Das Monster von Tokio

Das Monster von Tokio

Von Matthias Künnecke

In einer Zeit, als Fernreisen für normale Menschen noch unvorstellbar waren, nahm das Genrekino seine Zuschauer mit rund um die Welt. Und das nicht nur in exotischen Abenteuerfilmen, bei denen die fremden Handlungsorte sozusagen wichtigster Darsteller waren. Auch Thriller, die im Grunde genommen überall hätten spielen können, machten sich noch besser vor fernen Kulissen. Man denke nur an Wolf C. Hartwigs Hongkong-Krimis und Filme ähnlicher Machart, die verband, dass sie nicht nur auf das Fernweh des Zuschauers spekulierten, sondern ihre Plots mit einem in seiner Fremdheit latent bedrohlichen Ambiente aufluden. Dann und wann wurde dieser Trick auch im Horrorfilm angewandt.

Der amerikanische Produzent und Regisseur George P. Breakston war einer jener vielgereisten Filmschaffenden, die an entfernten Enden der Welt solche Produktionen realisierten. Während des Zweiten Weltkriegs diente er im Pazifikkrieg als Fotograf und blieb nach Kriegsende in Japan, wo er begann, amerikanisch-japanische Co-Produktionen zu realisieren. Breakston war Produzent und Autor von TOKYO FILE 212 (1951), der als Hollywoods erster Spielfilm gilt, der vollständig in Japan gedreht wurde. Anschließend inszenierte er dort B-Filme wie ORIENTAL EVIL (1951) und GEISHA GIRL (1952). Nach einer Phase in Kenia und dort entstandenen Safari- und Abenteuerfilmen wie GOLDEN IVORY (1954) und ESCAPE IN THE SUN (1956) kehrte Breakston Ende der 1950er Jahre für sein erstes Horrorfilm-Projekt nach Japan zurück.

Ruf und Bekanntheit eines Filmes sind auch immer mit seiner Auswertungsgeschichte verbunden. George P. Breakstons Nippon-Grusler DAS MONSTER VON TOKIO aka THE MANSTER aka THE SPLIT wurde 1960 zwar von United Artists in die amerikanischen Kinos gebracht, entstand aber für Breakstons unabhängige eigene Produktionsfirma, die in Folge offensichtlich vergaß, das Copyright zu verlängern. Der Film geriet so in den Public Domain und wurde bis vor kurzem nur auf technisch mehr oder weniger unbefriedigenden Billigausgaben auf VHS und DVD ausgewertet. Erst eine von Fans des Streifens schon länger herbeigesehnte Blu-ray ließ den Film kürzlich in den USA erstmals in sehr guter Qualität erstrahlen. Das deutsche Ostalgica-Label hat sich jetzt nicht lumpen lassen und den hierzulande nie gelaufenen Film in ebenso guter Bildqualität und sogar mit einer eigens angefertigten deutschen Synchronfassung innerhalb seiner CLASSIC CHILLER COLLECTION herausgebracht. So kann man nun auch hierzulande den Film, der stets im Schatten ähnlicher B-Monsterfilme jener Jahre stand, neu betrachten und bewerten.

Die Story ist nicht allzu originell und schnell erzählt, was der Film allerdings daraus macht, ist bemerkenswert: Larry Stanford ist ein amerikanischer Auslandskorrespondent, dessen Aufenthalt in Japan sich dem Ende zuneigt. Eine Story will er allerdings noch recherchieren, bevor er sich auf die Heimreise zu seiner Ehefrau Linda macht, die seine Rückkehr kaum erwarten kann. Stanford besucht den zurückgezogen auf dem Gipfel des Vulkans Fuji arbeitenden Biologen Dr. Suzuki, der nach eigenem Bekenntnis daran forscht, die Spezies Mensch in Sachen Evolution einen guten Schritt weiter zu bringen. Was Stanford nicht weiß, ist dass Suzuki bereits Experimente an seinem Bruder und seiner Ehefrau vollzogen hat, die nicht allzu sehr von Erfolg gekrönt waren: sein Bruder wurde zu einem amoklaufenden Affenwesen, das Suzuki erschießen und in den Vulkan werfen musste, seine Ehefrau dämmert entstellt hinter Gittern im Laboratorium des Doktors vor sich hin. Ein Objekt für weitere Versuche wird also dringend benötigt, und das findet Dr. Suzuki in Larry Stanford.

Von klassischen Vorbildern wie DIE INSEL DES DR. MOREAU und DR. JEKYLL UND MR. HYDE über Werwolf-Motive bis hin zu modernem Body-Horror kann der Zuschauer in DAS MONSTER VON TOKIO diverse Horror-Motive (wieder)entdecken. Auch die skurrile Idee eines Mannes mit zwei Köpfen auf der Schulter wurde danach noch einige Male aufgegriffen. Hier beginnt die Reise ins Grauen mit ein paar Tropfen Schlafmittel im Drink („Japanischer Whisky schmeckt aber seltsam, Herr Doktor“) und einer Injektion. Danach folgt die zunächst psychische Wandlung des Helden mit Absturz in Trunk und Ehebruch (die japanischen Geishas waren damals aber einfach auch viel zu willig), dann wird es haarig. Der Moment, als unser Held, eh schon mit den Nerven fertig, auf seiner Schulter ein Auge entdeckt, ist auch heute noch schauerlich und zählt zur meistzitierten Szene des Filmes. Aus dem Auge wird im Nullkommanichts ein zweiter Kopf, der aussieht wie eine Kokosnuss mit Zähnen. Am Anfang denken Stanfords Kollege Ian und die eigens angereiste Ehefrau Linda noch, sie müssten Larry nur auf moralisch stabiles Terrain zurückhelfen, dann geht es um Leben und Tod, denn Stanford wird zur mörderischen Bestie.

Nach einer actionreichen Verfolgungsjagd durch das nächtliche Tokio endet der Film mit einer Szene, die der staunende Zuschauer so schnell nicht vergessen dürfte. Wie das US-Plakat richtig ankündigt: „Before your startled eyes… the terror that split a man in two!“. Es dürfte sich hier um die einzige Szene des Genres handeln, in der ein Mann sich selbst in zwei zerreißt. Das ganze vor dem Hintergrund eines herrlich künstlichen Studiovulkans und mit obligatorischer moralischer Einordnung durch den Reporterkollegen am Ende: „Linda, have faith in what’s still good in Larry,.. and in all other men“.

George P. Breakstons Regie ist kompetent und verschwendet keine Zeit, der nur 73 Minuten kurze Film lief in den USA im Double Feature mit Georges Franjus AUGEN OHNE GESICHT (1960), dem er natürlich in Sachen Grauen wie Poesie klar unterlegen ist. Peter Deneley und Jane Hylton (damals auch im wahren Leben verheiratet) erfüllen ihre Rollen trotz der haarstäubenden Vorkommnisse mit dramatischem Ernst. Darsteller Satoshi Nakamura, den Genrefreunde auch in Filmen wie DAS GRAUEN SCHLEICHT DURCH TOKIO (1958), MOTHRA BEDROHT DIE WELT (1961) und U 2000 – TAUCHFAHRT DES GRAUENS (1963) entdecken können, schafft es, dem sprichwörtlich über Leichen gehenden Wissenschaftler einen Rest Menschlichkeit einzuhauchen. Überhaupt kann man dem Film nicht vorwerfen, eine Rechnung à la Amerikaner = gut, Japaner = böse aufzumachen. Jerry Ito spielt einen sehr kompetenten Polizisten, ohne den der arme Larry wohl heute noch mit zwei Köpfen in Tokio herumspuken würde.

Im Booklet zur empfehlenswerten Ostalgica-Veröffentlichung gibt es neben einigen Plakatmotiven und Filmdetails auch eine Liste der an der deutschen Erstsynchronisation Beteiligten zu entdecken. Die lässt darauf schließen, dass die Synchro im Berliner City-of-Voices-Studio entstanden ist, aus dem auch gelungene andere für Ostalgica aufgenommene “Retro-Synchros” stammen, z.B. für DAS BLUTBIEST oder INSEL DER VERLORENEN SEELEN, damals jedoch mit Buch und unter der Regie von Bodo Traber, der diesmal nicht beteiligt war. Im hier vorliegenden Fall ist an Synchronbuch und Sprechern nichts auszusetzen, aber die Mischung lässt Wünsche offen. Wie bei den meisten älteren Filmen dieser Art, lagen auch hier sicher keine sogenannten IT-Bänder mit freistehenden Geräuschen und Filmmusik vor. In solchen Fällen muss das Studio bei der Mischung mit Tricks und Fingerspitzengefühl versuchen, die fehlenden Tonbestandteile so gut es geht zu rekonstruieren. Das ist hier nicht mit der Sorgfalt der o.g. Vorgängerbeispiele geschehen, was man daran erkennt, dass Geräusche und Musik oft ausblenden, wenn gesprochen wird. Dadurch erhält die deutsche Tonfassung eine etwas künstliche, aseptische Wirkung. Bei solch einer Veröffentlichung für eine überschaubare Fangemeinde dürfte das Synchronbudget natürlich alles andere als üppig ausgefallen sein, daher sollte man hier die Augen (oder Ohren) zudrücken und dem Label anerkennen, eine dennoch im Gesamten positiv zu bewertende deutsche Fassung erstellt zu haben.

Die Gestaltung der CLASSIC CHILLER COLLECTION mit Amaray im Schuber und somit zwei unterschiedlichen Covermotiven gefällt. Bonusmaterial zum Hauptfilm sucht man außer einer Bildergalerie vergeblich. Um diesen Mangel auszugleichen, hat Ostalgica, wie schon bei einigen Veröffentlichungen zuvor, einen Bonusfilm mit auf die Blu-ray gepackt: die Polit-Satire DER WERWOLF VON WASHINGTON (1973) auf Deutsch und Englisch, allerdings in VHS-Qualität, aber einem geschenkten Wolf guckt man nicht ins Maul. Auf CD liegt dann auch noch ein trashiges Horror-Hörspiel bei, MIT DEN INSEKTEN KAM DAS GRAUEN, eine neuere Produktion basierend auf einem Bastei-Heftroman der Siebzigerjahre. Wer sowas mag, wird seine Freude haben.

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The Manster | USA 1959 | Regie: George P. Breakston & Kenneth G. Crane | Darsteller: Peter Dyneley, Jane Hylton, Satoshi Nakamura, Terri Zimmern, Norman van Hawley, Jerry Ito u.a.

Anbieter: Ostalgica