Hamburg Transit (2. Staffel, Folgen 14 – 26)
Von Christopher Klaese
Selten hat das deutsche Fernsehen die Vorabendunterhaltung mit so viel Verve eingeläutet – HAMBURG TRANSIT beginnt mit einem Titelvorspann, der noch heute mächtig Power hat. Mit seinen schnellen Schnitten, poppigen Farbverfremdungen, übereinandergelegten Bildverdreifachungen, geschichteten Invertierungseffekten, rotierenden Stadtansichten, herumsausenden Verkehrsmitteln und in Signalgelb aufzoomenden Titellettern wirkt er fast wie eine bundesdeutsche Version des HAWAII FÜNF-NULL-Openers (1968-1980). Zu Lande, zu Wasser und durch die Lüfte strömen die Menschen, Existenzen und Schicksale in „Das Tor zur Welt“, die Hafenstadt mit Herz, die Metropole mit gepflegtem Understatement. Träume und Tragik, Verbrechen und Verlieben, Rotherbaum und Reeperbahn – in Hamburg liegen die Extreme oft nur Straßenecken voneinander entfernt, ganz gleich, ob man hier wohnt oder nur auf der Durchreise ein paar Stunden Aufenthalt hat.
Mit HAMBURG TRANSIT katapultierte Gyula Trebitsch seine Firma Studio Hamburg in die knallbunten 1970er Jahre hinein. Bereits mit Hafenpolizei (1963–1966) und Polizeifunk ruft (1966–1970) hatte er erfolgreiche Krimiserien für die Vorabendschiene lanciert, denen sich HAMBURG TRANSIT als direkte Fortsetzung anschloss. Erneut entwickelte Trebitsch eine Serie, die ihren Teil zum föderalen Charakter der ARD-Sendeanstalten beitrug. Vom Haldenwanger Eck im Süden bis nach List auf Sylt im Norden sollten die Fernsehzuschauer die regionale und kulturelle Vielfalt Deutschlands in die Wohnzimmer gesendet bekommen. Dankenswerterweise zeichnete sich HAMBURG TRANSIT durch sympathische Hauptfiguren aus – neben den durch Karl-Heinz Hess, Eckard Dux und Heinz-Gerhard Lück verkörperten Kommissaren, die allesamt aus der Vorgängerserie Polizeifunk ruft übernommen worden waren, wurde für die 2. Staffel zusätzlich ein durch Gert Haucke portraitierter Gastermittler eingeführt – sowie die Stringenz, möglichst viele Außenaufnahmen direkt an Originalschauplätzen zu drehen. Somit entging man der mitunter etwas drögen Studioatmosphäre und fing spürbares Flair „on location“ ein.
Auch die zweite Staffel bietet außerdem zahlreiche Gaststars, deren Aufzählung sich wie ein Who’s Who der beliebtesten Schauspieler jener Zeit liest: Thomas Astan, Eva-Maria Bauer, Eva Christian, Bruno Dietrich, Detlev Eckstein, Siegurd Fitzek, Josef Fröhlich, Adrian Hoven, Ulli Kinalzik, Hellmut Lange, Louise Martini, Ulrich Matschoss, Horst Michael Neutze, Paul Edwin Roth, Stephan Schwartz, John van Dreelen, Loni von Friedl oder Christian Wolff – sie alle geben sich hier ein Stelldichein. Für Fans deutscher Sychronbearbeitungen ist es zudem eine große Freude, sonst eher durch ihre Stimme bekannte Akteure wie Hans-Werner Bussinger, Claus Jurichs, Dieter Kursawe, Fred Maire oder Eric Vaessen in raren Auftritten vor der Kamera zu erleben.
Hinter der Kamera stellte Trebitsch für die zweite Staffel neues Personal auf. Er verpflichtete mit Claus Peter Witt einen versierten Spielleiter, der sich durch seine Spontanität – beim Krimihit DIE GENTLEMEN BITTEN ZUR KASSE (1966) war er für den während der Dreharbeiten verstorbenen John Olden eingesprungen – und Stilsicherheit – mit DIE UNVERBESSERLICHEN (1965 – 1971) lancierte er einen kultigen Straßenfeger – für weitere Aufgaben empfohlen hatte und HAMBURG TRANSIT einen aktionsbetonteren Touch verlieh. Als Kameramann kam nunmehr der durch DAS KRIMINALMUSEUM (1963 – 1970) und DIE FÜNFTE KOLONNE (1963 – 1968) erprobte Manfred Ensinger zum Einsatz, dessen starker Einsatz des Zooms teils delierende Optiken generierte und den Zuschauer in die Handlung direkt hineinsog. Harald Winkler schließlich, dessen temporeiches, signalartig-fanfarenhafte und in Bläsern wie Streichern energische Titelthema weiterhin in Gebrauch blieb, wurde für die Episodenscores der zweiten Staffel durch den für Fernsehserien und Werbefilme arbeitenden Hans Günther Leonhardt ersetzt, Bedauerlicherweise blieben Leonhardts abwechslungsreiche und spannungsgeladenen Soundtracks für HAMBURG TRANSIT kommerziell unveröffentlicht.
Auch bei den Geschichten standen für HAMBURG TRANSIT hervorragende Autoren parat, die sich an spannungsreichen Themen wie Banknotenfälschung, Schleppervergehen, Wirtschaftsspionage, Autodiebstahl, Einbruchserien, Prostituiertenmord, Juwelenfälschung, Bankräuberfahndung, räuberischer Erpressung, Geheimdienstaktivitäten, Diamantenschmuggel, Raubüberfall und fahrlässige Tötung abarbeiteten. Irene Rodrian, die die meisten Drehbücher zur Serie schrieb, war eine der ersten deutschen Krimiautorinnen und erlangte damals über den Rowohlt-Verlag große Bekanntheit. Friedhelm Werremeier, dessen Feder mit Trimmel der erste TATORT-Kommissar (1970 – 1982) entstammte, lieferte ebenso Geschichten wie Nikolai von Michalewsky, der als Mark Brandis mit „Weltraumpartisanen“ die neben „Perry Rhodan“ erfolgreichste deutsche Science-Fiction-Buchreihe schreiben sollte. Grimme-Preisträger Herbert Lichtenfeld schließlich hatte mit Finke gerade einen populären TATORT-Kommissar (1971-1978) erfunden und verfasste später familientaugliche Seriendauerbrenner wie Die Schwarzwaldklinik (1984-1988) oder Der Landarzt (1986-1997).
HAMBURG TRANSIT ist für Nostalgiker, Kenner, Liebhaber und Interessierte eine wahre Fundgrube und Gelegenheit, die damaligen Szenerien mit den heutigen Gegebenheiten abzugleichen und dabei festzustellen, wieviel sich doch in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Außerdem sind die kurzweiligen Episoden hervorragendes Zeit- und Lokalkolorit in hochdosierter Form. Sie stammen aus einer Welt, in der Dénes Törzs noch ohne grobgestrickte Pullover auskam, Lothar Dombrowski die Hauptausgabe der Tagesschau sprach, das Hamburger Polizeipräsidium noch am Berliner Tor lag, Willi Bartels‘ Eros Center als das größte Freudenhaus der Welt galt und der Satz „Pünktlich wie die Bundesbahn“ noch seine Bewandtnis hatte.
Nachdem die vor einigen Jahren erschienene, ursprüngliche Auflage nur noch zu heftigen Sammlerpreisen den glücklichen Besitzer wechselt, hat dankenswerterweise Pidax vor einiger Zeit HAMBURG TRANSIT im platzsparenden Format und mit nutzerfreundlichem Wendecover neu veröffentlicht. Auf sieben DVDs sind alle 52 Folgen der Serie untergebracht, wobei die Qualität der auf Film im Vollbildformat gedrehten Episoden als durchgängig gut bezeichnet werden kann und in farbenfroher Pracht, frei von großen Unsauberkeiten zu genießen ist. Der deutsche Ton in klarem Mono garantiert über 1200 Minuten spannende, abwechslungsreiche und höchst unterhaltsame Kriminalspannung von der Waterkant. Sie entführt einen in die große, weite Welt im Kleinen, in den Szenekiez der Freien und Hansestadt Hamburg – in den wohligen und stets charmant reizvollen Trubel einer Zeit, die unsere mittlerweile gnädig betrachtete und mit etwas goldener Patina versehene, eigene Vergangenheit ist. Ahoi!
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Hamburg Transit (2. Staffel), D 1971/1972 | Regie: Claus Peter Witt | Darsteller: Karl-Heinz Hess, Eckart Dux, Gert Haucke, Paul Edwin Roth, Hellmut Lange, Adrian Hoven u.a.
Anbieter: Pidax
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