The Rocket

The Rocket

Von Thorsten Krüger

Das eindrucksvolle Spielfilmdebüt des Australiers Kim Mordaunt vereint seine Fähigkeiten als Dokumentarfilmer (Bomb Harvest) mit faszinierendem magischem Realismus, wofür es auf der Berlinale 2013 den Amnesty International Filmpreis plus zwei wichtige weitere gab. Trotzdem fand sich bis heute dafür kein deutscher Verleih, derweil ein Filmfurz wie LÜGEN ins Kino kommt. Was für ein Armutszeugnis.

Im Bergland von Nordlaos lebt der zehnjährige Ahlo, der als verfluchter Unglücksbringer gilt. Als man seine Familie wegen eines Staudammprojekts umsiedelt, freundet er sich mit der Waisen Kia und einem Ex-Soldaten an. Sie alle flüchten erneut und nehmen an einem Raketenwettbewerb teil.

the.rocket.2013.coverSo viele Geister in einem vergessenen Dschungel voll bitterer Armut: Die endemische Geschichte ist gänzlich in Laos entstanden und beschreibt die Lebenswirklichkeit auf Augenhöhe, doch nie als Betroffenheitsklage, sondern in einem freudig-melancholischen Ton, sensibel und lebendig, handwerklich reif und reell. Mordaunt schildert den Weg seiner berührenden Schicksalsgemeinschaft kitschfrei und erwachsen.

Parallelen zwischen dem unseligen Flächenbombardement der Amerikaner im Vietnamkrieg, der inoffiziell auch in Laos wütete, sowie den heutigen Zuständen werden angedeutet, aber nicht auf politischer, sondern nur persönlicher Ebene aufgegriffen. In der kriegsvernarbten Nation frisst nun der Fortschritt die eigenen Kinder und schickt fünf Menschen, die nirgendwo erwünscht sind, zu Fuß auf die Suche nach Obdach und Heimat.

Das ähnelt BEASTS OF THE SOUTHERN WILD, ist aber statt prätentiös wohlig poetisch-dokumentarisch. Fluchkind Ahlo (Sitthiphon Disamoe), dessen Zwilling bei der Geburt starb, ist der perfekte Prügelknabe, der sich viel Ärger einhandelt – aber für kein Unglück verantwortlich ist. Bei der Umsiedelung stirbt seine geliebte Mutter in einem horriblen Unfall, wofür die zeternde Oma den hilflos-beschränkten Vater gegen ihn aufhetzt.

Statt im Neubauparadies landen sie im provisorischen Lager und der aufgeweckte, eigensinnige Ahlo freundet sich eng mit der gleichaltrigen Malaria-Waisen Kia (anbetungswürdig: Loungnam Kaosainam) an und dem ausgemergelt-deprimierten Alkoholiker Uncle Purple, der Bob Marley und lila Sakkos schätzt. Ein Außenseiter hilft aus Anstand anderen Ausgegrenzten, bis sie vor dem tobenden Mob das Weite suchen müssen.

Unaufdringlich, gar beiläufig greift Mordaunt die grauenvolle Geschichte des Landes auf, wo seit fünf Jahrzehnten Blindgänger von 250-Kilo-Bomben vor sich hinrosten – die Sleeping Tiger. Mit ihnen spielen Kinder todesverachtend und auch Ahlo fordert sein Glück heraus. Elefanten räumen diese Kampfmittel und wenn sie in der Wildnis detonieren, stockt einem der Atem vor der tödlichen Wucht. Eine Kindheit in Laos.

Geisterdörfer, Bombentrichter, Splittergranaten, ein Volksfest mit Explosivmaterial: Die Spuren des Krieges sind überall zu sehen. Und wenn Uncle Purple, einst ein Kindersoldat für die Amerikaner, Ahlo Sprengstoffkunde lehrt, um eine Bambusrohrrakete für den verletzungsträchtigen Wettbewerb zu mischen, dann widerfährt dem Notleidenden erstmals ein Triumph und belohnt den Einsatz seines Lebens mit Familienzusammenhalt.

So unbefangen Ahlo agiert, so hintergründig ist dieses Coming of Age, so metaphernreich und bewegend der Abschied von den Geistern der Vergangenheit, doch mit sanftem Feelgood statt trauriger Schwermut. Ein neues Leben beginnt in Mordaunts bemerkenswerter Erzählung, an der einfach alles stimmt. Sie ist alltäglich und magisch, ein realer Spuk, schön und tragisch, unsentimental rührend und herzwärmend humanistisch.

Erschienen auf Komm & Sieh

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The Rocket, Australien/Thailand/Laos 2013 | Regie/Buch: Kim Mordaunt | Mit: Sitthiphon Disamoe, Loungnam Kaosainam, Suthep Po-ngam, u.a. | Laufzeit: 96 Minuten, noch ohne deutschen Verleih.