Das todbringende Ungeheuer

Das todbringende Ungeheuer

Von Peter Clasen

Eine amerikanische Wetterstation in der Arktis meldet sich nicht mehr, sie wurde verwüstet, ihre Besatzung ist verschwunden, dafür findet Colonel Joe Parkman, Leiter der US-Air-Force-Bodenstation „Roter Adler“, dort eine Art riesige Klaue und seltsame Schleifspuren im Schnee. Wenig später werden ein Düsenjet und ein Eskimodorf von einem „Unbekannten Flug Objekt“ attackiert – und wieder verschwinden Menschen ohne Spur. Parkman wendet sich ans Pentagon in Washington, das ihn an Dr. Nedrick Jackson verweist, den Leiter des dortigen Naturkundemuseums. „Ned“ tippt auf ein Insekt – ein urzeitliches Exemplar der schrecklichen, fleischfressenden Gottesanbeterin! Jackson und seine Mitarbeiterin Marge Blaine, Chefredakteurin und Fotografin des Museumsmagazins, besuchen Parkman alsbald am Nordpol, um den rätselhaften Fall weiter zu untersuchen – als sich ein Monster am Fenster der Station zu schaffen macht…

„Vielleicht gibt es eine simple Erklärung dafür, aber ich würde nicht darauf wetten!“ meint Colonel Joe Parkman noch angesichts der zerfetzten Wetterstation. Nun zeigt sich, dass er absolut Recht hatte, nur sprengt die Dimension der Bedrohung alle Vorstellungskraft: Eine monströse, vorsintflutliche Fangschrecke ist aus dem ewigen Eis erwacht, wieder putzmunter und allem Anschein nach recht hungrig – wobei ihre Mahlzeiten pietätvoll ausgespart bleiben, der Fall des später zensierten Pre-Code-Klassikers und unübersehbaren Vorbilds KING KONG UND DIE WEISSE FRAU (King Kong; USA 1933; R: Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack) dürfte gezeigt haben, was auf amerikanischen Leinwänden geht und was eben nicht.

Trotzdem wirkt die Gottesanbeterin ungeheuer fremdartig, bedrohlich, unheimlich, in Nahaufnahmen offenbart sie eine verstörende insektizide Körperlichkeit: Als das Monster am „Washington Monument“, dem monumentalen, weißen Obelisken, hochsteigt, blicken wir zusammen mit den dort im Innern harrenden Wächtern auf die sonst verborgene Unterseite, die mit ihrem seltsamen Geknurpse fast obszön aussieht.

Überhaupt erstaunt die Vielzahl an Trickbildern, natürlich auf B-picture-Niveau, aber absolut befriedigend und auch nicht schlechter als in FORMICULA (Them!; USA 1954; R: Gordon Douglas) oder TARANTULA (USA 1955; R: Jack Arnold), den anderen beiden großen Insekten-Monsterfilmen jener Jahre. Beide wurden und werden dem späteren Drittbewerber gemeinhin vorgezogen, auch die Bewertung von THE DEADLY MANTIS in der IMDb fällt enttäuschend mager aus, ich plädiere daher für eine Neubewertung, ironische Distanz kann dabei helfen!

Nach weit über sechzig Jahren Abstand entwickelt THE DEADLY MANTIS einen ganzen besonderen Charme aus seiner Erzählung als patriotisches, technikbegeistertes, ja pubertäres Jungsabenteuer, während die vom Erzähler im gepresst-euphorischen Wochenschau-Gestus bejubelten neuen Technologien von mittlerweile erschütternder Antiquiertheit sind. „Das hier sind heiße Drähte!“ heißt es zum Beispiel voller Stolz über vier olle Wählscheibentelefone, sauber von A bis D sortiert, mit denen man in „wenigen“ Sekunden die wichtigsten militärischen Bastionen erreichen könne.

Überhaupt gefällt die gewohnt kompetente Synchronisation von Bodo Traber, hier mit gutem Ohr für die Poesie der Martialität. So beschreibt TV-Warner Colonel Parkman den Sound der Mantis als „tiefes Brummen wie das Donnern einer Staffel schwerer Bomber, die in Formation fliegen.“ Schöner lässt sich das Verderben nicht in Worte fassen! Das adelt das Tier zum vollwertigen Feind, für dessen Bekämpfung sich der ganze Aufwand an Radarzäunen, Frühwarnlinien, Luftabwehrkommandos uund so weiter sichtlich gelohnt hat.

Ob aber auch allen klar ist, dass man mit der Gottesanbeterin ein Weibchen jagt? Tatsächlich fallen ihr nur Männer zum Opfer! Von irdischeren, durchaus amüsanteren Geschlechterverhältnissen erzählt dagegen die Nebenhandlung mit Marge Blaine, der kecken, emanzipierten Museumsreporterin (gespielt von der aparten, leider kaum bekannten Alix Talton): Sie verbeißt sich nicht in Männer, die keinen Appetit auf sie haben, sie lässt zu überschwängliche Männer erstmal abkühlen, und sie wagt mit einem Corporal, der in der Eiswüste seit Monaten keine Frau mehr gesehen hat, gern ein Tänzchen – sonst können die einsamen Herren Soldaten nämlich nur miteinander rock’n’rollen…

Das Monster-Abenteuer aus der Horrorschmiede von „Universal“, inszeniert von Nathan Juran, Regisseur von SINDBADS SIEBENTE REISE (THE SEVENTH VOYAGE OF SINBAD; USA 1958) und DER HERRSCHER VON CORNWALL (JACK THE GIANT KILLER; USA 1962), erschien nun als Deutschlandpremiere bei Anolis Entertainment. Die bereits erwähnte eigens erstellte deutsche Synchronfassung findet sich neben der englischen Originalfassung auf der Scheibe. Wie gewohnt ist die Sonderausstattung dieser neuesten Ausgabe der „Galerie des Grauens“ handverlesen. Das gut geschriebene Booklet von Ingo Strecker und die Kommentarbeiträge von Rolf Giesen und Volker Kronz sind verlässlich kompetent. Immer wieder ein gelungenes Extra ist die historische, hier knapp neunminütige Super-8-Fassung. Diverse Trailer und eine Bildergalerie runden das gelungene Paket ab.

PS: Die Szenen mit den Eskimos, wie man damals sagte (heute sagt man ja Inuit), stammen aus dem deutschen Bergfilmklassiker S.O.S. EISBERG von Arnold Fanck und mit Leni Riefenstahl, der parallel auch als S.O.S. ICEBERG auf Englisch gedreht wurde.

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The Deadly Mantis | USA 1957 | Regie: Nathan Juran | Darsteller: Craig Stevens, William Hopper, Alix Talton, Donald Randolph u.a.

Anbieter: Anolis Entertainment