Gemini Man
Von Oliver Schäfer
Ang Lee hat diesen Film in 3D High Frame Rate (zwischen 60 und 120 Bilder pro Sekunde) gedreht. Diese Technik (ähnlich dem Motion Smoothing bei modernen Flatscreens) fand ich schon bei seinem Vorgänger BILLY LYNN’S LONG HALFTIME WALK und Peter Jacksons THE HOBBIT grauenhaft, weil sie dazu führt, dass eine extrem teure Hochglanzproduktion auf der Leinwand so billig wirkt wie eine BBC-Serie aus den 70ern. Meine folgende Beurteilung des Films beruht also auf der regulären 2D-Fassung mit 24 Bildern pro Sekunde.
Der Scharfschütze Henry Brogan (Will Smith) tötet im Auftrag der Regierungsorganisation DIA Staatsfeinde und Terroristen. Nach der in letzter Sekunde geglückten 72. bestätigten Tötung beschließt er, in den Ruhestand zu gehen.Von seinem alten Kumpel Jack Willis (Douglas Hodge) bekommt Henry jedoch den Hinweis, dass sein letzter Auftrag keineswegs ein Staatsfeind war, sondern ein renommierter Wissenschaftler. Kurz darauf ist Jack tot und ein hochgerüsteter Einsatztrupp versucht auch Henry zu ermorden.
Mithilfe seiner Kollegin Danny Zakarweski (Mary Elizabeth Winstead) kann er jedoch entkommen. Der Pilot Baron (Benedict Wong), mit dem Henry beim Militär war, fliegt die beiden in ein kolumbianisches Versteck. Doch auch dort werden sie aufgespürt von einem sehr fähigen Verfolger, der aussieht wie eine jüngere Version von Brogan. Kurze Zeit später bestätigt sich Dannys Verdacht, dass es sich um Brogans Klon handelt, womit auch klar ist, dass Henrys alter Kommandant Clay Verris (Clive Owen) mit seinem Unternehmen Gemini hinter der ganzen mysteriösen Sache stecken muss.
Falls dem geneigten Leser bis hierher einiges bekannt vorkommt, liegt das vermutlich daran, das Regisseur Ang Lee (LIFE OF PI) nicht nur seine Hauptfigur, sondern den ganzen Film aus diversen ähnlich gelagerten Geschichten geklont hat. Auch weite Strecken des von Hans Zimmers Klon Lorne Balfe (MISSION: IMPOSSIBLE – FALLOUT) komponierten Scores erinnern deutlich an Zimmers Kompositionen aus dessen Bruckheimer/Simpson –Phase, insbesondere CRIMSON TIDE. Folgerichtig ist Jerry Bruckheimer auch einer der Produzenten.
Nun ist es ja so, dass man besser irgendwo gut klaut als selbst etwas schlecht zu machen. Blöd ist allerdings, wenn trotz preisgekröntem Regisseur, kompetenter Drehbuchautoren, innovativem Kameramann, talentiertem Komponisten, kreativem Produktionsdesigner und handverlesenen Effektspezialisten ein bestenfalls solides Produkt herauskommt. Bedenkt man noch ein Budget von mindestens 140 Mio. Dollar, kann man sich angesichts des Ergebnisses nur fragen, was denn hier wohl schief gelaufen ist.
Dazu muss man vielleicht erwähnen, dass dieses Projekt seit rund 2 Jahrzehnten in der „Development Hell“ vor sich hin köchelte und durch unzählige namhafte Hände ging, darunter so illustre Namen wie Clint Eastwood, Tony Scott oder Harrison Ford. Ob in der nun vorliegenden Version noch etwas von der Ursprungsgeschichte steckt, kann ich nicht sagen, aber bei dem ziemlich durchschnittlichen Ergebnis fragt man sich schon, was dieses Projekt so lange am Leben gehalten hat.
Die Story ist mau und sämtliche Versatzstücke hat man schon in anderen, vielfach besseren Filmen gesehen. Die Kamera klebt während einiger Prügeleien zu nah an den Darstellern, die wiederum mit erklärenden Dialogen ihren jeweiligen Mitspieler über Tatsachen aufklären müssen, die dem Zuschauer schon 10 Minuten vorher klar waren. Überhaupt müssen die talentierten Darsteller häufig überraschend plumpe Dinge aufsagen. Hier stoßen besonders die süßlichen Glückskekssprüche am Ende sauer auf. Die Schauplätze sind fast alle merkwürdig unterbevölkert und wirken daher oft steril und unecht, ebenso wie mancher digitale Effekt, bei dem das Tempo nicht stimmt, die Proportionen falsch erscheinen oder die Schrittlänge des digitalisierten Darstellers nicht zur Gesamtbewegung passt.
Apropos Effekte: Als Grund für die jahrelange Verzögerung geben die Beteiligten in diversen Interviews gern die bisher fehlende Effekttechnologie an, die erst heute eine Verjüngung des Hauptdarstellers überzeugend ermöglicht.
Das mag sein, aber die hier eingesetzten DeAging-Effekte sind schockierend schlecht. Kein Vergleich zu der brillant umgesetzten Verjüngung Samuel L. Jacksons in CAPTAIN MARVEL oder den bei Robert Downey jr. und Michael Douglas eingesetzten Effekten für die AVENGERS. Smiths Klon vermittelt streckenweise eher den Eindruck, dass man einer animierten Wachsfigur zuschaut. Es gibt je nach Lichtsetzung durchaus überzeugende Momente, aber überwiegend wirkt die Verjüngung derart künstlich, dass sie zumindest mich mehrfach aus dem Film gerissen hat.
Trotz all dieser negativen Punkte habe ich mich an keiner Stelle gelangweilt und Regisseur Ang Lee hat auch Jahre nach CROUCHING TIGER, HIDDEN DRAGON noch ein Auge für elegante Action. Besonders eine wirklich halsbrecherische Verfolgungsjagd auf Motorrädern durch die Straßen von Bogota ist erstklassig gefilmt.
Will Smiths Charisma und Sympathiebonus überstehen auch den von den Autoren arg unterentwickelten Charakter. Mary Elizabeth Winstead holt alles heraus aus dem wenigen, das ihr die Autoren an die Hand gegeben haben, auch wenn das komplizierteste an ihrer Rolle der Name Zakarweski ist. Benedict Wong gibt den hilfreichen Sidekick, während Clive Owen wieder einmal die überzogene Bösewichtkarikatur abliefern muss.
Insgesamt ein solide unterhaltender, wenn auch irgendwie schizophrener Film, der mit guten Darstellern annehmbar unterhält, meine Erwartungen jedoch in sämtlichen Kategorien mehr oder weniger enttäuscht hat. Meine Empfehlung ist daher, besser nochmal Rian Johnsons LOOPER anzuschauen. Die unter einer Menge Latex von Joseph Gordon-Levitt gespielte jüngere Ausgabe von Bruce Willis ist auch dort optisch irritierend, allerdings sind Story und Charaktere denen von GEMINI MAN um Lichtjahre voraus.
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Gemini Man, USA 2019 | Regie: Ang Lee | Drehbuch: David Benioff, Billy Ray, Darren Lemke | Kamera: Dion Beebe | Schnitt: Tim Squyres | Musik: Lorne Balfe | Produktionsdesign: Guy Hendrix Dyas | Darsteller: Will Smith, Mary Elizabeth Winstead, Clive Owen, Benedict Wong, Douglas Hodge, Theodora Miranne, Ralph Brown, Linda Emond, E.J. Bonilla | Laufzeit: 117 Min.
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