 1968 von Carlo Lizzani:
„Da habe ich sehr gute Erinnerungen daran. Wegen Tomas Milian. Ein good guy. Der war in Ordnung. Unsere Freundschaft dauert bis heute an. Ich habe später auch immer wieder längere Zeit bei ihm gewohnt. Er hat mir auch immer finanziell ausgeholfen. Ein richtiger Freund!“
Auch im nächsten Film konnte er mit zusammen mit einem Schauspieler auftreten, welcher ihm noch bis zum heutigen Tag in Sympathie verbunden ist:
„Barbagia“ (Der blauäugige Bandit) 1969 von Carlo Lizzani:
„Mit Terence Hill. Auch ein wirklich guter Kerl! Ich hätte eigentlich die Rolle neben Bud Spencer spielen sollen, mit welcher Terence Hill dann so berühmt wurde. Aber ich hatte am Abend zuvor Streit mit einer Nutte und mir dabei das Bein gebrochen. Daher musste Terence Hill einspringen und die Rolle spielen. Hätte mir Millionen einbringen können. Aber egal. Habe das dem Girotti gegönnt, der hat das gut gemacht.“
„Il pistolero dell‘ Ave Maria“ (Seine Kugeln pfeifen das Todeslied) 1969 von Ferdinando Baldi:
„Seine Kugeln pfeifen das Todeslied? Kenne ich nicht. Ach so, das ist der „Ave Maria“. Da sagen viele Leute, dass der gut sei. Mit Baldi habe ich Streit bekommen. Das einzige Mal, dass ich mit einem Regisseur richtig Streit bekam. Eine ziemliche Schreierei. Er war kein grundsätzlich unangenehmer Kerl, aber er wollte irgendetwas von mir, und ich wollte es nicht machen. Ich habe die Pistole auf ihn gerichtet und gesagt, wenn da jetzt eine Kugel drin wäre, dann hättest du sie im Kopf. Und habe das ernst gemeint…Trotzdem waren die Dreharbeiten ganz gut, wegen dem anderen Darsteller, Leonardo Manzella. Auch ein wirklich feiner Kerl. Auch er ist ein ganz enger Freund geblieben.“
„Il trono di fuoco“ (Der Hexentöter von Blackmoor) 1969 von Jess Franco:
„Ja. Mit dem Jess. Ein Angenehmer. Aber den kennst du ja. Der war damals auch schon so. Hat immer drauf geachtet, dass er gut lebt. Und wir anderen auch. Gute Erinnerungen. Teilweise haben wir damals Szenen zweimal gedreht, einmal mit und einmal ohne Kleidung. Für die unterschiedlichen Länder.“
„Ciakmull“-(Django- die Nacht der langen Messer) 1970 von Enzo Barboni:
„Sehr gut. Den habe ich mal gesehen. Lief hier im Fernsehen in einer Kneipe. Da habe ich gesagt: schaut mal, das bin ich. Der Regisseur war eigentlich ein Kameramann. Wir durften unsere Rollen selber gestalten. Und Leonard Mann war wieder dabei, sehr erfreulich.“
„Deserto di fuoco“ (Dolanie’s Melodie)1970 von Renzo Merusi:
„Der Wüstenfilm. Mit der Edwige Fenech. Zu der Zeit war ich mit ihr zusammen. Eine sehr intelligente und liebe Frau. Nur gute Erinnerungen. Irgendwann ging das dann auch in die Brüche. Lag aber nicht an ihr. Sondern weil ich so ein Arschloch war. Und ständig besoffen. War mit Daliah Lavi genau das gleiche. Auch ein ganz tolles Mädchen. Wunderschön und intelligent. Aber ich habe mich benommen wie ein Arsch. Den ganzen Tag am Swimmingpool. Mit der Flasche in der Hand.“
Peter Martells Favorit aber blieb der Western „Il suo nome era Pot“ (Sein Name war Pot/ Seine Waffe war Dynamit) von Demofilo Fidani. Wie alle Filme Fidanis ließ das unterbudgetierte Werk Fingerfertigkeit vermissen. Aber der Regisseur ließ Peter Martell völlige Freiheit. Da das Skript kein Ende der Geschichte beschrieb, durfte Peter Martell nach Gutdünken improvisieren: „Also erstmal die Hosen runter, raus aus den engen Klamotten. Und dann in den See gesprungen. Freiheit. Was Anderes hat mich nie interessiert.“
Das fertige Werk hat Peter Martell -ebenso wie seine anderen Filme- nie gesehen. Ob ein Film in Peters Herzen einen Platz fand oder nicht- darüber entschieden ausschließlich die Dreharbeiten.
„Drehbücher habe ich grundsätzlich nie gelesen. Ab einem bestimmten Punkt habe ich nur noch Filme angenommen, die draußen in der Natur gespielt haben. Alles in Innenräumen oder gar im Studio habe ich abgelehnt. Die Handlung war mir egal. Ich habe immer nur gefragt: Wo spielt der Film. Daher habe ich auch so viele Western gemacht. Die spielten immer draußen.“
Im folgenden Film durfte Peter Martell gar seinen Kopf verlieren:
„Casa D’Appuntamento“ (Das Auge des Bösen) 1972 von Ferdinando Merighi und Bruno Mattei-
„Irgendein Film mit ein paar Effekten. Da hatten sie an mir rumgedoktort. Hat mir nicht zugesagt. Zu viele Innenaufnahmen.“
Deutlich beeindruckender geriet Peter Martells zweiter Ausflug in das Genre des Giallo:
„La morte accarezza a mezzanotte“ von Luciano Ercoli 1972-
„Ein angenehmer Regisseur. Intelligent und ruhig. Auf den Film bin ich oft angesprochen worden, auch heute noch.“
Nicht unerwartet ging auch die Welle der Sexfilme nicht an Peter Martell vorüber- die Hosen hatte er schließlich schon sowohl für „Il suo nome era pot“ als auch für „Casa D‘Appuntamento“ runtergelassen: „Die Stoßburg“ von Franz Marischka 1974-
„Das einzige Mal, dass ich die Dreharbeiten mittendrin abgebrochen und verlassen habe. Sonst habe ich das nie gemacht. Eine Freundin hatte mich nach Amerika eingeladen. Da hatte ich dann keine Lust mehr auf den Dreh.“
Zunehmend internationalisierten sich die italienischen Produktionen, was Peter Martell, den es ohnehin in die Welt zog, nicht ungelegen kam: „Gli esecutori“ (Abrechnung in San Francisco) von Maurizio Lucidi 1976-
„Den haben wir zum Großteil in Amerika gedreht. Da war ich unter LSD. Das kann man auch gut erkennen, ich weiß noch, dass ich Szenen von irgendeiner Auto-Verfolgungsjagd gesehen habe, da war ich auf LSD, und das sah man. Roger Moore auch, soweit ich mich erinnern kann. Oder Stacy Keach? Egal.“
Nichts, was mit dem Begriff der „Freiheit“ assoziiert werden konnte, wurde von Peter Martell ausgelassen.
„Heute nehme ich keine Drogen mehr. Aber ich bereue diese Zeit nicht, und die ganzen Drogen bereue ich auch nicht. Ich habe das Gefühl gehabt, genossen, und kann mich noch heute daran erinnern. Heute saufe ich nur noch.“
Ein bürgerliches Leben schien Peter Martell nie erstrebenswert. Zu groß war sein Verlangen nach Unabhängigkeit. Für gesellschaftlich „angepasst“ eingestellte Zeitgenossen hatte er mehr Mitleid als Spott übrig.
„Ich habe mein Leben voll genossen. Auch schon während der ganzen Filmerei. Eine Wohnung hatte ich nie. Aber ich hatte zeitweise dutzende verschiedener Schlüssel bei mir, alle von verschiedenen Frauen. Die schönsten der Schönen, teilweise sehr reiche Damen, bei denen ich dann am Pool lag und mich habe aushalten lassen. Das einzige, was ich abends tun musste, war, mir zu überlegen, zu welcher Dame ich heute Nacht gehe.“
Besitz wurde von Peter Martell nie erstrebt, würde dieser doch lediglich Bindung und Last bedeuten. Eine Videokamera, welche ihm zur Aufzeichnung seiner Lebenssituation zur Verfügung gestellt wurde, hatte er schon nach wenigen Wochen verschenkt bzw. einem Gastwirt überlassen, damit dieser beim zukünftigen Anschreiben weiterhin ein Auge zudrückte.
„Ein Konto hatte ich nie. Wenn ich meine Gage bekommen habe -und das waren manchmal achtzigtausend Dollar für ein paar Drehtage-, dann habe ich mir das ganze Geld in die Taschen gestopft. Ich bin dann in die nächste Bar und habe alle Anwesenden eingeladen. Damals war in Rom ja enorm was los. Wenn das Geld dann noch am selben Abend wieder weg war, dann war mir das egal. Der nächste Tag war schließlich ein anderer Tag, und um den musste ich mir am Abend ja noch keine Gedanken machen.“
Ein derartiges Verhalten war geradezu dafür beschaffen, sich Freunde zu machen. Auch bei den Damen kam Peter Martell gut an- ob seiner Großzügigkeit, aber auch seiner Ausstrahlung.
„Meine Masche mit Frauen war immer die gleiche, egal wo ich war. Wenn mir eine gefallen hat, bin ich auf sie zugegangen und habe gesagt: Du, willst du mit mir mitkommen und ficken? Du hast drei Sekunden Zeit, es dir zu überlegen, danach bin ich wieder weg! –In den meisten Fällen hat das funktioniert. Nur manchmal nicht, dann bin ich halt zur nächsten.“

Mit dem Fortschreiten der Siebziger Jahre änderte sich die italienische Filmindustrie. Western wurden nicht mehr produziert, für Peter wurden die Rollenangebote knapp. Seine Unzuverlässigkeit blieb den Verantwortlichen nicht verborgen, und Produzenten, welche ihn einst zum Star aufbauen wollten (wie sein damaliger „Fürsprecher“, Manolo Bolognini, Produzent des original „Django“), hatten sich Darstellern zugewandt, die mehr Drang nach Karriere aufwiesen als der Abenteurer Peter Martell.
„Mit Vierzig war das vorbei mit Filmrollen, ich wollte auch keine mehr spielen. War gerade wieder Vater geworden und lebte mit der Mutter zusammen. Aber das Kind schrie immer so. Da habe ich gesagt, ich gehe Zigaretten ziehen, bin zum Hafen gegangen und habe wieder als Schiffsjunge angeheuert. Mit Vierzig. Ein paar Wochen später kam ich in Rio de Janeiro an. Da blieb ich erstmal, habe einige Monate am Strand geschlafen. In so einer Situation ist es immer erstmal besser, wenn du ein wenig Geld hast. Für die ersten Wochen. Aber ich hatte keins. Irgendwann hat es mich dann in ein Dschungelgebiet verschlagen. Da kam es zu einer unangenehmen Situation. Ich schlief ein, und als ich aufwachte, ließen sich gerade mehrere große Spinnen in Richtung meines Gesichtes runter. Taranteln oder so. Ich bin liegen geblieben und habe mir eine Zigarette angezündet. Ich habe dann den Rauch auf die Biester geblasen, daraufhin haben sie den Rückzug angetreten. Ich blieb liegen und habe den warmen Morgen genossen.“
Für Peter Martell bedeutete die Überfahrt nach Südamerika den Aufbruch ein einen neuen Lebensabschnitt. Als Weltenbummler, Lebenskünstler, Gelegenheitsarbeiter.
„In wirklich gefährliche Situationen kam ich trotz meines Lebenswandels nie. Weiß auch nicht, warum. Das liegt, glaube ich, an meinem Gesicht. Die Leute wollten sich nicht mit mir anlegen. Obwohl ich eigentlich nichts zu bieten gehabt hätte. Einmal hat mir ein Freund die Wette angeboten, nachts um Eins den gesamten Central-Park in New York in voller Länge zu durchqueren. Ich habe natürlich angenommen. Zwischendurch kamen immer wieder einige komische Typen auf mich zu und wollten was von mir. Ich hab‘ denen dann eine Zigarette angeboten und gesagt, sie sollen jetzt eine mit mir Rauchen. Nach ein paar Stunden war ich durch. War ein schöner Nachtspaziergang. Ich habe mir nie Gedanken gemacht, dass mir irgendetwas passieren könnte.“
Es sollte eine sich selbst erfüllende Prophezeiung werden. Furcht war Peter Martell fremd, woraus eine Ausstrahlung resultierte, die ihn „unangreifbar“ erscheinen ließ.
„Abgesehen von der Sache auf dem Schiff in meiner Jugend kann ich mich nur einmal an eine wirkliche Gewaltsituation erinnern, in irgendeinem Nachtclub. Ein riesiger breiter Neger kam auf mich zu und wollte Streit. Ich habe dann hochgezogen, einen riesigen Flatschen vor seine Füße gespuckt und meinte zu ihm, wenn er doch so stark sei, dann soll er den jetzt aufheben. Wir sind danach Freunde geworden.“
Egal, wo er sich gerade befand, und egal, unter welchen Bedingungen er lebte- weiterhin stand der Lebensgenuss an erster Stelle.
„Die schönste Frau meines Lebens habe ich in Thailand getroffen. Als wir dann auf dem Zimmer waren und sie sich auszog, sah ich, dass sie ein Mann war. Zuerst habe ich überlegt, ob ich den Typen jetzt wieder rausschmeißen soll. Ich hab‘ das dann aber trotzdem durchgezogen. War eine sehr interessante Erfahrung!“

Nach Jahren filmischer Abstinenz wollte Peter Martell schließlich doch noch einen Versuch machen, sich wieder Produktionen anzubieten. Zu verlockend war die Möglichkeit leichten Geldes auf dem Filmset.
„Irgendwann bin ich dann wieder zurück nach Rom gegangen. Mitte der achtziger Jahre. Das Geld war ständig mein Problem. Filme machen war halt die beste Methode, ohne Mühe an viel Geld zu kommen. Aber alles hatte sich verändert. Das war nicht mehr das Rom, das ich kannte. Auch die Leute nicht mehr. Ich stand dann am Zaun von Cinecittà. Und tatsächlich habe ich wieder Rollenangebote bekommen. Zum Beispiel für „Der Name der Rose“. Ich habe dann aber für „Momo“ zugesagt. Erschien mir bequemer, einen der grauen Herren zu spielen, als irgendeinen Mönch in einer kalten Abtei. War aber ein Fehler.“
Schließlich kam Peter Martell wieder dort an, wo alles begonnen hatte- „im schönen Bozen“, wie er spöttisch meinte. „Du musst morgens deine Nase in die Luft halten- es stinkt hier nach Abgasen. Es ist das letzte, verlorene Nest in der Welt“.

Wenn man mit Peter Martell durch die Stassen zog, mit ihm in einer verrauchten Bar das elfte Bier konsumierte oder einen Bergsee umrundete und seinen Erzählungen lauschte- immer wieder ertappte man sich bei Selbstzweifeln. Macht man wirklich alles „richtig“? So wie er möchte man sein. So ein Leben wie er möchte man führen.
„Peter, welche Zeit deines Lebens war die schönste?“- „Jetzt. So, wie es jetzt ist, ist es am schönsten. Freiheit!“
An Hab und Gut besaß er fast nichts. Am wichtigsten: Ein Comicbild, Plakat aus einem Kinderzimmer, ungefähr DIN A2. Darauf ein großes Piratenschiff, einige Papageien mit Augenklappe, sowie weitere tierische Gestalten, welche sich über die Entdeckung eines Schatzes auf einer kleinen Palmeninsel freuen. Dieses Bild sei ihm sehr wichtig, es verkörpere alles, was man sich im Leben wünschen könne. Und überhaupt, das Meer und das Schiff- das sei nicht das einzige, aber das Größte, von dem er noch träume: Mit einem Boot die Erde umrunden. Eines Morgens ablegen und sich „die Welt von dort draußen ansehen“.
Interessant war sein Bekanntenkreis. Beim Gang durch die Kneipen, Bars und Pubs von Bozen wurde uns so manches Charaktergesicht vorgestellt. Fast ausschließlich obdachlos und daher besonders gefährdet. Einer von ihnen, so erzählte uns Peter, sei gar vor einigen Wochen spurlos verschwunden. Abends, wenn es kalt wurde, habe er sich immer „in einen Mistkübel geschmissen“ -gemeint waren große städtische Müllcontainer-, und eines morgens, nachdem der Müllwagen die Leerung vollstreckt hatte, war er verschwunden und wurde fortan nicht mehr gesehen. Über sein Schicksal konnte spekuliert werden.

Ein Mann stach besonders heraus- ein Grandseigneur, imposant, mit langem Mantel und gediegenem Auftreten. „Heinrich“, so wurde er durch Peter Martell eingeführt. Seine obere Zahnreihe war linkseitig bis zur Mitte komplett, seine untere rechtsseitig bis zur Mitte. Harmonie durch sich ergänzendes Defizit. Man versank förmlich vor Ehrfurcht angesichts dieser Gestalt eines Potentaten. Spannend seine Lebensgeschichte: einst verheiratet mit einer Gräfin, entschloss sich das Paar, dem Leben zeitglich durch Sprung vom Schlossturm ein Ende zu setzen. Sich an der Hand haltend, sollte das Schicksal gemeinsam besiegelt werden. Sie sprang. Und Heinrich ließ im letzten Moment ihre Hand los.
Seitdem irrte Heinrich umher auf dieser Welt, schlief unter Brücken und im Kirchhof. Sein Hab und Gut: ein großer Koffer. Nie blieb er unbewacht, keiner durfte ihn berühren, auch ins kleinste Toilettenabteil wurde er mitgezwängt. Geöffnet habe er diesen Koffer nie. Mutmaßungen, darin befänden sich die Überreste der Gräfin, konnten nie bestätigt, jedoch auch nie widerlegt werden.
Carsten Frank und mir war klar: Dieser Mann sollte, musste in den Mittelpunkt eines Filmes gestellt werden. Seine bloße Erscheinung schrie danach. Und: Niemand würde ihn vermissen.
Die diesbezügliche Absprache erfolgte mit Hilfe von Peter Martell in den folgenden Wochen telefonisch, wobei wir gewarnt wurden, dass Heinrichs Lebenswandel unstet und sein Aufenthaltsort niemals vorherzusagen sei. In der Regel halte er sich aber irgendwo in den Straßen von Bozen auf. Zudem sei der Mann im Kopf nicht mehr „so ganz“, und daher unberechenbar.
„Vacanze“, so der Arbeitstitel unseres Filmes (in Anlehnung an Fernando di Leos „Vacanze per un massacro“), sollte in einer kleineren Stadt in Süddeutschland gedreht werden. Am Tag vor Drehbeginn fuhren Carsten Frank und ich nach Bozen, um Heinrich zu entführen. Es war Fügung des Schicksals, dass er mir nach stundenlanger Suche in allen Gaststätten schließlich am überfüllten Marktplatz direkt in die Arme lief. Wir waren gerade dabei, die Suche aufzugeben und nach Deutschland zurückzukehren.
Heinrich war skeptisch, ließ sich aber überreden. Er fuhr mit uns nach Deutschland und wurde in einem Hotel, dreißig Kilometer vom Drehort entfernt, einquartiert. Am nächsten Tag, pünktlich zu Drehbeginn, war er verschwunden. Sein als „Gagenvorschuss“ getarntes Taschengeld hatte er genutzt, um mittels Zug wieder in den Süden zu fliehen. Ein Ersatzmann für die Rolle war durch uns nicht eingeplant. Heinrich erschien unersetzlich.
Wer sollte in seine Fußstapfen treten? Wer könnte ihm gerecht werden?
Zumindest kannte Peter Martell Heinrich seit Jahren. Peter war Schauspieler. Wäre es ihm möglich, trotz gegenteiligem äußeren Eindruck, Heinrich zu spielen, zu „simulieren“? „Nein“, so ließ er uns am Telefon wissen. Heinrich kann man nicht spielen. Der sei einzigartig. Heinrich kann nur durch Heinrich verkörpert werden. Und Heinrich war verschwunden.
Peter Martell sofort bei Nacht und Nebel in Bozen abholen und nach Süddeutschland zum Drehort bringen zu lassen, war deshalb nur eine Notlösung. Ein Umdenken erschien uns nicht mehr möglich, die Charakterisierung im Film blieb daher lückenhaft. Ein Koffer mit merkwürdigem Inhalt wurde Peter Martell in die Hand gedrückt. Der Name Heinrich als Rollenname blieb, der Filmtitel änderte sich schlussendlich zu „Melancholie der Engel“.

Wir waren Peter Martell dankbar, dass er sich für elf Drehtage und für eine bezahlbare Gage so kurzfristig zur Verfügung gestellt hatte. Er blieb unkompliziert, raunte hier und da, wie es sein kann, dass er früher in einer Stunde so viel verdient habe wie heute in elf Tagen, aber er weigerte sich nur im Einzelfall, eine Szene zu spielen. Allzu Extremes sahen wir für ihn ohnehin nicht vor. Ich wollte mir das Schicksal ersparen, welches Franz Marischka während der Dreharbeiten zur „Stoßburg“ widerfuhr. Beim „Original“-Heinrich wären wir skrupelloser vorgegangen.

Aber die allgemeine Zügellosigkeit, welche sich fortschreitend von Tag zu Tag bemerkbar machte, schien Peter Martell wenig zu irritieren. Nach ungefähr zwei Dritteln der Drehzeit -die Produktion drohte bereits im allgemeinen Chaos unterzugehen- klopfte Peter an die Tür des Zimmerchens, welches ich mir in jenem verwunschenen Haus, das den Drehort für all die Schändlichkeiten darstellte, eingerichtet hatte. Er habe ein Anliegen an mich: Ob ich ihm nicht eine Sexszene ins Skript schreiben könne!? Mit dem „Gipsy Girl“, wie er die verdienstvolle Janette Weller in ihrer Rolle als Melanie zu bezeichnen pflegte. Egal was. Er sei zu allem bereit, und er würde mich dringend darum bitten. Diesen Gefallen und Freundschaftsdienst könne ich ihm doch tun.
Ich hatte jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt meine liebe Not, die Produktion bzw. den Film irgendwie zusammen zu halten. Ich erklärte ihm daher, dies sei leider nicht mehr möglich, da sonst jegliche erzählerische Struktur vollends in Beliebigkeit zerfallen würde. Enttäuscht schloss sich wieder die Tür hinter Peter Martell.

Hätte ich geahnt, dass sich die Dinge so entwickeln würden, hätte ich Peter für derartige Szenen durchaus eingeplant. Doch ich rechnete nicht, dass er so weit gehen würde. Und wollte den alten, großen Herrn aus den goldenen Tagen des italienischen Kinos nicht entwürdigen.
Dass Hemmungen und auch Mitleid bei Peter Martell jedoch keine größere Rolle zu spielen schienen, bewies er im Umgang mit einem Kätzchen.
War ihm einfach alles egal? Hatte Peter Martell gar eine dunkle Seite?
Schwer zu ertragen war das, was er dem Wesen antat, aber ebenso schwer war die Bewertung des Geschehenen. Zu drückend auf alle Beteiligten war der bereits schon vor Tagen eingetretene Verfall jeglichen Mitgefühls sowie jeglicher geordneter Strukturen, und zu hoch war der Substanzkonsum, im Falle von Peter Martell des Alkohols.
Ebenfalls alkoholisch getriggert mag sein Entschluss gewesen sein, auch beim nächsten Gewaltakt gegen eine der Darstellerinnen, welcher er ohnehin nicht in Sympathie zugetan war, auf jegliche Simulation zu verzichten und ernst zu machen, was die Eskalation der Geschehnisse noch weiter vorantrieb…
Ich gehe zu seinen Gunsten davon aus, dass er unter anderen Umständen anders gehandelt hätte. Zumindest nehme ich dies an. Wir alle ließen uns in jenen Tagen zu Handlungen hinreißen, welche wir unter alltäglichen Bedingungen als inakzeptabel erachtet hätten.
War Peter Martell Alkoholiker? Gewiss. Bier würde er bevorzugen, nicht Wein, dies hat er uns vorab wissen lassen. Schnaps hat er, zumindest in meiner Gegenwart, nicht angerührt. Kistenweise jedoch wurden Pilsflaschen geleert. Die Vorräte gingen schnell zu Neige, und Nachschub ließ sich aufgrund der Abgelegenheit des Schauplatzes sowie mangels Hilfskräften nur schwer organisieren. Am nächsten Morgen jedoch -drei neue Bierkästen waren gerade angefahren worden und ich reichte Peter nach dem Aufstehen die erste, bereits geöffnete Flasche- lehnte er ab. Er trinke heute nicht. Es sei gestern schon genug gewesen. Er hielt sich den ganzen Tag und die ganze Nacht an seine selbst auferlegte Beschränkung, und nichts deutete auf Entzugssymptome hin.

Nach dem Dreh blieb der Kontakt sporadisch. Mal ein Anruf. Mal ein Brief von Peter, mal die Bitte, ihm doch seine Filme als Kopie auf VHS zukommen zu lassen. Ganz besonders bitte den einen: „Sein Name war Pot“. Und für diesen „Ave Maria“ wäre er auch sehr dankbar.
Durch die Stadt hatte er mittlerweile eine Sozialwohnung zugewiesen bekommen, die er sauber hielt und die ihm die Möglichkeit eines ansatzweise „bürgerlichen“ Lebens, welches er immer belächelt und abgelehnt hatte, öffnete.
Träume hatte er noch viele. „Melancholie der Engel“ blieb sein letzter Film, „Heinrich“ seine letzte Filmrolle.

So sitzen wir also in einer Bar in Bozen vor unserem Bier. Eine Gasse weiter- die Taube. Was würde Peter als Lösung anbieten?
„Du, Marian…ich möchte dieses Problem nicht zu meinem Problem machen“.
Das ist seine Antwort. Daraufhin bestellt er das nächste Glas.

Es ist sicherlich kein großes oder bedeutendes Problem, von dem er da spricht. Eine Taube am Weg, verletzt, verendend, vielleicht mittlerweile schon dahingeschieden. Alltag in jeder Stadt.
Dennoch -Enttäuschung. Ist das die Art und Weise, wie Peter mit „Problemen“ umgeht? War dies vielleicht schon immer seine Maxime gewesen? Sich nicht um Dinge zu kümmern, die ihn nicht unmittelbar betreffen?
Kann man ein Leben, wie er es geführt hat, nur auf diese Weise führen? Egozentrisch? Egoistisch? Oder ist seine Reaktion dem Moment, dem augenblicklichen Empfinden, der Situation, der Laune geschuldet?

Peter Martell. Ich bin froh und stolz, dass ich ihn kennen und mit ihm arbeiten durfte. Ein großer Mann, fürwahr. Ein Abenteurer. Eines DER Gesichter des italienischen Films der Siebziger Jahre.
Man kann und darf ihn beklatschen und- auch beneiden.

Aber man muss ihn sich nicht zum Vorbild nehmen.

M. Dora, 4. Juli 2021

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Zitate: M. Dora, Interview mit Peter Martell, 2003