Asylum, Amicus und der Episodenfilm.

Asylum, Amicus und der Episodenfilm.

Von Gerd Naumann

Die Amicus Productions waren neben dem Horrorflaggschiff Hammer Film Productions und den Tigon British Film Productions die dritte namhafte britische Produktionsschmiede für phantastische Filme. Vor allen Dingen Hammer, auch heute noch bekannteste Firma unter den Dreien, bediente jahrzehntelang das Bedürfnis des Publikums nach gruseliger Unterhaltung, nicht nur mit ihren langlebigen Reihen um die Figuren DRACULA und FRANKENSTEIN. Bediente sich Hammer eher klassischer Monster und Mythen, ging es bei Tigon in der Regel moderner und realistischer zu. Jüngere Regisseure wie Michael Reeves erhielten hier die Chance, neue Zeichen zu setzen. Allerdings baute auch Tigon auf bekannte Story-Versatzstücke und holte dann und wann Genrestars der Vergangenheit vor die Kamera. Tigon-Filme atmeten allerdings seltener die Filmstudio-Ästhetik vergangener Jahre, wie sie die frühen bis mittleren Hammer-Filme auszeichnete, gedreht wurde oft in „freier Wildbahn“. Michael Reeves‘ WITCHFINDER GENERAL (DER HEXENJÄGER, 1968) setzte beispielsweise neben seinem markanten Altdarsteller Vincent Price auch auf die herbe Schönheit realer englischer Landschaften und Orte. Zugespitzt formuliert lässt sich sagen: Tigon-Produktionen waren im weitesten Sinne phantastische Heimatfilme, Hammer-Filme atmeten über weite Strecken den Geist und die Künstlichkeit des alten Studiofilms.

Die in Middlesex ansässigen Amicus Productions suchten sich auf dem Markt des phantastischen Films zwischen Hammer und Tigon eine eigene Nische und fanden diese eine Weile im Bereich der Anthologie- oder Episodenfilme. In diesen wurde nicht wie üblich eine durchgehende Geschichte in Spielfilmlänge erzählt, vielmehr adaptierte man die Erzählweise literarischer Kurzgeschichten, wie sie zu jener Zeit in Zeitschriften und Buchzusammenstellungen populär waren, stellte mehrere für einen Film zusammen und verband diese meist mit einer Rahmenhandlung. Damit griff Amicus eine Tradition auf, die bereits im deutschen Stummfilm (UNHEIMLICHE GESCHICHTEN, 1919), dem britischen Nachkriegsfilm (DEAD OF NIGHT / TRAUM OHNE ENDE, 1945), dem US-amerikanischen B-Film (TALES OF TERROR / DER GRAUENVOLLE MR. X, 1962) und dem italienischen Genrekino (I TRE VOLTI DELLA PAURA / DIE DREI GESICHTER DER FURCHT, 1963) Ausprägungen gefunden hatte.

Der erstklassige Kameramann Freddie Francis inszenierte Amicus‘ ersten Episodenfilm, DR. TERROR´S HOUSE OF HORRORS (DIE TODESKARTEN DES DR. SCHRECK, 1964). Dieser war nicht nur sehr erfolgreich und einer der gelungensten Episodengruselfilme überhaupt, sondern wurde auch zur Blaupause für vergleichbare Amicus-Produktionen kommender Jahre. Typisch für diese Episodenfilme sind Sujets aus allen Spielarten des Horrors, von Hexen und Vampiren bis hin zu Psychokillern, und Gastaufritte zahlreicher Stars des englischen Kinos. In DR. TERROR´S HOUSE OF HORRORS glänzten beispielsweise Peter Cushing in der Rolle eines undurchsichtigen Kartenlegers, Christopher Lee als snobistischer Kunstkritiker und ein junger Donald Sutherland in einer seiner ersten Filmrollen überhaupt.

Dem gelungenen Einstand ließ das Studio weitere Episodenfilme folgen, wie zum Beispiel TORTURE GARDEN (DER FOLTERGARTEN DES DR. DIABOLO, 1967) und THE HOUSE THAT DRIPPED BLOOD (TOTENTANZ DER VAMPIRE, 1971). War noch Amicus-Produzent Milton Subotsky bei DR. TERROR´S HOUSE OF HORRORS für das Skript verantwortlich gewesen, stammten die Drehbücher zu den beiden anderen genannten Filmen vom Amerikaner Robert Bloch. Dass die Stories der Amicus-Episodenfilme nicht nur von spannenden Kurzgeschichten, sondern durchaus auch von entsprechenden Comicstrips inspiriert waren, dokumentierte ein weiterer Amicus-Film dieser Art, TALES FROM THE CRYPT (GESCHICHTEN AUS DER GRUFT, 1972), der bereits lange vor der gleichnamigen US-Fernsehserie einige makabre Geschichten der berühmt-berüchtigten Horrorcomics aus dem EC-Verlag adaptierte.

Unter den Amicus-Anthologiefilmen ist ASYLUM (1972) der vierte. Die Regie übernahm diesmal der Routinier Roy Ward Baker, bekannt unter anderem durch QUATERMASS AND THE PIT (DAS GRÜNE BLUT DER DÄMONEN, 1967), SCARS OF DRACULA (DRACULA – NÄCHTE DES ENTSETZENS, 1970) und THE VAMPIRE LOVERS (GRUFT DER VAMPIRE ,1970). In den vier Episoden sind nicht nur wieder einige Altstars des phantastischen Kinos zu sehen, neben Peter Cushing, Patrick Magee und Herbert Lom spielen auch die Schwedin Britt Ekland und die junge Charlotte Rampling. Die Rahmenhandlung ist hier besonders ausgefeilt und blieb vielen Zuschauern vom gesamten Film am meisten im Gedächtnis: Der junge Arzt Dr. Martin wird zu einem Vorstellungsgespräch in eine einsam gelegene psychiatrische Anstalt eingeladen, deren Leitung er übernehmen soll. Dort angekommen muss er allerdings feststellen, dass die Dinge nicht so sind wie erwartet. Der Anstaltsleiter Dr. Starr habe den Verstand verloren, teilt ihm dessen Stellvertreter Dr. Rutherford mit, und sei nun selber Patient der Anstalt. Um die Anstellung zu erhalten, solle Dr. Martin herausfinden, welcher der ihm vorgestellten vier Patienten der wahre Anstaltsleiter sei. Jeder der Patienten erzählt ihm daraufhin eine seltsame Geschichte…

Gelungen ist ASYLUM neben den guten bis hervorragenden Leistungen der Darsteller vor allem auch wegen des Drehbuchs von Robert Bloch. Der US-amerikanische Science-Fiction-, Horror- und Thrillerautor schrieb zahlreiche Romane und unzählige Kurzgeschichten. Unsterblichkeit erlangte er aber vor allen Dingen dadurch, dass Alfred Hitchcock seine Buchvorlage für den Film PSYCHO (1960) adaptierte. Als junger Mann führte Bloch mit niemand geringerem als H. P. Lovecraft Briefkontakt, was die Entscheidung in ihm reifen ließ, selbst Autor zu werden zu wollen. In dem Pulp-Magazin Weird Tales veröffentlichte Bloch erste eigene Geschichten, die teilweise auf Motiven Lovecrafts basierten. Lovecraft würdigte seinen Briefgefährten dadurch, dass er in seiner Geschichte THE HAUNTER OFF THE DARK (DER LEUCHTENDE TRAPEZOEDER, 1936) den unglücklichen Protagonisten Robert Blake nannte…

Im Filmgeschäft konnte sich Bloch nach dem Erfolg von PSYCHO durchaus etablieren. So verfasste er Drehbücher für Hitchcocks Konkurrenten William Castle (STRAIT-JACKET / DIE ZWANGSJACKE, 1963 und THE NIGHT WALKER / ER KAM NUR NACHTS, 1964) oder verfasste TV-Episoden für STAR TREK (RAUMSCHIFF ENTERPRISE) und ALFRED HITCHCOCK PRESENTS (ALFRED HITCHCOCK PRÄSENTIERT). Gemeinsam mit Milton Subotsky schrieb er das Drehbuch zum sträflich unterschätzten Amicus-Film THE SKULL (DER SCHÄDEL DES MARQUIS DE SADE, 1965), der wiederum von Freddie Francis inszeniert wurde. Peter Cushing spielt hier die Rolle von Dr. Christopher Maitland, der sich mit brennendem Interesse der Erforschung okkulter Themen hingibt. Als ihm ein Schädel angeboten wird, der angeblich vom verderbten Marquis de Sade stammt, kann er nicht widerstehen. Allerdings beschwört er damit uralte Mächte herauf… Inhaltliche Parallelen zu Lovecrafts THE HAUNTER IN THE DARK sind nicht von der Hand zu weisen, die Inszenierung ist ein große Verbeugung vor den großen Alten des deutschen Expressionismus und die Darsteller geben eine Galavorstellung. THE SKULL ist einer der großen britischen Horrorfilme.

Zu seiner Entstehungszeit 1972 war ASYLUM bereits ein im besten Sinne altmodischer Film. Längst hatten Romeros lebende Tote und die Splatterorgien eines Herschell Gordon Lewis die Leinwände erobert. Das Publikumsinteresse an traditionellen Gruselstoffen ging spürbar zurück. Dennoch sollte er nicht der letzte Episodenfilm seiner Art bleiben. 1973 brachte Amicus noch THE VAULT OF HORROR (IN DER SCHLINGE DES TEUFELS) unter der Regie von Roy Ward Baker und 1974 FROM BEYOND THE GRAVE (DIE TÜR INS JENSEITS) unter der Regie von Kevin Connor heraus. Andere britische Produktionsfirmen kamen mit TALES THAT WITNESS MADNESS (GESCHICHTEN, DIE ZUM WAHNSINN FÜHREN, 1973) oder THE UNCANNY (DAS UNHEIMLICHE, 1977) auf den Markt. Ein später Nachzügler war der von Subotsky produzierte THE MONSTER CLUB (MONSTER CLUB, 1981). In den USA hielten dagegen Filme wie ENCOUNTER WITH THE UNKNOWN (1972), BLOOD BATH (HORROR-COCKTAIL, 1976), CREEPSHOW (DIE UNHEIMLICH VERRÜCKTE GEISTERSTUNDE, 1982), NIGHTMARES (ALPTRÄUME, 1983), NIGHT TRAIN TO TERROR (1985) und CAT’S EYE (KATZENAUGE, 1985), letzterer basierend auf Stories von Stephen King, das Subgenre des Episoden-Horrorfilms am Leben.

ASYLUM war interessanterweise erst im September 1980, also acht Jahre nach Entstehen, in den deutschen Kinos zu sehen. Der Filmverleih Kora ließ den Film straffen, indem er zahlreiche Handlungsschnitte durchführte. Das gab ihm teilweise etwas mehr Tempo, ging jedoch auch zu Lasten der atmosphärischen Erzählung. Wie viele Amcius-Filme entwickelte auch ASYLUM ein beständiges Eigenleben. Er wird noch immer im Fernsehen gezeigt, es gibt zahlreiche Video- und DVD-Auflagen. Erschienen ist er vor einiger Zeit bei X-Rated nun erstmals auf Blu-ray. Dr. Martin darf also endlich auch in gestochen scharfem HD-Bild seine Ermittlungen führen. Begleiten wir ihn auf seiner Reise. Aber Vorsicht: In der Welt der Episodenfilme ist meist nichts so, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat…

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Asylum | Großbritannien 1972 | Regie: Roy Ward Baker | Darsteller: Patrick Magee, Herbert Lom, Britt Ekland, Peter Cushing, Robert Powell, Barbara Parkins, Richard Todd, Charlotte Rampling, Sylvia Syms, Richard Todd, James Villiers, Geoffrey Bayldon u.a.

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