Moffie

Moffie

Von Peter Clasen

Südafrika 1981: Die weiße Minderheitsregierung unterdrückt das schwarze Volk mit seinem Apartheids-„Recht“. Weil Nachbarstaat Angola mit den Sowjets verbündet ist, müssen alle jungen Männer über 16 zur Armee und gegen „den Kommunismus“ kämpfen. Nicholas van der Swart ist einer von ihnen. Er weiß nicht, was ihn erwartet, die anderen Rekruten ebenso wenig. Sie trinken und kotzen schon im Zug zum Camp. Doch die Realität der nächsten Monate übertrifft alle Befürchtungen: Der sadistische Sergeant Brand will sie zu Männern und Kriegern formen – und macht viele zu seelischen Wracks. Es ist die Hölle. Erst recht für die, die sich als schwul entpuppen. Nick ist einer von ihnen, aber was andere schon schmerzlich erfahren mussten, will er nicht riskieren. Nur seine Liebe zu Kamerad Stassen ist stärker…

Klingt vielleicht kitschig, ist es aber nicht. Überhaupt nicht. MOFFIE ist brutal und erschütternd, aber ohne aufgesetzte Melodramatik und ohne Pathos, dafür mit lyrisch-poetischen Momenten. Zärtlichkeiten sind rar und kurz, aber magisch. Das LGBTIQ-Publikum mag vielleicht überrascht sein, wie wenig der Film „Genretypisches liefert“, doch MOFFIE ist eben nicht die übliche Boy-Meets-Boy-Romanze, sondern das bestürzende Porträt einer Generation junger Männer, die für einen sinnlosen Krieg verheizt wurde, sowie das hochpolitische Porträt eines Systems, das in seiner Paranoia und Verlogenheit alles und jeden zum Feind erklärt – die Schwarzen, die Kommunisten, die Schwulen, die Schwachen.

Nick kriegt das schon im Kindesalter zu spüren: Als er im Freibad zu lange auf einen jungen Mann unter der Dusche starrt, ist der Teufel los. Der geschockte kleine Junge in der Badehose hat seine Lektion gelernt, wird sich fortan bedeckt halten, sich selbst verleugnen. Jahre später wird Dylan Stassen der Erste sein, der ihn wieder an seine Gefühle erinnert…

Gefühle und eigene Gedanken sind Gift für Staat, Kirche, Armee, denn sie machen Untergebene unkontrollierbar. Wer auffällt, wird beobachtet, ausgesondert und individuell zugerichtet – zum Beispiel auf der berüchtigten Station 22. Bei Nick ist so etwas schon früh erfolgt, andere sind erst jetzt dran – und flüchten in Alkohol, Heroin, Gewalt, Tod.

MOFFIE bietet nichts von dem, was Mann vielleicht von ihm erwartet, im Kinosinne hübsch sind hier nur wenige, Uniformen und Waffen werden nicht zum Fetisch, selbst die in anderen Armeefilmen häufige Homoerotik greift hier nicht wirklich: Wer gelernt hat, den Kopf zu senken, wer sich von anderen absondert, um sich ja nicht zu verraten, der kann keine sehnsüchtigen Blicke werfen.

Es gibt viele Bilder von Latrinen, Duschräumen und Schlafsälen, aber sie sind nichts weiter als genau das: Latrinen, Duschräume und Schlafsäle. Nichts davon ist erotisch aufgeladen oder dunkel eingefärbt. Die Dinge selbst sind banal, anders als die Menschen und Verhältnisse darin. Es gibt mehrere Szenen vom Gruppenduschen, und jede ist anders als die davor: Es gibt das allgemeine, heitere Sichsaubermachen, das schweigende Bad in totaler Erschöpfung oder das verzweifelte Abwaschen von Schuld und Schande.

MOFFIE ist nicht das, was sich viele unter einem schönen Kinoabend vorstellen, mit modischem Selfempowerment-Gewäsch hat der Film erst recht nichts zu tun, wir müssen echte Schocks verkraften, und selbst das hoffnungsvolle Ende ist labil. All das könnten Gründe dafür sein, dass MOFFIE nur bei zwei eher kleinen Festivals reüssieren konnte, aber nicht den so wichtigen Queer Lion in Venedig errang. Schwule Zuschauer können manchmal recht undankbar sein. Andererseits wird sich auch ein heterosexuelles Publikum wohl nur bedingt für MOFFIE (Afrikaans für „Schwuchtel“) erwärmen können. Obwohl der Film ALLEN etwas zu erzählen hat, hängt er ein wenig zwischen den Stühlen.

Was seine überragende künstlerische Qualität nicht mindert: Mit seiner eigenen Bildsprache aus klaren, kraftvollen Kuben (Kamera: Jamie Ramsay), dem aufregenden, abwechslungsreichen Soundtrack, der immer wieder überraschenden, universellen Geschichte oder seinem authentischen Cast ist dem übrigens schwarzen Regisseur Oliver Hermanus ein kühnes, kluges, bewegendes Meisterwerk gelungen, das sich hoffentlich immer weiter herumspricht. Abseits aller sexuellen Präferenzen.

Verfügbarkeit: Die deutsche DVD erscheint am 29. Januar 2021. Parallel wird der Film bei iTunes, Amazon prime, im Google Play Store und bei Vimeo abrufbar sein. Interessierte Kinos können ein DCP entleihen.

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Moffie, Südafrika / Großbritannien 2019 | Regie: Oliver Hermanus | Drehbuch: Oliver Hermanus und Jack Sidey, nach dem Roman von Carl van der Merwe | Kamera: Jamie Ramsay | Darsteller: Kai Luke Brümmer, Ryan de Villiers, Hilton Pelser, Matthew Vey | Laufzeit: 104 Min.