Gangster sterben zweimal

Gangster sterben zweimal

Von Christopher Klaese

Fabio Destil (Joseph Cotten), Gangster alter Schule, atmet nach zehn Jahren Haft erstmals wieder ungesiebte Luft – und sofort setzt er sich an den einen, letzten großen Coup; ein Ruhestand in Sorglosigkeit schwebt ihm vor. Gemeinsam mit seinen alten Freunden „Sempre si“ (Giampiero Albertini) und Cavallo (Cesare Miceli Picardi) rekrutiert er einen Haufen Spezialisten, mit dem er einen erfolgreichen Milliardenraub begeht. Doch Destils jugendlicher Rivale „Affattato“ (Bruno Corazzari) macht der Gruppe einen Strich durch die fein erdachte Rechnung – und nun sprechen die Maschinengewehre, der erbarmungslose Endkampf um die Beute hat begonnen.

„10 Jahre sind eine lange Zeit. Man sitzt da und sieht wie das Leben wegläuft, wie es einem durch die Finger rinnt, ein Tag nach dem anderen.“ Mit verbitterten Worten resümiert der Einbrecherkönig Destil gegenüber seiner großen Liebe die Dekade hinter Gittern – wenn er noch ein letztes großes Ding gedreht hat, will er mit ihr nach Griechenland fliegen, dort ein neues Leben beginnen. Die Erinnerungen an einen gemeinsamen Urlaub scheinen allgegenwärtig und bleiben letztendlich doch nur Luftschloss. Denn genauso wie der perfekte Plan an den beteiligten Menschen scheitert, genauso scheitern die Menschen mit ihren Träumen an sich selbst. Keine neue Weisheit und doch in ihrer Ehrlichkeit ein Fingerzeig am Ausklang der eskapistischen 1960er Jahre, als man dachte, die Mär vom ewigen Wachstum würde auf ewig so weitererzählt, die Schraube der Ekstase könne bis Anschlag gedreht werden – heute der Mond, morgen der Mars.

GANGSTER STERBEN ZWEIMAL entwickelt die Versatzstücke dessen, was man gemeinhin ‚Heist-Movie‘ nennt, konsequent weiter. Hatten die dem Film Noir entstiegenen, amerikanischen Vorbilder wie ASPHALT-DSCHUNGEL (1950) sich noch vornehmlich um den großen Fischzug selbst gekümmert und französische Nachfolger à la RIFIFI (1955) diese Schilderung um eine genaue Milieuzeichnung der Bandenmitglieder erweitert, überdrehten die 1960er in Form von Parodien (TOPKAPI, 1964) oder Klamauk (TOP JOB, 1967) das Genre ins unterhaltsam harmlose. All diese Filme kannte Multitalent Mino Guerrini, genauso wie sein Drehbuchautor Fernando di Leo – und beide ahnten in Kenntnis der gesellschaftlichen Entwicklungen damaliger Zeit, dass der Graben zwischen Realität und Fiktion zusehends größer werden würde. Sie beschlossen eine Verjüngungskur, genauso wie sie es ein Jahr zuvor mit dem in Deutschland leider als Etikettenschwindel untergegangenen Neo-Noir-Thriller AGENT 3S3 SETZT ALLES AUF EINE KARTE für den italienischen Krimi getan hatten. Dunkle Charaktere – frische, entfesselte Kamera – schnelle Schnitte – geschichtenerzählerisches Hakenschlangen – moderne, oft jazzige Filmmusik. Ein dicker Luftzug Nouvelle Vague durchweht diese beiden Guerrini-Filme, der, wie di Leo es einmal ausdrückte, das Kino nur mit der Kraft seiner Intelligenz angegangen sei, ohne praktischen Zugriff – insofern hatten die technischen Stabmitglieder wesentlich größere Freiheiten als andernorts … und das merkt man auch.

Franco Delli Colli, ein oft mit B- und C-Filmen abgespeister Zauberer hinter der Kamera, arbeitet mit ungewöhnlichen Bildkadern, Zeitlupen, unorthodoxen Blickwinkeln, leistet sich vital Handgehaltenes. Schnittmeister Enzo Micarelli setzt Jump Cuts, montiert oft stakkatoartig, jedoch ohne den Faden zu verlieren. Komponist Egisto Macchi schließlich, Neutöner aus der legendären Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza, liefert sorgsam platzierte, avantgardistische, in der Form freie Jazzmusik, erschafft in Combobesetzung, mit Trompete, Saxophon, Bassklarinette und allerlei Klangwerk wie Elektronik und Soundeffekten eine bedrückende, oft desillusionierende Stimmung abseits des Jet-Sets. Auf alle wirkt Guerrini scheins inspirierend, seine Inszenierung lässt ihnen Freiraum und formiert alle Einzelteile dabei zu einem großen Ganzen.

Natürlich versteht sich Guerrini auf die flüssige Darbietung des Heists, doch im Vordergrund stehen die Hierarchiestrukturen der bunt zusammengewürfelten Gruppe, die Fabio Destil akquiriert. Destil ist schon durch die Besetzung altes Hollywood: Joseph Cotton, der bereits in der kurz zuvor entstandenen deutsch-amerikanischen Gaunerkomödie JACK OF DIAMONDS – DER DIAMANTENPRINZ (1967) das verbrecherische Mastermind mimte, glänzt perfekt mit seinem altersweisen Habitus und bildet den ergrauten Gegenpart zu Heißspornen wie dem aalglatten Bruno Corazzari, der noch nicht so verwildert erscheint wie in seinen 1970er-Jahre-Auftritten. Starletts (Franca Polesello) und ‚working actors‘ (Giampiero Albertini) portraitieren die selbstverbrennenden, vom Leben gezeichneten Charaktere, die das Salz in der Suppe machen – die sich wie der Sinkende an den Strohhalm des Aufstiegsversprechens klammern; das Geld soll ihre seelische Leere ausfüllen. Ein Traum, aufs ehrlichste zu wünschen – doch in Zeiten der Drogensucht hilft nicht mal mehr ein Groschenheft mit „Topolino“ auf dem Nachttisch. Jeder ist sich selbst der Nächste, der italienische Genrefilm ist wieder in der Lebensrealität seiner Zuschauer angekommen.

Wie bei Jean-Pierre Melville inszeniert Guerrini und beschreibt di Leo eine fatalistische, schwermütige, melancholische Gangstergeschichte – selbst die zeittypische, um manch lockeren Spruch aufgepeppte deutsche Synchronfassung aus dem Hause von Karlheinz Brunnemann lässt keinen Zweifel daran, dass in diesem filmischen Windhundrennen nicht immer die Insel der Seligen als Ziel winkt. GANGSTER STERBEN ZWEIMAL wirkt wie eine düstere Vorahnung dessen, was das italienische Genrekino durch Mafia-Filme wie di Leos MILANO KALIBER 9 oder brutale Poliziotteschi in den Folgejahren hervorbringen sollte. Dass ausgerechnet Mino Guerrini sich zu dieser Zeit schon wieder anderen Stoffen widmete, gehört zu den ironischen Irrtümern der Filmgeschichte.

Als Nr. 2 der Italo-Cinema Collection (ICC) erschien GANGSTER STERBEN ZWEIMAL als mustergültige HD-Weltpremiere. Dank 2K-Abtastung erstrahlt er in nie gesehener Brillanz und endlich auch wieder im originalen Ultrascope-Breiwandformat – neben der deutschen Bearbeitung ist ebenfalls der italienische ‚Originalton‘ enthalten. Neben der ungeschnittenen Fassung aus Italien ist die leicht gekürzte deutsche Kinofassung vertreten. Interessant gestaltet sich auch das Bonusmaterial, da anhand vieler gelöschter Szenen, die insbesondere den Charakter des Cavallo noch stärker ausarbeiten, erkennbar wird, dass Guerrini im Ursprung noch mehr Drama für das Werk vorgesehen hatte. Neben alternativen Szenen aus dem Schneideraum, dem deutschen Kinotrailer, einem Drehortvergleich und diversen Bildergalerien sind jeweils ein Audiokommentar der Filmblogger Robert Wagner & David Leuenberger sowie von Udo Rotenberg & Konstantin Hockwin, der auch die Gesamtprojektleitung der Veröffentlichung innehatte, an Bord, die im ruhigen Duktus über die Hintergründe des Films informieren. Sehr lesenswert ist das achtundvierzigseitiges Booklet mit Texten von Christian Keßler und Roberto Curti, die mal in der ‚typisch‘ pointiert-ironischen Schreibe des Filmgelehrten M.A., mal in der profunden Wissensfülle des italienischen Filmchronisten, beredt Auskunft geben.

GANGSTER STERBEN ZWEIMAL lässt sich ohne Frage als wiederzuentdeckendes Juwel des italienischen Genrefilmes bezeichnen. Mino Guerrini hat hier die Tür in die 1970er mit einem wuchtigen Tritt aufgestoßen, die Filmfans wird es freuen. Diese Veröffentlichung ist bereits für sich genommen das „ganz große Ding“.

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Gangsters ’70 | Italien 1968 | Regie: Mino Guerrini | Darsteller: Joseph Cotten, Franca Polesello, Giulio Brogi, Giampiero Albertini, Bruno Corazzari, Franco Ressel u.a.

Anbieter: Forgotton Films Entertainment