Captive State

Captive State

Von Oliver Schäfer

Chicago, neun Jahre nach einer außerirdischen Invasion. Die Regierungsgewalt wurde an die Invasoren, die sogenannten Legislatoren abgetreten, die gegenüber der Bevölkerung von Mitgliedern der schon vorher Reichen und Mächtigen durch eine Marionettenregierung vertreten werden. Die Legislatoren leben in unterirdischen Sperrzonen, in denen sie auch die von ihnen benötigten planetaren Ressourcen abbauen. Die Macht der Legislatoren liegt in ihrer technischen Überlegenheit. Um diese Macht zu erhalten, haben sie einen umfassenden Überwachungsstaat aufgebaut. Sämtliche digitalen Endgeräte sind für Menschen verboten und allen wurde ein Implantat in den Nacken eingepflanzt, das sowohl als Ausweis, als auch als GPS-Tracker dient. Durch diese Überwachungsmethoden, sowie durch Mithilfe williger menschlicher Kollaborateure, wurde jeder Widerstand gegen die Machtübernahme im Keim erstickt. Doch im Untergrund formieren sich kleine Gruppen, die der außerirdischen Herrschaft ein Ende setzen wollen.
Die Geschichte konzentriert sich auf drei zentrale Figuren mit deutlich unterschiedlichen Zielen. Da ist zum einen William Mulligan (John Goodman – BLACK EARTH RISING), ein ehemaliger Detective, dessen Aufgabe darin besteht, mögliche Widerstandsnester auszuheben und Angriffe auf die herrschende Ordnung zu verhindern. Er hat ein untrügliches Gespür für die Pläne des Widerstands und ist der ehemalige Partner des Vaters der beiden anderen Hauptfiguren, Gabriel (Ashton Sanders – MOONLIGHT) und Rafe Drummond (Jonathan Majors – LOVECRAFT COUNTRY). Deren Eltern wurden zu Beginn der Besatzung von den Außerirdischen getötet, als sie versuchten aus der Stadt zu fliehen. Jahre später wird Rafe getötet, als er für den unter dem Namen “Phoenix” operierenden Widerstand kämpft. Gabriel hingegen arbeitet in einer Einrichtung, die Daten digitaler Geräte in eine Datenbank lädt und die Geräte anschließend vernichtet. In der Kantine wird Gabriel von seiner Kollegin Carrie (Kiki Layne – THE OLD GUARD) dazu überredet, einen Code herauszuschmuggeln und einem Phoenix-Mitglied zu übergeben. Um der ständigen Überwachung zu entkommen, unterdrückt er das GPS-Signal mithilfe eines elektronischen Halsbands. Der Verlust des Signals weckt die Neugier von Mulligan, der Gabriel häufig überwacht, da er davon überzeugt ist, das dessen Bruder Rafe noch lebt. Beim Treffen mit Phoenix erwartet Gabriel eine Überraschung und er erfährt von einem Plan, der sein bisheriges Leben auf den Kopf stellt…
Rupert Wyatt, hierzulande bekannt geworden durch RISE OF THE PLANET OF THE APES, den ersten Teil der aktuellen Trilogie, liefert hier einen spannenden Paranoiathriller ab, der unter seiner SciFi-Kulisse eine deutliche Kritik an totalitären Systemen und Überwachungsstaaten, den damit einhergehenden Unterdrückungsmechanismen sowie an sozialen Ungerechtigkeiten übt. Das scheint für den Großteil des amerikanischen Publikums nicht sonderlich interessant gewesen zu sein, da Wyatt’s Film trotz des kleinen Budgets von 25 Millionen Dollar nicht mal die Hälfte wieder einspielen konnte und der Deutschlandstart daraufhin ganz gestrichen wurde. Das ist ziemlich schade, erzählt der Film doch eine rasante und ständig überraschende Haken schlagende Geschichte. Und betrachtet man sich totalitäre Bestrebungen und rechte Propaganda in vielen Teilen der Welt, so hat der Film eine Menge aktueller Bezüge. Aber er ist keine leichte Kost, die man nebenbei schauen kann. Hier ist Aufmerksamkeit gefordert, um dem von Wyatt und seiner Frau und Co-Autorin Erica Beeney ausgelegten Puzzle folgen zu können.
Die Außerirdischen sind sozusagen nur der McGuffin, der die eigentliche Geschichte von politischem und gewalttätigem Widerstand gegen eine totalitäre Obrigkeit umrahmt. Die Kreaturen selbst haben daher auch nur kleine, wenn auch ziemlich effektive Auftritte. Wichtiger und viel interessanter sind die Pläne und Methoden des Widerstands, der einen großen Anschlag plant. Mangels digitaler Kommunikation müssen dabei sowohl die Widerständler, als auch die Polizei auf antiquiertere Methoden zurückgreifen, die Wyatt in einer wunderbar komponierten Sequenz vorführt.
Alle Beteiligten stehen unter Druck, werden vor der ständigen Angst vor Entdeckung getrieben, Allianzen wechseln, Pläne müssen ad hoc geändert werden, Vertrauen wird strapaziert und Verrat in letzter Sekunde ist nicht auszuschließen. In einer erstklassigen Parallelmontage versucht John Goodman gleichzeitig, seine Hinweise und Überwachungsschnipsel zu einem sinnvollen Bild zusammenzusetzen. Und so steuert der Film atemlos auf seinen feurigen Höhepunkt zu, dem ein cleveres und befriedigendes, wenn auch von einigen Zuschauern sicher vorhersagbares Finale folgt.
CAPTIVE STATE ist eigenwillig strukturiert. Nach einem furiosen Start werden nach und nach die vielen wichtigen Figuren eingeführt, bevor nach einer halben Stunde alle Teile an ihren Platz fallen und die Story richtig Fahrt aufnimmt. Gleichzeitig dreht sich der bisherige Fokus von Gabriel auf Mulligan. Mit diesem Wechsel des Hauptakteurs verwandelt sich der Film in einen klassischen Spionagethriller mit Paranoia-Potential, der auch in den 1970ern von Alan J. Pakula (ZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG), John Schlesinger (DER MARATHON-MANN) oder Jean-Pierre Melville (ARMEE IM SCHATTEN) hätte inszeniert werden können.
Die Bilder sind grau und ausgewaschen und an vielen Stellen hat DP Alex Disenhof (CODE 8) mit einer agilen Handkamera gearbeitet. Ausstattung, Effekte und Schnitt passen überzeugend und der treibende Score von Rob Simonson unterstreicht die gehetzte Spannung. Neben Sanders, Goodman und Majors wird die exquisite Besetzung abgerundet durch die immer sehenswerte Vera Farmiga und eine Riege prägnanter Charaktermimen wie Kevin Dunn, James Ransone, Alan Ruck und Ben Daniels.
Neben einer Aufmerksamkeit fordernden Story und irreführenden Trailern hatte CAPTIVE STATE den parallel laufenden Spektakeln wie WONDER WOMAN und ALITA: BATTLE ANGEL wenig entgegenzusetzen, so dass der spannende und klug aufgebaute Thriller leider völlig zu Unrecht an der Kinokasse untergegangen ist.

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Captive State | USA 2019 | Regie: Rupert Wyatt | Darsteller: John Goodman, Ashton Sanders, Vera Farmiga, Jonathan Majors, Kevin Dunn, James Ransone u.a.

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