Jason und die Argonauten

Jason und die Argonauten

Von Rolf Giesen

Ich schreibe ungern Filmkritiken. Es gibt eine Menge Menschen, mehr oder weniger kreativ, meist weniger, die das Talent anderer zu ihrem eigenen machen und es kommentieren, als hätten nur sie die Deutungshoheit: von den sogenannten anerkannten Filmklassikern bis hinunter in die Gosse der Dutzendfilmer, die sich auf einmal abseits der gewohnten Abfalltonnen im Kreis der Auteurs fanden. Ray Harryhausen war nie ein Auteur, obwohl er auf seiner kleinen Schreibmaschine Skizzen zu Filmen tippte: zwei, drei Seiten. Ein sehr Berufener namens H. W. sagte mir mal vor einem halben Jahrhundert, er habe Harryhausen stets auch unter den Autoren seiner Filme genannt. Den Rest „schrieb“ er mit Kohle und Zeichenstift: Entwürfe für Filmideen, die in seiner Phantasie zu „Superspektakeln“ wurden. Anders als die Auteurs des B-Films wurde er stets auch von Kreativen umlagert, die von ihm in ihrer Kindheit und Jugend inspiriert waren (Spielberg hat ihm einmal gesagt, wie wunderbar er die animierten Skelette aus JASON fand, Peter Jackson hat als Teenager Plates gedreht, in denen er mit unsichtbaren Gegnern kämpfte wie Jason mit den Skeletten, nur gab es bei ihm vor dem Computerzeitalter keine Skelette in der Szene: zu anstrengend), und ebenso von Menschen, die wenig kreativ waren, aber es gerne gewesen wäre, denn Raymond Frederick Harryhausen (oder nimmt man den deutschen Ursprung seiner Familie: Raimund Friedrich Harriehausen) war umgeben vom Flair der Märchen, Spielzeuglandschaften und Puppen, die er nicht Puppen nannte, sondern Modelle, nachdem ihn mal jemand gefragt hatte, ob er nicht zu alt sei, um mit dolls zu spielen.
Harryhausen war beeinflusst von Willis O’Brien und KING KONG (den er bestimmt mehr als hundert Mal gesehen hatte und indem er immer wieder Neues entdeckte, denn gute Animation hat auch mit Details zu tun), aber noch während er mit O’Brien an MIGHTY JOE YOUNG arbeitete, waren es nicht die monsters on the loose, die zugegeben einige Jahre in Billigfilmen seine Karriere bestimmten, sondern die phantastischen Kreaturen der Märchen und Sagen, denen seine Liebe galt. Während er in den alten RKO-Pathé Studios in Culver City mit O’Brien in Preproduction war, unsicher, ob MIGHTY JOE gemacht werden würde oder nicht, produzierten sie sozusagen im Nachbaratelier SINDBAD THE SAILOR (SINDBAD DER SEEFAHRER). Am Anfang sprach darin Douglas Fairbanks Jr. von seiner Begegnung mit dem Riesenvogel Roch, aber nichts von dieser phantastischen Kreatur war auf der Leinwand zu sehen. Harryhausen beschloss daraufhin, eine seiner Ideen, eine Zeichnung von einem namenlosen Helden, der gegen ein Skelett kämpfte, zum Vorwand eines Sindbad-Stoffs zu nehmen. Er zeichnete Zyklopen im Kampf um menschliches Futter, Riesenschlangen, Sirenen, einen feuerspeienden Drachen, Roch und reichte seine Entwürfe unter Produzenten herum: Merian C. Cooper, Jesse L. Lasky usw., aber niemand biss an. Nach seiner Trennung von O’Brien und einer Serie von monsters on the loose, die ihn mit Charles H. Schneer und Columbia Pictures zusammenführten und endlich auch zu europäischen Locations brachten (so verlegte er die Story-Idee zu 20 MILLION MILES TO EARTH von den USA nach Italien), ließ sich Schneer überzeugen: So entstand 1957 an Drehorten in Spanien und für eine Handvoll Blue-Screen-Aufnahmen in England THE 7TH VOYAGE OF SINBAD (SINDBADS 7. REISE). Ein preiswerter Autor, Kenneth Kolb, war verpflichtet worden, Harryhausens Entwürfe mit einem Handlungsstrang zu verbinden, eine Art Nummernrevue, die von Rezensenten oft bemängelt wurde – aber der Erfolg sensationeller Filme basiert nun einmal auf memorablen Sequenzen, und darum blieben Harryhausen-Filme trotz ihres niedrigen Budgets immer erfolgreich.
Es galt Rays Maxime: You must be absolutely dedicated! Das war es, was das Publikum spürte.
JASON AND THE ARGONAUTS – ursprünglich JASON AND THE GOLDEN FLEECE – fuhr im Fahrwasser des Sindbad-Films: statt des einen gab es hier sieben Skelette, eine in der Modellanimation unübertroffene Leistung. Der Unterschied aber ist, dass JASON keine Nummernrevue ist, sondern die Erzähltradition der Antike spiegelt, die Suche von Jason und seinen Begleitern auf dem Schiff Argo nach dem wundertätigen Goldenen Vlies, das sie im Lande Kolchis (zwischen Kaukasus und der Ostküste des Schwarzen Meeres gelegen) finden. Einer der beiden Drehbuch-Autoren des Films, Beverley Cross, war mit antiken Stoffen vertraut, und ihm ist es gewiss auch zu danken, dass der Stoff zuerst kam und nicht erst (wie so oft bei Harryhausen) der Special Effect. Die Animationen sind integraler Bestandteil der Erzählung, und trotzdem überragen sie die Geschichte. Denn Harryhausen wäre nicht Harryhausen, hätte er nicht Talos auf das Format des Kolosses von Rhodos aufgeblasen. Er sprach oft vom verlorenen Weltwunder von Rhodos und wollte es in Bronze an verschiedenen Orten, sogar in Deutschland, neu erschaffen. Während seine filmischen Schaumgummi-Modelle langsam vergingen, würden – so sein Eindruck – seine Bronze-Skulpturen, die er später entwarf, ihn und die Jahrhunderte überdauern.
Harryhausens Animationen waren selten grandioser als in JASON. Auf die Frage nach der Technik und Dynamik seiner Animation meinte er: It becomes your second nature.
JASON hat alles, was ein Fantasyfilm braucht: die Sage selbst, Harryhausens Mirakel aus Stop Motion, Miniatur-Rückpro und Split Screen (preiswertes Reality Sandwich), Schauplätze in Italien, Atelieraufnahmen in England, Bernard Herrmanns mächtige Musik, die den Film größer erscheinen lässt, als er in Wirklichkeit war, erfahrene Nebendarsteller: Nigel Greens Darstellung des Herakles widersprach dem Bild, das man damals aus italienischen Sandalenfilmen gewohnt war. Aber gerade in der Menge dieser Dutzendfilme mit den Bodybuildern Steve Reeves und Reg Park bis hinunter zu Mark Forest ging Harryhausens Film seinerzeit unter. JASON wurde mit Maciste & Co. verwechselt. Ein weiterer Wermutstropfen war der 1992 verstorbene Hauptdarsteller Todd Armstrong, TV-Dutzendware, die Produzent Schneer von Columbia bezog. Armstrong endete in Nebenrollen in Filmen wie WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND, der seinerseits am Ende der deutschen Karl-May-Welle stand.
JASON UND DIE ARGONAUTEN ist damit irgendwie ein Film ohne Held, und doch hat er einen Helden: Harryhausen, der stets dankbar war, dass ihn seine Liebe zur Animation vor einem frühen Tod als einfacher Soldat im Pazifikkrieg bewahrte und während des Krieges zu Colonel Frank Capras Signal-Corps-Abteilung brachte und von da zu O’Brien und MIGHTY JOE, THE BEAST FROM 20,000 FATHOMS (PANIK IN NEW YORK), THE 7TH VOYAGE OF SINBAD und – JASON.
Erschienen ist JASON jüngst als Blu-ray-Premiere über explosive media. Das Bild besticht durch angenehme Schärfe und ein authentisch wirkendes Kinobild. Neben der deutschen und englischen Sprachfassung finden sich unter anderem zwei Audiokommentare, einer mit Ray Harryhausen und Tony Dalton und einer mit Peter Jackson und Randy Cook. An Extras enthalten ist ein wahres Füllhorn an langen und kürzeren Dokumentationen, zu erwähnen sind hier besonders die einstündige „Harryhausen Chronicles“ und „Harryhausens Verdienste“. Eine echte Bereicherung für jede Filmsammlung also.

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Jason and the Argonauts | Großbritannien / USA 1963 | Regie: Don Chaffey | Darsteller: Todd Armstrong, Nigel Green, Nancy Kovack, Honor Blackman u.a.

Anbieter: explosive media