Landhaus der toten Seelen

Landhaus der toten Seelen

Von Gerd Naumann

Die Idee des verfluchten Hauses beziehungsweise Spukhauses ist in der Literatur- und Filmgeschichte ein häufig anzutreffendes Motiv. Vertreter der klassischen phantastischen Literatur nahmen sich dessen ebenso an wie Autoren der Moderne, wobei sich der erzählerische Fokus von, um nur Beispiele zu nennen, Edgar Allan Poes THE FALL OF THE HOUSE OF USHER (1839) bis hin zu Jay Ansons THE AMITYVILLE HORROR: A TRUE STORY (1977) im Laufe der Jahrhunderte verschob. Das verfluchte Haus steht in der klassischen Schauerliteratur oftmals als Chiffre für den Verfall moralischer Werte innerhalb familiärer Verflechtungen, ist sozusagen ein Zeugnis der immerwährenden Buße für vergangene und zukünftige Sünden. Moderne Grusel- und Horrorliteratur macht das Haus an sich zum Ereignis, das als böses Wesen mit einem unheimlichen, dämonischen Charakter auftritt. Hinzu kommt bisweilen der Marketingeffekt, dass die beschriebenen Ereignisse auf vorgeblich wahren Begebenheiten beruhen sollen, wie etwa im Falle von THE AMITYVILLE HORROR: A TRUE STORY oder den Vorlagen der aktuellen CONJURING-Filme.

Das Spukhaus hat ebenso im Kino eine lange Tradition, sei es als komisches oder schauerliches Motiv. Ein frühes Beispiel ist der knapp sechsminütige französische Film LA MAISON ENSORCELÉE (1908, Regie: Segundo de Chomón), eine Produktion von Pathé. Drei Personen suchen Zuflucht in einem einsam gelegenen Haus, dessen windschiefe Gestaltung allein bereits wenig vertrauenerweckend ist. Zudem wird tief in die Trickkiste der altehrwürdigen Sagen- und Gruselmotive gegriffen. Hexen auf Besenstielen überfliegen das Haus, Blitz und Donner zeugen von Unheil und kaum haben die Reisenden das Haus betreten, verwandelt sich dessen Fassade in ein augenrollendes Ungetüm. Anzumerken ist, dass sich das Motiv, dem Haus ein beinahe menschliches Antlitz zu geben, konsequent durch die Filmgeschichte zieht. Noch in der 1979 uraufgeführten Verfilmung von Jay Ansons Erfolgsroman (THE AMITYVILLE HORROR: A TRUE STORY / Regie: Stuart Rosenberg) scheinen die Fenster ein Unwohlsein erzeugendes Eigenleben zu entwickeln. LA MAISON ENSORCELÉE wiederum ist für den Genrekanon des Spukhausfilms ein wegweisendes Beispiel, denn hier spielen sich in wenigen Minuten zahlreiche Ereignisse innerhalb des Hauses ab, die zu klassischen Motiven der nachfolgenden Genregeschichte werden sollten. Den drei Zuflucht suchenden Menschen erscheint ein Geist, präziser: eine mephistophelische Spukgestalt, Kleidungsstücke fliegen durch die Luft und sogar der Prototyp des Groschengrusels hat seinen Auftritt – aus einem weißen Tuch wird ein Geist. Tricktechnisch noch interessanter ist eine frühe Stop-Motion-Sequenz, in der sich ein Tisch wie von Geisterhand selbst deckt. Am Ende gibt es kein Halten mehr, denn die Gesetze der Physik haben in diesem Haus keine Bedeutung – der Boden schwankt von links nach rechts. Die amüsante Schlusspointe sei hier nicht verraten.

Dieser frühe filmische Beitrag zum Spukhausgenre war in jeglicher Hinsicht dem Unterhaltungsaspekt der Jahrmärkte und Varietés verhaftet, der für die frühe Aufführungspraxis von Filmen kennzeichnend war. Genauso wie das Kino diese Ursprünge bis heute nicht verleugnen kann, Film als Geschäft funktioniert im Wesentlichen nur, wenn das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums ernstgenommen wird, so hat es den Anschein, als ob sich die Majorität der produzierten phantastischen Filmbeiträge dem Paradigma der Äußerlichkeit, der Zurschaustellung von Tricktechnik und Schockeffekten zur Unterhaltung des Publikums unterwirft. Das ist weder verwerflich noch in Frage zu stellen, denn das „Trickkino“ ist der Attraktion verhaftet. Jedoch lebt gerade die Auseinandersetzung mit dem Übersinnlichen von subtilen Andeutungen, dem unaussprechlichen Unbehagen und jener nicht näher zu quantifizierenden Anregung der Vorstellungskraft, die selbst kleinste Andeutungen kitzeln können. Dienen die Effekte nicht der zu erzählenden Fabel, sind hiernach reiner Selbstzweck der filmischen Inszenierung, ist es möglich, dass der spezifische Aspekt der Unbehaglichkeit beziehungsweise des Unwohlseins verpufft. Das Grauen hinterlässt unter Umständen gerade dann einen nachhaltig starken Eindruck auf Leser und Zuschauer, wenn sich der Schrecken im Unterbewusstsein, in den wenig ausgeloteten Verästelungen der eigenen Ängste und Wahnvorstellungen abspielt. Angst, das ist die Summe aus der Furcht vor dem Unbekannten und dem Unbehagen, sich diesem zu stellen. Oder um es mit dem Schriftsteller H. P. Lovecraft auf den Punkt zu bringen: “The oldest and strongest emotion of mankind is fear, and the oldest and strongest kind of fear is fear of the unknown.” Diese Quintessenz der Angst zeichnet auch die großen Spukhausfilme aus. Hiermit sind nicht zwangsläufig die Publikumsgaranten ihrer Zeit gemeint, als einer der bekanntesten zu nennen ist Tobe Hoopers POLTERGEIST (1982), die aufgrund ihres einstigen kommerziellen Erfolges als Klassiker gehandelt und entsprechend oft neu aufgelegt werden. Jedoch haftet den zeitgenössischen Erfolgsfilmen nicht selten die Eigenschaft an, den psychologischen Schrecken durch den äußeren Geisterbahngrusel der Effekte zu ersetzen.

Bei Spukhausfilmen handelt es sich im Wesentlichen um Geisterfilme, die das Jenseits, mithin die Sterblichkeit und die Vergänglichkeit des Individuums zum Thema haben. Unter den „großen Spukhausfilmen“ seien exemplarisch einige genannt, denen es gelingt, aus psychologischer Tiefe heraus ihre Wirkung zu erzielen. In THE HAUTING (BIS DAS BLUT GEFRIERT, 1963, Regie: Robert Wise), nach dem Roman THE HAUNTING OF HILL HOUSE von Shirley Jackson, ist das Spukhaus an sich die latente Bedrohung. Bei dem Werk von Robert Wise handelt es sich daher nicht zwingend um einen Geisterfilm. Während sich die Auflösung der schrecklichen Geschehnisse beispielsweise in Lewis Allens THE UNIVITED (DER UNHEIMLICHE GAST, 1944) dann vollzieht, wenn sich die psychosozialen Beweggründe der spukenden Gestalt in Wohlgefallen auflösen, ist das im Hill House nicht der Fall. Das Haus selber ist die böse Entität, die lebendig und zielgerichtet agiert. Auf vordergründige Effekte wird bei Wise bewusst verzichtet. Über weite Strecken lässt er das Publikum im Unklaren darüber, ob es sich bei den Geschehnissen um wahrhaftige paranormale Ereignisse handelt oder diese reale Hintergründe haben könnten. Durch den feinfühligen Einsatz filmischer Gestaltungsmittel, etwa dem Schnitt, erzeugen Regisseur Robert Wise und Schnittmeister Ernest Walter das Gefühl einer allgegenwärtigen Bedrohung. Das obskure Anwesen Hill House, in das es den von Richard Johnson dargestellten Professor Markway und eine Gruppe für übersinnliche Zeichen sensibilisierte Personen verschlägt, ist nur mehr als Chiffre für die Bedrohung durch unterbewusste, verborgene Ängste und Sehnsüchte zu begreifen. Überdies steht THE HAUNTING seinen literarisch-phantastischen Urahnen sehr nahe. Nicht nur der Verzicht auf spekulative Effekte regt die Fantasie, vergleichbar dem Erlebnis des Lesens, an. Es sind auch die subjektiven Ich-Erzählerpassagen der tragischen Hauptfigur Eleanor Lance, gespielt von Julie Harris, die dem Werk eine literarische Note verleihen.

Ein Hybrid aus Literaturadaption und Spukhausfilm ist Roger Cormans HOUSE OF USHER (DIE VERFLUCHTEN, 1960). Der in der Hauptrolle mit einem beängstigend intensiv spielenden Vincent Price besetzte Film markierte den Beginn einer Reihe von Poe-Adaptionen Roger Cormans, der hier vor allem den Aspekt der „unreinen“ familiären Verflechtungen heraus arbeitet. So weist das Verhältnis des dominanten Hausherrn Roderick Usher zu seiner Schwester durchaus inzestuöse Züge auf. Das Verbot, Beziehungen zu Außenstehenden zu pflegen, mag in der Sorge Ushers begründet sein, dass sich der erbliche Wahnsinn seines Geschlechts nicht ausbreiten möge, das zwanghafte Klammern am einzigen noch lebenden Verwandten aber hat ebenso unverhohlen erotischen Charakter. Allgegenwärtig ist der familiäre Verfall, der mit der Erosion der Grundmauern des Herrschaftssitzes einhergeht. Es biegen sich die Balken, die Anspannung ist sprichwörtlich zum Zerbersten. Mit dem Ende der fluchbeladenen Familie zerfällt auch die äußerliche Hülle des Schlosses. HOUSE OF USHER ist schieres Wahnsinnskino, dessen bizarre photographische Schönheit, erwähnt sei die herausragend-gravitätische Kameraarbeit von Floyd Crosby, in eigenartigem Widerspruch zur schweren moralischen Bürde liegt, die auf Roderick Usher lastet.

THE LEGEND OF HELL HOUSE (TANZ DER TOTENKÖPFE, 1973, Regie: John Hough) wiederum vereint auf besondere Weise die Charakteristika von THE HAUTING sowie HOUSE OF USHER und schafft hierdurch ein besonders perfides Höllengemälde. Der Film basiert auf einer Buchvorlage von Richard Matheson, der bereits HOUSE OF USHER für Corman geschrieben hatte und auch hierzu das Drehbuch verfasste. Die Kompromisslosigkeit, mit der Matheson und Hough mit den handelnden Personen umgehen, ist ungewöhnlich respektlos und bricht kalkuliert mit den Erwartungshaltungen des Publikums. Im Belasco House, das hinter vorgehaltener Hand als der „Mount Everest der Spukhäuser“ bezeichnet wird, ist alles möglich… Wie in THE HAUNTING zieht eine kleine Gruppe von Personen in das abgelegene Haus, deren Absicht es ist, herauszufinden, was hinter dem legendären Ruf des Hauses steckt. Jedoch ist die Gruppe keinesfalls homogen, die persönlichen Interessen könnten unterschiedlicher nicht sein. Aus der Existenz übersinnlicher Ereignisse macht der Film keinen Hehl, stellt aber auch die Frage nach deren Ursprung. Kann ein Haus an sich böse sein und welche Ursachen könnte dies haben? Die Auflösung ist zugleich erschreckend wie auch erstaunlich plausibel. Bei Matheson und Hough ist es nicht das Haus, das der Auflösung anheimfällt. Es sind die körperlichen Unzulänglichkeiten des Menschen, seine Gebrechen und die moralisch-psychischen Abgründe, die für das Böse ursächlich sind. Nicht das von Menschen erbaute Anwesen ist verflucht und dem Untergang geweiht – es ist die Bestie Mensch. THE LEGEND OF HELL HOUSE wirkt auch heute noch erfrischend unkonventionell und verstörend. Der Film ist auf seine Art ein Klassiker des Übersinnlichen geworden.

In BURNT OFFERINGS (LANDHAUS DER TOTEN SEELEN, 1976, Regie: Dan Curtis) geht es im Kern um die zunehmende Zerrissenheit einer amerikanischen Kleinfamilie. Anders als in HOUSE OF USHER ist es jedoch nicht der Mann, der letzten Endes die Tragödie auslöst, sondern der weibliche Beschützerinstinkt. Es ist die Fürsorge einer Frau, die sich zunehmend in Manie und Obsession verwandelt, um am Ende die Hölle auf Erden zu entfesseln. Nüchtern, beinahe dokumentarisch erzählt Regisseur Dan Curtis die Geschichte und gibt den Figuren Raum zur Entfaltung. Ein herausragend spielender Oliver Reed als Familienvater, dessen zunehmende Furcht vor Kontrollverlust schlussendlich in Resignation umschlägt und eine beängstigend fokussiert spielende Karen Black als seine Ehefrau tragen ihren Teil dazu bei, dem Geschehen Glaubwürdigkeit zu verleihen. Eine besondere Note verleiht dem Film überdies Hollywoodlegende Bette Davis, die als Tante Elizabeth einen rapiden körperlichen wie auch seelischen Verfall erleiden muss. Auch BURNT OFFERINGS basiert auf einer literarischen Vorlage, diese stammt von Robert Marasco.

Den hier behandelten Spukhäusern gemein ist ihre geradezu monströse Architektur. Weitläufige Korridore, überdimensionale Hallen, unzählige Räume, die mit Vorliebe im neoklassizistischen Stil eingerichtet sind. Das Grauen, so ließe sich ableiten, liebt die nostalgischen Reminiszenzen an vergangene Jahrhunderte voller Glanz und darunter verborgener Abgründe. Das Wesen dieser so verschiedenen Spukhäuser könnte jedoch unterschiedlicher nicht sein. Die Akteure in HOUSE OF USHER haben zumindest eine Chance, dem Wahnsinn aus eigener Kraft zu entfliehen, bevor sich das Haus um sie herum auflöst, das Elend und Leid unter sich begräbt. Das Böse in THE HAUNTING fordert ein mehr oder weniger freiwilliges Opfer, die destruktive Kraft in THE LEGEND OF HELL HOUSE wurde aus menschlicher Verletzlichkeit geboren. Unter den genannten Beispielen nimmt BURNT OFFERINGS eine Sonderstellung ein, da die Spukhausmotive hier kulminieren. Es hat nahezu den Anschein, als ob die Genregeschichte ihre Zuspitzung in diesem Film erfährt. Hier ist tatsächlich das Haus die Keimzelle allen Übels, sozusagen die destruktive, nie vertrocknende Wurzel des Bösen. Bereits das Hill House „verschlang“ seine Opfer und auch bei den Ushers zerfiel die Famile. In BURNT OFFERINGS findet sich nun beides. Oliver Reed und Karen Black haben sich auf einen Sommerurlaub im einzig wahren „Haunted Mansion“ eingelassen. Das Böse lebt in seinen Adern, verkriecht sich in jedem Erker und jedem Ziegel. Der Untergang der unter seinem Dach lebenden Personen ist unaufhaltsam, es gibt keine Gnade. Während das Anwesen Roderick Ushers in Todesauflösung zerfällt, unternimmt es in BURNT OFFERINGS einen Prozess der Häutung. Wer diesem ausgesetzt wurde, den hat das Haus sprichwörtlich mit Haut und Haar verschlungen. Die Nachwirkung dieses Seherlebnisses ist enorm, dieses Werk von Dan Curtis bleibt im Gedächtnis haften und beschäftigt noch lange. BURNT OFFERINGS ist einer jener Filme, die es vermögen, eine spezifische Atmosphäre zu erzeugen, die den Zuschauer in höchstem Maße verstört zurück lässt. Der Regisseur, der überwiegend für das Fernsehen tätig war, legte mit diesem Kinofilm sein Meisterstück vor. Mit stoisch-bitterböser, fast schon sadistisch zu bezeichnender Gnadenlosigkeit dirigiert er seine Figuren durch ein Labyrinth der Ausweglosigkeit, das jedes Entkommen unmöglich macht.

Es war ein weiter Weg von filmischen Frühwerken wie LA MAISON ENSORCELÉE bis BURNT OFFERINGS, seitdem sind abermals viele Jahrzehnte vergangen. Das Kino hat uns in seiner langen Geschichte eine unüberschaubare Anzahl von Genreproduktionen geschenkt, die oftmals zugunsten kommerzieller Erwägungen den inneren, psychologischen Grusel vernachlässigten. Das Spukhausgenre hat auch nach den 1970er Jahren viele ebenso markante wie populäre Beiträge hervorgebracht, zu nennen sind beispielsweise THE CHANGELING (DAS GRAUEN, 1980, Regie: Peter Medak) oder THE SHINING (SHINING, 1980, Regie: Stanley Kubrick). Aktuelle Beispiele sind etwa THE CONJURING (CONJURING – DIE HEIMSUCHUNG, 2013, Regie: James Wan), INSIDIOUS (2010, Regie: James Wan) oder auch PARANORMAL ACTIVITY (2007, Regie: Oren Peli). Die thematische wie inszenatorische Konsequenz, zu der das Subgenre in BURNT OFFERINGS fand, variieren viele dieser Filme, konnten diese aber nicht übertreffen.

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Burnt Offerings | Italien/USA 1976 | Regie: Dan Curtis | Darsteller: Karen Black, Oliver Reed, Burgess Meredith, Eileen Heckart, Lee Montgomery, Bette Davis u.a.

Anbieter: Camera Obscura