The Lost

The Lost

Von Friederike Grabitz

Ein Fehler, eine Unachtsamkeit, ein Telefonat im falschen Moment zerstört das Leben mehrerer Familien. Um die Konsequenzen eines solchen Fehlers und das Leben mit der Schuld geht es in der schwedisch-isländischen Miniserie THE LOST, die bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck Anfang November Weltpremiere feierte.

Um die Einnahmen seiner Speditionsfirma aufzubessern, transportiert der LKW-Fahrer Erwin gelegentlich Geflüchtete in einem Tanker über die schwedische Grenze nach Dänemark. Eines Tages macht er dabei einen Fehler, der mit dem Tod mehrerer Geflüchteter endet. Sein Chef versucht, den tragischen Zwischenfall zu vertuschen, aber nach und nach kommt ans Licht, was geschehen ist – und auch Erwin hat neben einem Konflikt um seine zerfallende Familie mit heftigen Schuldgefühlen zu kämpfen….

Nachdem der erste Teil das dramatische Tableau ausrollt, entfaltet THE LOST parallel zu einer kriminalistischen Handlung nach und nach das Innenleben der Figuren, die in dieses Drama verwickelt sind. Dabei stehen nicht so sehr die Fluchtgeschichten im Vordergrund, sondern die Zerstörung von Familien: Diejenige des schwedischen Protagonisten durch innere Zerrüttung, die der syrischen Flüchtlinge durch äußeres Drama. Dabei wird das Flüchtlingsthema nicht ausgeschlachtet, sondern die Syrer sind als Akteure gleichwertig in Szene gesetzt. Ungewöhnlich ist daran die Komposition: In den ersten beiden Teilen wird die Geschichte hauptsächlich aus der Perspektive des Schmugglers erzählt, der als schüchtern-linkischer Antiheld im entscheidenden Moment so gar nicht souverän agiert, ein gewöhnlicher Angestellter in einem System, das unter dem Druck europaweiter Konkurrenz in illegale Geschäfte gedrängt wird. Seine Verletzlichkeit, zusammen mit der Tatsache, dass die familiären Netze der Geflüchteten bis in das enge Umfeld von Erwin reichen, trägt den Spannungsbogen durch die Folgen der Serie. Darf man sich mit Erwin identifizieren, der im Grunde ja nur das Beste für seine Passagiere wollte? Werden die Familien Gerechtigkeit erfahren? Und was bedeutet das überhaupt?

Im Vorspann zu der Miniserie fährt die Kamera durch einen Tunnel, dessen Scheinwerfer durchs Bild sausen. Es ist eine Fahrt in die Dunkelheit, an deren Ende ein kaltes Licht leuchtet – auf die eine Weise für Erwin, dessen Leben die verhängnisvolle Schmuggelfahrt zerstören wird, und auf andere, tragische Weise für die hilflos Eingeschlossenen in seinem Tanker.

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Försvunna Människor (Miniserie) | Schweden, Island 2022 | Regie: Tova Magnusson | Drehbuch: Ulf Ryberg | Musik: Johan Testad | Kamera: Andreas Wessberg | Darsteller: Peter Viitanen, Ville Virtanen, Sandra Stojilikovic, Vilhelm Blomgren, Shaniaz Hama Ali | Laufzeit: 6 x 58 Min.