His House

His House

Von Oliver Schäfer

Bol Majur (Sope Dirisu – GANGS OF LONDON) und seine Frau Rial (Wunmi Mosaku – BLACK MIRROR) sind Flüchtlinge aus dem Südsudan, die bei ihrer Flucht nach England ein traumatisches Bootsunglück überlebten, bei dem ihre Tochter ums Leben kam. Sie leben nun in einer Flüchtlingsunterkunft und hoffen auf eine rechtliche Anerkennung als politische Flüchtlinge, um dauerhaft in England bleiben zu können. Eines Tages werden die beiden aus der Unterkunft entlassen und zu einem heruntergekommenen Haus in einem anonymen Unterschichtviertel gebracht, in dem sie zukünftig wohnen sollen. Auch wenn sie nicht mehr in der Flüchtlingsunterkunft gefangen sind, sind sie dennoch weiterhin Gefangene eines Staates, der sie eigentlich nicht haben will, in einer Umgebung, die sie nicht willkommen heißt.
Ausgestattet mit geringen finanziellen Mitteln und einer Vielzahl von Regeln und Verboten, sollen sie sich nun „bewähren“. Ihr Sachbearbeiter Mark (Matt Smith – THE CROWN) hofft, dass sie „zu den Guten gehören“ und sich anpassen werden. Trotz des erbarmungswürdigen Zustands des Hauses, weist er wederholt darauf hin, dass es größer sei, als sein eigenes – eine von vielen Mikroaggressionen, mit denen sich Bol und Rial ständig konfrontiert sehen.
Praktisch sofort nach ihrem Einzug werden Bol und Rial von merkwürdigen Vorkommnissen heimgesucht. Geräusche in den Wänden und nächtliche Schatten spielen ihnen Streiche, geisterhafte Erscheinungen verfolgen sie. Dabei stellt sich immer deutlicher die Frage, ob das Haus verflucht ist oder ob Bol und Rial selbst die Auslöser des Schreckens sind.
Autor und Regisseur Remi Weekes hat mit diesem Film einen fulminanten Erstling abgeliefert – eine ungewöhnliche Mischung aus Horror und Sozialdrama, die voller bitterer Beobachtungen und überraschender Wendungen steckt. Weekes verschwendet keine Zeit und beginnt sofort damit, seine Protagonisten zu terrorisieren und den Zuschauer in die Irre zu führen. Gerade wenn man zu wissen meint, wohin die Geschichte geht und dass wir die Figuren und ihr Trauma verstehen, nimmt der Film eine unerwartete Wendung, die die ganze Geschichte auf den Kopf stellt. Denn plötzlich ist die bittere Realität schlimmer als die übernatürlichen Erscheinungen, die sich als blinde Passagiere der Flucht von Bol und Rial erweisen. Ebenso wie die beiden sich daran klammern, in England Fuß fassen zu können, weigern sich die Gespenster dorthin zurückzukehren, woher sie gekommen sind.
Weekes arbeitet mit viel Symbolik, einigen gut platzierten Jump Scares und verstörenden Traumbildern, wobei die Angst vor dem Ertrinken ein stets wiederkehrendes Motiv darstellt. Dabei verlässt er sich auf die eindringlichen Bilder seines DP Jo Willems (30 DAYS OF NIGHT) einen effektiven Score von Roque Banos (DON´T BREATHE) und ein einfallsreiches Sounddesign.
Zentral für das Gelingen dieses überraschenden Films ist neben der Verknüpfung des Horrors mit sozialen Themen, Rassismus, Kolonialismus, Gewalt, Krieg und Vertreibung auch die Frage, wie weit Menschen gehen, um ihr Ziel zu erreichen oder wenigstens am Leben zu bleiben. Und dafür hat Weekes sich mit Sope Dirisu und Wunmi Mosaku zwei exzellente Hauptdarsteller ausgewählt, die mit ihrem nuancierten Spiel die unterschiedlichen Entwicklungen ihrer Charaktere in jeder Minute glaubhaft machen. Ihr Spiel ist so gut, dass der Film als reines horrorfreies Sozialdrama vermutlich ebenso eindrücklich gelungen wäre. Während Dirisu den emotionaleren und expressiveren Part spielt, reicht Mosaku oft ein Blick oder eine Änderung der Kopfhaltung um alles zu transportieren, was für die Szene wichtig ist.
HIS HOUSE ist eine wirklich gelungene Überraschung – ein einfallsreicher, emotionaler und erschreckender Sozialhorror voller brillanter Ideen und erstklassiger Darstellerleistungen. Das sahen die British Independent Film Awards scheinbar auch so und überschütteten den Film gerade mit 16 Nominierungen.

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His House | GB 2020 | Regie: Remi Weekes | Darsteller: Sope Dirisu, Wunmi Mosaku, Matt Smith, Javier Botet, Malaika Wakoli-Abigaba, Vivienne Soan, Yvonne Campbell, Dominic Coleman u.a.

Anbieter: Netflix