Die Nacht des Todes!

Die Nacht des Todes!

Von Matthias Künnecke

Nach einem Streit mit ihrem Freund verlässt die junge Martine die Stadt und tritt in einer abgelegenen Seniorenresidenz eine Stelle als Hausmädchen an. In dem imposanten, aber leicht heruntergekommenen Chateau leben ein gutes Dutzend schrulliger Bewohner, die glamouröse Heimleiterin Hélène und der unheimliche, hinkende Hausmeister Flavien. Kurz nach Martines Eintreffen verschwindet ihre Kollegin Nicole auf rätselhafte Weise. Die neugierige Martine lässt sich nicht mit fadenscheinigen Erklärungen abspeisen und beginnt in dem Altersheim Ermittlungen anzustellen. Schnell stößt sie auf ein ungeheuerliches Geheimnis und setzt dabei schließlich auch ihr Leben aufs Spiel, denn die bizarren Bewohner haben das Geheimnis des ewigen Lebens gelüftet, und das verlangt nach einer besonderen Diät…

Darf man einen Plot-Point der schon im ersten Drittel eines Filmes stattfindet spoilern? Ich denke ja, deshalb: DIE NACHT DES TODES! ist der beste französische Kannibalen-Horrorfilm den ich kenne. Und der einzige.

Es heißt, in Deutschland und Frankreich wären nahezu keine nennenswerten Horrorfilme entstanden. Für Deutschland mag das zutreffen. Wenn man vor dem Dritten Reich entstandene Meisterwerke wie NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922) abzieht, lässt sich der Rest leicht an zwei Händen abzählen. In Frankreich sieht es schon anders aus, nicht nur waren dort bereits um die Jahrhundertwende herum Sujets des Filmpioniers Georges Méliès fantastischer und gruseliger Natur, auch vor und nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden zahlreiche Horrorfilme (auch wenn sich nicht alle selbst als solche verstanden).

Zu frühen Beispielen zählen Jean Epsteins surrealistischer Stummfilm DER UNTERGANG DES HAUSES USHER (1928) nach Edgar Allen Poe und die Tonfilme DIE TEUFELSHAND (1943, Maurice Tourneur), DER WOLF VON MALVENEUR (1943, Guillaume Radot) und GESPIELIN DER FINSTERNIS (1945, Serge de Poligny). Französische Horrorfilme der Nachkriegszeit lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Auf der einen Seite widmeten sich angesehene Regisseure, gemeinhin eher dem Autorenfilm zugeordnet, sporadisch dem Dunkel-Fantastischen und schufen so Werke wie ES WAR EINMAL – DIE SCHÖNE UND DIE BESTIE (1946, Jean Cocteau), …UND VOR LUST ZU STERBEN (1960, Roger Vadim), DAS SCHRECKENSHAUS DES DR. RASANOFF (1960, Georges Franju), RENDEZVOUS ZUM FRÖHLICHEN TOD (1973, Juan Luis Buñuel), DER MIETER (1976, Roman Polanski) und DOCTEUR JEKYLL ET LES FEMMES (1981, Walerian Borowczyk).

Auf der anderen Seite steht eine zahlenmäßig größere Gruppe von kommerziellen B-Movies, darunter die erotischen Vampirfilme von Jean Rollin und Werke wie DAS BLUTIGE SCHLOSS DER LEBENDEN LEICHEN (1970, Claude Mulot), IN DEN KRALLEN DES UNSICHTBAREN (1971, Pierre Chevalier) oder LES WEEK-ENDS MALÉFIQUES DU COMTE ZAROFF (1976, Michel Lemoine). Man mag einwenden, dass es einige dieser Filme in Sachen Poesie und Kunstsinn durchaus mit den weiter oben genannten aufnehmen können, nicht zuletzt natürlich die Werke von Jean Rollin, trotzdem sind sie alle in ihrer Wahrnehmung vor allen Dingen durch ihre exploitative Vermarktung geprägt. Auffallend ist, dass bei diesen Filmen, stärker noch als bei vergleichbaren italienischen Produktionen, stets der Faktor Erotik als Verkaufsargument im Vordergrund stand. Sicher nicht zufällig waren alle Regisseure dieser Filme zeitgleich oder nachfolgend auch im erotischen oder gar Hardcore-Genre tätig.

DIE NACHT DES TODES!, entstanden 1980, fällt ins Ende der Phase, in der in den französischen Kinos Gruselfilme aus heimischer Produktion noch eine Chance hatten. Wenige Jahre später setzten deutlich krudere Werke wie DEVIL STORY (1985, Bernard Launois) und DIE RÜCKKEHR DER LEBENDEN TOTEN (1987, Pierre B. Reinhard) den erotischen Gruslern made in France ein Ende.
Regisseur Raphaël Delpard war 1980 alles andere als ein Neuling im Filmgeschäft. Nicht nur war er bereits in diversen Filmen als Darsteller zu sehen gewesen und hatte Drehbücher für Robert Enrico und Jean-Pierre Mocky verfasst, er hatte auch bereits bei zwei Pornos und der deutlich harmloseren Familienkomödie ÇA VA PAS LA TETE (1978) Regie geführt. Um einen weiteren Film realisieren zu können, wandte sich Delpard, wie viele seiner Kollegen dem kommerziell vielversprechenden Horrorgenre zu, dies allerdings ohne Vorurteile oder Berührungsängste, da von frühester Jugend an Fan des Phantastischen.

Da das Budget seiner Geldgeber keine großen Sprünge zuließ, siedelte Delpard den Plot von DIE NACHT DES TODES! an einem einzigen Ort an. Das mondäne, wenngleich schon leicht angegammelte Herrenhaus, bietet einen verwunschenen Schauplatz, der im Laufe des Filmes mehr und mehr klaustrophobische Züge entwickelt wenn deutlich wird, dass Nicole ihm nicht so einfach entrinnen kann. Ähnlich wie bei Jean Rollin tendieren auch hier Darstellerspiel, Kameraführung und Montage in Richtung einer leicht sediert wirkenden Ruhe, die je nach Zuschauer vermutlich ganz unterschiedliche Wirkung entfalten. Manch einer mag den Film als sperrig, unelegant, ja vielleicht sogar unprofessionell empfinden, für andere könnte er vielleicht gerade deshalb Arthouse-Atmosphäre verströmen. Immer wieder baut Delpard wirkungsvoll Spannungsmomente auf und spart auch nicht mit wohldosiertem Splatter, die betuliche Montage und passionsspielartigen Darbietungen der Darsteller konterkarieren dies allerdings stets, gewollt oder ungewollt. Komponist Laurent Petitgirard, sonst eher in der Avantgardemusik beheimatet, trägt mit seiner nervenzerrenden Kammermusik aus Streicherensemble und Solostimme ebenfalls zur artifiziellen Grundstimmung des Ganzen bei.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: DIE NACHT DES TODES! ist spannend. Nicht zuletzt durch das natürliche Spiel von Hauptdarstellerin Isabelle Goguey hofft und bangt man recht bald, die sympathische Hauptfigur möge dem Altersheim heil entrinnen. Großartig auch Betty Beckers, die man sonst eher in diversen damenhaften Nebenrollen des französischen Kinos sehen konnte, als Heimleiterin mit dunklem Geheimnis. High Camp ist erreicht, wenn Beckers sich nach dramatischen Momenten ans Klavier setzt und ein Chanson über das Altern anstimmt, das auf dem Titelthema der Filmmusik basiert. Zum Schluss, als das böse Spiel der Rentner ein Ende findet, altert sie in wenigen Minuten um Jahrzehnte und fällt in sich zusammen wie ein gepfählter Vampir. Großes Kino! In Momenten wie diesen gelingt es Raphaël Delpard, Realismus, graphischen Horror und Märchenhaftes zu verschmelzen. Lediglich das bittere Ende des Filmes, nach gleich zwei Handlungstwists, wirkt brachial aufgesetzt und dürfte Zuschauer unfroh zurücklassen, die mit Martine gefiebert haben.

2019 erschien DIE NACHT DES TODES! erstmals auf Blu-ray beim fabelhaften französischen Label Le Chat Qui Fume. Das deutsche Label Camera Obscura hat bereits mehrfach mit den Franzosen kooperiert und brachte den Film nun auch hierzulande auf Basis der gleichen makellosen Abtastung in einem Blu-ray/DVD-Mediabook heraus. Da der Film bislang noch keine deutschsprachige Auswertung erfahren hat, ließ Camera Obscura sehr gute deutsche (und englische) Untertitel erstellen. Auch die beiden interessanten halbstündigen Interviews der französischen Ausgabe sind hier untertitelt vorhanden: „Le Tournate de la Mort“ mit Regisseur Raphael Delpard und „Nuit Horrifique“ mit Hauptdarstellerin Isabelle Goguey. Besonders das Feature mit Goguey ist spannend, ist sie doch Tochter eines französischen Filmproduzenten und kann auch aus dieser Perspektive heraus diverse Anekdoten über unabhängige Produktionen in unserem Nachbarland erzählen. Goguey ist heute nicht mehr als Schauspielerin tätig, wohl aber ihre Kollegin in DIE NACHT DES TODES!, Charlotte de Turckheim. Nach Hauptrollen in Filmen wie Claude Lelouchs EDITH UND MARCEL und Volker Schlöndorffs EINE LIEBE VON SWANN ist sie inzwischen eine bekannte Film- und TV-Persönlichkeit in Frankreich. Über sie ist zu vernehmen, dass sie sich heutzutage nicht mehr zu ihrer Jugendsünde inkl. Nacktauftritt äußern möchte.

Ein jeder mag DIE NACHT DES TODES! auf seine Art „lesen“. Marcus Stiglegger und Jakob Larisch stellen den Film in ihrem Booklettext nicht nur in einen Kontext mit der Tradition der Gothic Novel, sondern arbeiten nach der Devise „Alt frisst Jung“ auch einen politisch-soziologischen Subtext heraus. Eine Filmentdeckung mit vielen Facetten also. Für diese optimale Ausgabe kann man nur eine absolute Empfehlung aussprechen!

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La nuit de la mort! | Frankreich 1980 | Regie: Raphaël Delpard | Darsteller: Isabelle Goguey, Charlotte de Turckheim, Betty Beckers, Michel Debrane, Ernest Menzer, Michel Duchezeau u.a.

Anbieter: Camera Obscura