Heimsuchung

Heimsuchung

Von Adrian Gmelch

Das Spielfilmdebüt des österreichischen Filmemachers Achmed Abdel-Salam, HEIMSUCHUNG, ist ein feinfühliges Psycho-Horrordrama, das eine „beschädigte“ Mutter-Tochter-Beziehung als Ausgangspunkt für eine traumatische Geschichte nimmt.

Vergangene Traumata

Michaela (von allen aber eigentlich nur „Michi“ genannt) hat schon vor langer Zeit ihr Elternhaus verlassen und eine eigene Familie gegründet. Einziges Problem: Sie ist Alkoholikerin und kämpft mehr oder weniger erfolgreich gegen ihre Sucht an, nicht zuletzt seit einem Autounfall, den sie verursacht hat und der ihre achtjährige Tochter Hanna seitdem mit „Nachtschreck“ plagt. Als ihr Vater stirbt, muss Michi jedoch in ihren alten Heimatort zurückkehren, um sich um den Nachlass und das von ihm hinterlassene Haus zu kümmern. Dabei wird sie von Hanna begleitet. Während sie im Haus des verstorbenen Vaters sind, entdeckt Hanna auf dem Speicher eine scheinbar harmlose Kinderzeichnung, die in Michi verschüttete Erinnerungen aus ihrer Kindheit hervorruft. Nach und nach nimmt die Vergangenheit die Überhand und lässt ihr keine andere Wahl, als sich mit ihr auseinanderzusetzen… – mit fatalen Folgen!

So lautet also die Prämisse von Abdel-Salams sehr eigenwilligem und persönlichem Werk HEIMSUCHUNG, das dem österreichischen Genrefilm ein ebenso intelligentes wie sehenswertes Werk hinzufügt. Man merkt HEIMSUCHUNG an, dass er Abdel-Salam sehr am Herzen liegt. Kein Wunder also, dass er für Regie und Drehbuch verantwortlich zeichnet. Wie eine ganze Reihe an jungen Genre-Filmemachern seit den 2010er-Jahren ist er alleiniger Herr seiner Geschichte; er hat etwas ganz Persönliches zu erzählen und tut dies von A bis Z. Der Film ist dann auch konsequenterweise von der Alkoholsucht der Mutter des Regisseurs inspiriert – und das schimmert beim fertigen Werk durch und macht es umso kraftvoller.

Mütter, Mütter, Mütter!

Ach, warum müssen die Beziehungen zwischen Müttern und ihrem Nachwuchs immer so komplex und theatralisch sein? Was würde uns da alles an Drama im Leben erspart bleiben, wenn dies nicht der Fall wäre! So denkt wohl manch einer. Für das Kino ist das jedoch ein Glücksfall und Abdel-Salam weiß dies auszunutzen. Seine Führung der Darsteller ist bemerkenswert. Insbesondere Cornelia Ivancan als Michi beeindruckt, eine sehr gute, authentische Besetzung. Zwischen ihr und Lola Herbst, die die Tochter spielt, entwickelt sich eine dramatische Leinwandbeziehung, wie man sie sonst vielleicht nur noch aus THE BABADOOK (2014) oder UNDER THE SHADOW (2016) kennt. Und tatsächlich wirkt der Film wie eine Mischung aus diesen beiden Filmen – und vielleicht auch noch ICH SEH ICH SEH (2014), einem weiteren Austria-Horrorfilm der Extraklasse, der ebenfalls die Beziehung von Kindern zur eigenen Mutter zum Thema hat.

Abdel-Salam erforscht also die Dynamik zwischen Mutter und Tochter und geht dabei neue Wege, denn er nähert sich auch dem Thema Erbgut an. Was für Gene werden der Tochter vererbt und welche Auswirkungen hat das? Kann eine verfluchte Vergangenheit weitergegeben werden, kann man sich von ihr befreien oder ist es Schicksal? Jedenfalls scheint klar, dass über allem jeweils die Mütter stehen und letztendlich das Leben dominieren.

Streckenweise gelingt HEIMSUCHUNG auch eine echte Geisterhaus-Atmosphäre, aber Abdel-Salam lässt sich davon nicht gefangen nehmen, ihn interessiert eigentlich ein ganz anderes Setting: Ein Sonnenblumenfeld, das zum eigentlichen Ort des Horrors mutiert. Das ist originell und entfaltet auch eigene Kindheitsängste im Zuschauer. Wer bitte hat sich nicht schon in einem Mais- oder Sonnenblumenfeld verirrt und dann panisch nach der „Mama“ gerufen? Auch bemerkenswert ist Abdel-Salams Spiel mit Licht und Dunkelheit. Manche Szenen sind so wenig ausgeleuchtet, dass man die Bedrohung im Hintergrund kaum erkennen kann – tut man es aber doch, ist der Schrecken umso größer, ein bisschen wie in Ari Asters HEREDITARY (2018), wo die Gefahr ebenfalls still im Hintergrund lauert. Es ist also empfohlen, ganz genau hinzusehen!

Ebenfalls kurz erwähnenswert sind das gut ausgewählte ländliche Setting in Österreich, was dem Film auch einen gewissen Charme und Indie-Touch verleiht, wie auch das gekonnt eingefangene Gefühl, nach Jahren der Abwesenheit wieder zurück an den Kindheitsort zu kommen, wo einem zwischenzeitlich natürlich alles fremd und eigenartig erscheint.

Was dem Film etwas schadet, ist dessen kurze Laufzeit von 90 Minuten, denn einige Szenen wirken zu knapp, unvollkommen, nicht ausgeschöpft. Hier hätte man sich vielleicht eine weitere Ausarbeitung gewünscht, denn dadurch verliert der Film manchmal an Potential (ein Beispiel hierfür wäre das – kurze – Einschreiten der Polizei in einer Szene). Und auch wenn sich der Film an großen filmischen Vorbildern orientiert, wie weiter oben gesehen, so erreicht er dann doch nicht ganz deren cineastische Kraft. Aber Abdel-Salam ist auf gutem Weg dorthin!

Fazit: HEIMSUCHUNG ist ein sehenswertes Erstlingswerk, welches so manches Talent ans Licht bringt und mit einer intelligenten wie spannenden Geschichte aufwartet.

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Heimsuchung | Österreich 2023 | Regie: Achmed Abdel-Salam | Drehbuch: Achmed Abdel-Salam | Kamera: Alexander Dirninger | Musik: Daniel Helmer | Darsteller: Cornelia Ivancan, Lola Herbst, Heinz Trixner, Franziska Rieck, Christoph Krutzler u.a. | Laufzeit: 90 Min.