Frost / Nixon

Frost / Nixon

Von Michael Hille

Als 1974 der Watergate-Skandal den ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon zu Fall brachte, war das ein Medienereignis: 400 Millionen Zuschauer sahen seine letzte Präsidentschaftsrede live im Fernsehen. Einer von ihnen war der Talkshow-Moderator David Frost, dessen Karriere zu dem Zeitpunkt stagnierte. Doch die Quoten von Nixons Abgang brachten ihn auf eine Idee: Ein Interview mit diesem Mann könnte seine Chance auf Nobilitierung bedeuten. Dafür riskierte er alles: Da kein TV-Sender ihn finanziell unterstützen wollte, bot er Richard Nixon stolze 600.000 Dollar, um ihn aus seinem Domizil an der Westküste zu locken. Der nahm an. Er wollte sich mitteilen, seine politische Reputation wiederherstellen.

Seine Berater fanden, Frost sei dafür der ideale Mann. Sie nahmen den übertrieben schick gekleideten Ausländer, dessen bis dato größtes Interview er mit den Bee Gees führte, nicht für voll, erachteten ihn bloß als Stichwortgeber, den das rhetorische Genie Richard Nixon leicht austricksen könne. Sie sollten sich irren. Gewaltig. Das Interview, aufgeteilt auf 12 Tage, mit einer Gesamtlänge von 28 Stunden, wurde für Nixon zum Desaster. Frost nagelte ihn beim Thema Watergate fest und bot ihm den Prozess, dem er zuvor entkommen war, weil – zum Ärger eines Großteils des US-amerikanischen Volkes – sein Präsidentschaftsnachfolger Gerald Ford ihn für sämtliche Vergehen vollständig begnadigte. Das Gespräch mit Nixon, das in vier 90-minütigen Sendungen ausgestrahlt wurde, schrieb TV-Geschichte. Die letzte Ausgabe zog 45 Millionen US-Zuschauer vor die Flimmerkisten – bis heute ein Talkshow-Rekord. Frost gewann das Interview, das längst ein Duell geworden war.

Ein Duell, welches den gefeierten britischen Autor Peter Morgan drei Jahrzehnte später zu einem Theaterstück inspirierte. 2006 wurde die Geschichte um die Vorbereitung des Interviews und die schicksalsträchtige TV-Aufzeichnung in London uraufgeführt, so erfolgreich, dass es kurz darauf auch am Broadway gespielt wurde. Doch eine Geschichte, die ihren Ursprung auf den Bildschirmen nahm, findet wohl unweigerlich dorthin zurück – so erschien bereits 2008 die verfilmte Version in den Kinos. Das Drehbuch dafür schrieb Peter Morgan gleich selbst, als Regisseur kam Ron Howard an Bord. Er hatte schon zuvor biografische Geschichten angenommen und sie in Filmen wie APOLLO 13 und A BEAUTIFUL MIND zu glossigen, rührseligen Hollywood-Melodramen umfunktioniert.

Bei FROST/NIXON ist davon keine Spur mehr: Er geht das intellektuelle Sujet ernst an, widersteht jedem Versuch, sich mit kitschigen oder sentimentalen Elementen dem Massenpublikum anzubiedern. Bravourös und raffiniert gelingt es ihm, die kammerspielhafte Spannung des Bühnenstücks auf die Leinwand zu transportieren. Dabei machen er und sein Kameramann Salvatore Totino übermäßig Gebrauch von dem filmischen Stilmittel, welches bereits beim Theaterstück Verwendung fand: die Nahaufnahme. Dank Kameras auf der Bühne konnten die Zuschauer über Monitore direkt in die Gesichter der Schauspieler gucken. Schon für das Theater war dies ein brillanter Einfall, denn Morgans Stück ist als große Medienkritik zu verstehen: Wie Politik zu einer einzigen Inszenierung wird, zur Show, in der die Akteure nur an Optik und Auftreten gemessen werden, ist das substanzielle Futter dieser Interview-Adaption.

Frost etwa versprüht stets einen ungeheuren Charme, das Scheinwerferlicht schmeichelt ihm. Nixon wiederum taugt nicht zum Charismatiker, die Fernsehkameras sind ihm nicht gnädig. Experten gehen davon aus, dass er die Präsidentschaftswahl 1960 gegen John F. Kennedy deshalb verlor, weil im TV-Duell die Schweißperlen auf seinem Gesicht in den Nahaufnahmen deutlich zu erkennen waren und er so auf das TV-Publikum unprofessionell wirkte. Am Ende des Films sinniert der Republikaner, beide hätten das falsche Leben gewählt: Er wäre als unbequemer Fragesteller ideal gewesen, Frost hätte es dagegen als Politiker weit gebracht.

Die Umsetzung als 122-minütiger Kinofilm rechtfertigen allein schon das Dekor, die Frisuren, die authentischen 70s-Klamotten sowie das detailverliebte Produktionsdesign: Gedreht wurde an Originalschauplätzen, in Nixons Haus in San Clemente sowie in Frosts Hotel-Suite. Hans Zimmer steuerte die Filmmusik bei und verzichtete auf seine bekannte Bombast-Untermalung, stattdessen bietet er herausragende leise Zwischentöne. Die Bühnenversion aber liefert die wichtigsten Ideen zur Inszenierung: Im Theater wendeten sich die Berater der beiden Widersacher direkt mit ihren Kommentaren an das Publikum. Howard behält dies bei, indem er wiederholt Szenen einschiebt, in denen die Charaktere aus dem Rückblick berichtend in die Kamera erzählen, so als sei FROST/NIXON kein Spiel-, sondern ein Dokumentarfilm – womit er Morgans medienkritischem Ansatz eine zusätzliche Metaebene überstülpt.

Zu einem so delikaten Vergnügen wird FROST/NIXON aber erst durch seine Besetzung. Für die Hauptrollen wurden die Bühnenstars der Erstbesetzung zurückgeholt. Michael Sheen spielt somit David Frost. Brillant verkörpert er den Moderator als Karrieristen, der die Herausforderung sucht und dabei kein Scheitern kennt. Zur Zeit der Interviews war Frost mit der Britin Caroline Cushing zusammen, und Morgan nutzt diese Beziehung, um Frost als Playboy zu zeigen, der sich nimmt, was er will: Im Flugzeug lernt er Cushing kennen, bezaubernd von Rebecca Hall gespielt. Mit selbstsicherem Perlweiß-Grinsen erobert er in Windeseile ihr Herz.

Frank Langella, der für seine Bühnen-Performance als Richard Nixon mit einem Tony-Award geehrt wurde, steht dem in Nichts nach. Weniger machiavellistisch als 1995 noch Anthony Hopkins in NIXON von Oliver Stone, verkörpert er den Staatsmann als intelligenten, widerstandsfähigen Kämpfer, der sich mit dem Ruhestand nicht zufriedengibt – und dabei eine fatalistische Selbstsicherheit ausstrahlt. Das Skript verharmlost Nixons Charakter nicht: Sein Gesicht drückt Ekel aus, als er davon hört, Frost sei einmal mit einer schwarzen Frau, der Schauspielerin Diahann Carroll, verlobt gewesen. Doch Morgan ist bemüht, Nixon als Menschen zu zeigen und Langella spielt auch auf der Leinwand so phänomenal, dass er zurecht bei den Oscars als ‚Bester Hauptdarsteller‘ nominiert wurde (vier weitere Nominierungen gab es in den Kategorien ‚Bester Film‘, ‚Beste Regie‘, ‚Bestes adaptiertes Drehbuch‘ und ‚Bester Schnitt‘, doch der Film ging leer aus).

Auch die restlichen Schauspieler sind grandios: Kevin Bacon ist als loyalster Vertrauter von Nixon sensationell, übertroffen wird er nur von Sam Rockwell, der als idealistischer Liberaler mit dem nach Ruhm gierenden Frost, für den er zu Watergate recherchiert, in Konflikt gerät. Er ist fassungslos, als Nixon sich in den Interviews aufgrund von Frosts Unachtsamkeit leicht aus jeder Misere reden kann. Auf die peinlich-provokante Einstiegsfrage, warum er die Tonbandmitschnitte aus dem Oval Office, die gegen ihn verwendet wurden, nicht einfach verbrannt habe, antwortet Nixon mit einer erschlagenden 23-minütigen Rede, welche der Frage ultimativ ausweicht. Später gesteht er ein, den Vietnamkrieg nach Kambodscha ausgeweitet zu haben, aber doch nur, um damit Waffenlager der Kommunisten zu vernichten – womit er vielen US-Soldaten das Leben gerettet hätte. Gegen diese rasiermesserscharfe Artikulationswucht kommt Frost lange nicht an.

Ihr verbales Kräftemessen ist psychologisch dermaßen eindringlich geschrieben und so dicht an der Wirklichkeit, dass die Versuchung groß ist, sich zu der Phrase „Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst“ hinreißen zu lassen. Die beste Szene dieses Films aber schrieb das Leben nicht, sie ist gänzlich fiktiv. Wenige Nächte vor dem letzten Interview ruft ein betrunkener Richard Nixon seinen Gegenspieler in dessen Hotelzimmer an. Er erklärt Frost in einem geradezu gespenstischen Monolog, wie viel sie verbinde: Sie beide stammen aus der Arbeiterklasse, haben sich in die elitären Kreise hocharbeiten müssen, sich jede Schwäche, jede Verletzlichkeit abtrainiert. „Haben die Snobs auch auf Sie herabgeblickt?“ fragt er. Seine Stimme bricht.

Kein noch so meisterhafter Watergate-Film kann gedreht werden, ohne Assoziationen mit DIE UNBESTECHLICHEN zu wecken, jenem grandiosen Journalismus-Thriller, der schon 1976 von den Mitarbeitern der Washington Post erzählte, deren Recherche-Arbeit erst das ganze Ausmaß des Skandals aufdeckte und Nixon das Amt kostete. Doch an noch einen anderen Film aus demselben Jahr erinnert FROST/NIXON. Wie er die Geschichte der Interviews als Underdog-Fabel verpackt, um einen David, der einen übermächtigen Goliath zu Fall bringt, ähnelt dem wohl größten Aufsteigermärchen des US-Kinos: ROCKY. Kein Zufall! Als Morgan die Arbeit am Theaterstück begann, stellte er sich zuallererst tatsächlich die Frage: „Wie erzähle ich einen Boxkampf nur durch Dialoge?“

Folgerichtig entscheidet in FROST/NIXON am Ende ein einziger vernichtender Fausthieb das Duell: Habe er das Volk nicht mit seinem Handeln im Watergate-Skandal verraten, fragt Frost sein Gegenüber. Könne er wenigstens diesen einen Fehler, diese Straftat eingestehen? „Nein,“ entfährt es Nixon. „Wenn der Präsident etwas tut, bedeutet das, dass es nicht illegal ist.“ Ein Satz, der – wie ein zeitgenössischer Spiegel-Artikel schrieb – so klingt wie: „Der Führer hat immer recht.“ Dieser eine Satz offenbarte die ungeheuerliche Hybris Nixons. Er brachte einer ganzen Nation die bitternötige Katharsis, und ließ Frost triumphierend aus dem Ring gehen. Sieg durch Knockout.

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Frost/Nixon, USA 2008 | Regie: Ron Howard | Drehbuch: Peter Morgan | Kamera: Salvatore Totino | Musik: Hans Zimmer | Darsteller: Frank Langella, Michael Sheen, Kevin Bacon, Oliver Platt, Sam Rockwell, Toby Jones, u.a. | Laufzeit: 122 Min.