Nanny

Nanny

Von Adrian Gmelch

NANNY, das Spielfilmdebut der US-amerikanischen Filmemacherin Nikyatu Jusu, ist ein sanftes Horrordrama, welches durch einige kluge inszenatorische Momente und eine grandiose Hauptdarstellerin durchaus überzeugen kann.

Die Geburt eines neuen Horror-Subgenres?

Aisha (Anna Diop), eine senegalesische Einwanderin, die ohne offizielle Papiere in New York City lebt, wird als Kindermädchen für die Tochter eines wohlhabenden Paares (gespielt von Michelle Monaghan und Morgan Spector) an der Upper East Side eingestellt. Aisha strebt den amerikanischen Traum an und möchte ihren Sohn, den sie im Senegal zurücklassen musste, später zu sich in die USA holen. Im weiteren Verlauf der Geschichte muss sich Aisha jedoch einer traumatischen Vergangenheit (und Zukunft) stellen, die ihr neues, vermeintlich glückliches Leben in Amerika bedroht …

Jusus NANNY erinnert unweigerlich an den Horrorfilm HIS HOUSE (2020) von Remi Weekes, der die Geschichte eines südsudanesischen Flüchtlingspaares erzählt, das sich nur schwer an ein neues Leben in einer britischen Stadt gewöhnen kann. Man könnte beinahe so weit gehen und behaupten, dass diese beiden Filme quasi ein neues Subgenre des Horrorfilms begründen: den Flüchtlingshorrorfilm (engl. Immigrant horror movie). Ein paar weitere Filme, wenn auch weniger gelungen, können diesem Trend ebenfalls zugeordnet werden, wie etwa NO ONE GETS OUT ALIVE (2021) oder BENEATH US (2020). Im Gegensatz zu NANNY und HIS HOUSE stehen dort aber nicht Schwarzafrikaner als Einwanderer im Fokus, sondern welche aus Lateinamerika.

Das Besondere an den Filmen von Jusus und Weekes ist, dass sie sich auch relativ gut mit den Filmen von Jordan Peele vergleichen lassen, die ebenfalls den Schwarzen zur zentralen Figur der Geschichte machen (hier jedoch nicht der Flüchtling, sondern der Afroamerikaner). Ähnlich wie Peele es mit GET OUT (2017), US (2019) und NOPE (2022) geschafft hat, sozialkritische Horrorfilme zu drehen, die den Rassismus und die Rassenungleichheit in den USA zum Thema machen, so ist es die Aufgabe dieses neuen Subgenres, den erlebten Horror der Flüchtlinge im Gewand eines Horrorfilms auf die Leinwand zu bringen. Und dabei nähern sich die Filme ebenfalls der Art-Horror-Kategorie an.

Gekonntes Verweben von Drama und Horror

Wie so oft im Art-Horror-Subgenre üblich, handelt es sich bei dem Film um ein Erstlingswerk einer noch relativ jungen Filmemacherin (*1982) und er kann mit einer Hauptdarstellerin überzeugen, Anna Diop, davor u. a. in Jordan Peeles Us (2019) zu sehen, die eine starke Performance abliefert. Und wie ebenfalls oft bei Art-Horror-Filmen zu beobachten, herrscht eine starke Diskrepanz bei der Rezeption zwischen Kritik (positiv) und Publikum (negativ). Der Film konnte sogar den großen Preis der Jury beim Sundance Film Festival 2022 abräumen, aber nicht an den Kinokassen (und bei Amazon Prime Video) überzeugen.

Diesen eher oberflächlichen Ähnlichkeiten mit Art-Horror-Filmen stehen ausschlaggebendere gegenüber: Für NANNY ist der verwendete Horror erneut bloß ein (stilistisches) Mittel, um die eigentliche Geschichte/das eigentliche Thema (das Trauma, welches viele Flüchtlinge begleitet) eindringlicher zu erzählen und beim Zuschauer zu verankern. Um ein authentisches, latentes Unbehagen zu erzeugen, welches das des Protagonisten oder der Protagonistin widerspiegelt, verwenden Art-Horror-Filmemacher – wie ich in meinem Buch ART-HORROR (2022, Büchner-Verlag) aufgezeigt habe – neben einer Narration, die sich Zeit lässt, ausgeklügelte (Leit-)Motive und bestimmte stilistische Elemente. Diese typischen und charakterisierenden Bestandteile der künstlerischen Werke zeugen von einer Gemeinsamkeit im Genre. Ari Aster und Robert Eggers, zwei exemplarische Vertreter dieser Bewegung, verwenden beispielsweise die Natur und vor allem Tiere als unheilvolle Leitmotive. Jusu geht mit NANNY einen ähnlichen Weg und verwendet zwei zentrale Elemente als solche Leitmotive, um ein grundlegendes Unbehagen bei Aisha (und dem Zuschauer) entstehen zu lassen: Wasser und Spinnen.

Wasser, eigentlich Symbol des Lebens, der Reinigung und des Heiligen, wird bei Jusu zu einem Horrorelement. Aisha hat eine permanente Angst vor dem Ertrinken; das Wasser erstickt, bedroht, erdrückt sie. Diese Szenen sind manchmal von surrealer Schönheit und kehren gekonnt das innere Leiden Aishas nach außen. Dabei weiß sie aber noch nicht so recht, was genau diese Wasser-Visionen und Vorahnungen zu bedeuten haben … Der Zuschauer denkt sich relativ schnell, um was es sich dabei handeln könnte, und ist eventuell enttäuscht davon, bereits nach den ersten 30 Minuten zu wissen, wie der Film wohl ausgeht – doch am Ende wartet Jusu mit einer Nuance auf (und ich kann mir denken, dass nicht jeder Zuschauer diese auch als solche wahrnimmt), die zwar nicht alles in einem neuen Licht darstellt, aber trotzdem dem Film ein zufriedenstellendes Finale liefert.

Das Spinnenmotiv, welches teilweise stark an das äußerst verstörende aus ENEMY (2013) von Denis Villeneuve erinnert, ist wohldosiert eingesetzt und ergänzt das Wasser-Element (von innen) um eine Bedrohung von außen: Die Spinnen sind wie unheilvolle Schatten, die Aisha immer näherkommen und sie auf ihr dunkles Schicksal einstimmen.

Fazit: Nanny ist ein sehenswertes Erstlingswerk, das dessen Regisseurin Nikyatu Jusu als ernstzunehmendes Horror-Regietalent positioniert – für Fans von Art-Horror genau das Richtige (für alle anderen eventuell nicht)!

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Nanny | USA 2022 | Regie: Nikyatu Jusu | Drehbuch: Nikyatu Jusu | Kamera: Rina Yang | Musik: Tanerélle, Bartek Gliniak | Darsteller: Anna Diop, Michelle Monaghan, Sinqua Wells, Morgan Spector, Rose Decker, Leslie Uggarns u.a. | Laufzeit: 99 Min.