Nackt im Sommerwind

Nackt im Sommerwind

Von Guy Montag

Vom Heute aus betrachtet wirkt diese Welt von damals noch viel ferner, als sie rein zeitlich schon Geschichte ist. Hatte man vor einigen Jahrzehnten, als dem Satz „Pünktlich wie die Bundesbahn“ noch eine Bewandtnis zukam, viel freie Zeit bis auf Gleis 8 der D-Zug nach Wanne-Eickel einlief, ging man derweil ins örtliche Bahnhofskino, wo rollierend und ohne Unterbrechung Filme am laufenden Band gezeigt wurden. Diese Non-Stop-Kinos – auch sehr beliebt, wenn man in Schule oder Uni einen Freiblock hatte – konterten gegen Algebra mit Argoman und ließen Geometrie durch Geilermanns Töchter alt aussehen; wohl bekomms! Doch wenn einem das Glück hold war, dann flimmerte vielleicht gerade NACKT IM SOMMERWIND über die Leinwand eines solchen Filmtheaters – und damit gab es einen echten Grund, den D-Zug nach Wanne-Eickel doch noch zu verpassen.

NACKT IM SOMMERWIND gehört zu den frühen und mithin unter dem Radar fliegenden Kabinettstückchen der kleinen-großen Doris Wishman, die sich – lange vor Gleichstellungsdebatten und #MeToo-Bewegungen – im von Männern dominierten Filmgeschäft einen Platz eroberte. Dass sie selbst und ihre Filme mit dem 60ies Revival der 1990er Jahre Kultstatus erlangten, war ihr wohl am unverständlichsten; doch Filme wie TEUFLISCHE BRÜSTE oder EIN SUPERHEISSES DING rissen in späteren Wiederaufführungen ihre Fans schlicht zu Begeisterungsstürmen hin. Ganz so extravagant wie ihre berühmtesten Werke ist NACKT IM SOMMERWIND nicht, die Qualitäten dieses kleinen Filmchens liegen in der chic anmutenden, manchmal etwas radebrechenden und durch das schlanke Budget auch in der äußeren Form limitierten Kopplung von Nudistenurlaubsfilm, Beziehungskomödie und Gesellschaftsdrama. Wer sich auf diesen wilden Cocktail einlässt und ihm mit „Grundlage“ nähertritt, wird nicht enttäuscht und kann sich erfreuen an der hemdsärmeligen Unverfrorenheit, mit der Doris ihren prüden amerikanischen Landsleuten den Spiegel vorhält. Denn bei allem Low-budget-Dasein verströmt NACKT IM SOMMERWIND einen Charme, den man nicht erklären kann, der einfach da ist und dem man sich nicht entziehen kann.

Dass es Filme wie NACKT IM SOMMERWIND überhaupt in die Bahnhofslichtspiele des unterhaltungswilligen Nachkriegsdeutschlands schafften, lang nicht zuletzt an Bodo Gaus und seinem in Bielefeld ansässigen Mercator-Filmverleih. Flankierend sei hier auf die sympathische Doku Cinema Perverso – Die wunderbare und kaputte Welt des Bahnhofskinos von Oliver Schwehm verwiesen, der diesem Komplex mit liebevoll-dokumentarischem Blick zu Leibe rückte. Gaus hatte sich großteils auf entsprechende B- und C-Filme spezialisiert, die man für kleines Handgeld einkaufen und mit umso größerem Reibach auswerten konnte – mitunter ließ er gar noch selbst Szenen nachdrehen, um den teils schludrigen Filmen mehr erotischen oder kriminalistischen Pep anzuheften.

NACKT IM SOMMERWIND entging dieser Maßnahme, doch für die deutsche Fassung kam Gaus neben einer süffigen Synchron auf die Idee, den Film komplett mit launig-luftiger Librarymusik „von der Stange“ auszustaffieren. Vielleicht machte er aber auch nur aus der Not eine Tugend, weil kein separates IT-Band vorhanden war. So zaubert es uns heute ein Grinsen ins Gesicht, wenn wir den barbusigen Nackedeis vor Doris‘ Kameralinse zu den Klängen von „Kittenish Day“ folgen, einem Song, den der spätere DIE SENDUNG MIT DER MAUS-Komponist Hans Posegga geschrieben hatte. Das österreichische Jazz-Urgestein Hans Koller taucht mit seiner brünstigen „Margret Rose“ auf, den britischen Super-Posaunisten Don Lusher begleiten wir beim „Swinging Down The Alley“, während das Londoner Orchesterleiterass Johnny Pearson seine „Jazz Madrigal“ auffährt und Studiospezi David Lindup mit „Yound And Tender“ ohne Fisimatenten sagt, auf welchen Frauentyp er ein Auge hat. Pedro Gonzales and his Mexican Brass – ein Verlagspseudonym, hinter dem sich der auf Noms de Plume ohnehin spezialisierte Wahl-Münchener Carlos Diernhammer verbarg – lullen mit der „Portales“ und „Tijuanita“ schließlich brasilianisch ein und fegen mit poppigen Trompetenklängen alles von der Liegewiese, was nicht bei drei im geschlechtergemischten Pool ist.

Dem geheimnisvollen Filmclub Buio Omega und den Filmrettern von Forgotton Films ist es zu danken, dass NACKT IM SOMMERWIND jetzt als HD-Weltpremiere in knackiger 2K-Abtastung und mit deutschem und englischem Ton vorliegt. Die Batterie an Extras sprengt darüber hinaus jeden Zahnschmelz, neben einem Intro der Buio Omega-Crew gestaltet sich der sehr persönliche Audiokommentar des Trios aus Jo Steinbeck (Jörg M. Jedner), Ingojira (Ingo Strecker) und Heinz Klett als verbales Poesiealbum. Die spielfilmlange Doku „Better than Sex! Oder: Wie man einen Wishman-Film macht“ begleitet die Regisseurin beim Dreh ihres letzten Streifens, „Doris in Gelsenkirchen“ portraitiert ihren legendären Besuch in den heiligen Hallen der Schauburg und Synchronschauspieler Christian Brückner – der bei NACKT IM SOMMERWIND eine der Hauptrollen spricht – trägt die zeitgenössische Kritik des Films vor. Die launigen Zugaben „Wie ich den Sommerwind fing“, „Webers Bescherung“ und „Webers Geheimnis“ werden durch Bildergalerien und ein Booklet mit Texten von Heinz Klett, Ingojira, Jo Steinbeck, Christian Keßler und Michael Bowen abgerundet. Ein ganz großes Schmankerl ist allerdings der damalige Original-Vorfilm MÄDCHEN IN DER SAUNA. Bodo Gaus hatte hierfür seinen Stammregisseur Gunther Wolf mit einer Super Caravelle der Finnair nach Helsinki geschickt und Wolf kam mit einer skurrilen Mischung aus illustrierendem Kulturstreifen, farbenfrohen Urlaubsdias, Preziosen naiver Malerei und leicht rumpeligem Softsexfilm zurück. Gepaart mit der Musik von Willi Astroth ist das nochmal eine halbe Stunde wohligen Retroglücks, dass Fanherzen höherschlagen lassen sollte.

Im Grunde ist diese kleine silberne Scheibe nicht weniger als eine voll funktionstüchtige und mittlerweile wahrscheinlich ganz und gar jugendfreie Zeitmaschine, durch die man sich flugs und vollends in die 1960er Jahre zurückteleportieren kann. Direkt hinein in eines jener dunklen Kinos, die einst Ali, Bali oder Aki hießen und oft mit einer fluffig durch den Raum wehenden Fahne aus Alkohol und Schweißgeruch ‚verziert‘ waren. Und wenn ich mich konzentriere und die Welt auch gedanklich für einen Augenblick vor der Tür lasse, dann kommt neben mir plötzlich eine kleine, blonde, reifere Dame zu sitzen. Sie dreht sich zu mir, lugt über ihrer übergroßen Sonnenbrille hervor und ihre jugendlichen Augen blinzeln mir keck zu – und sie lächelt.

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The Prince and the Nature Girl | USA 1964 | Regie: Doris Wishman | Darsteller: Joni Roberts, Jeffery Niles, Sandra Sinclair, William Mayer, Lee Abell, Warrene Gray u.a.

Anbieter: Forgotton Films Entertainment