Der Falke und der Schneemann

Der Falke und der Schneemann

Von Christopher Klaese

“I lift up my eyes to the hills from where does my help come? My help comes from the Lord, who made heaven and earth.”

Mit dem sanften Klang gesungener Bibelverse des 121. Psalms beginnt DER FALKE UND DER SCHNEEMANN hörbar ruhig; umso ‚lauter‘ sind die sichtbaren Szenen des Vorspanns: Rassenunruhen, Martin Luther King, Vietnambombardement, Richard Nixon. Bereits in den ersten Szenen setzt Regisseur John Schlesinger die desorientierende Ton-Bild-Schere an und zeigt auf, in welch heillosem Durcheinander und verquerer Gemengelage sich die Vereinigten Staaten damals bewegten. Basierend auf realen Ereignissen und einem Bestsellerroman, widmet sich der Film den Jugendfreunden Christopher Boyce und Daulton Lee, deren Namen für viele amerikanische Bürger der ausgehenden 1970er Jahre einen ähnlichen Klang besaßen wie heutzutage Edward Snowden oder Julian Assange. Den einen galten Sie als Helden der freien Welt und Kämpfer gegen das korrumpierte System, für andere waren sie kommunistische Verräter, die sich sozusagen am Star-Spangled Banner versündigt hatten.

Der Falke und der Schneemann_PosterChristopher Boyce (Timothy Hutton) hatte nach geschmissenem Priesterseminar – daher der religiös motivierte Filmeinstieg – bei einer Elektronikfirma angeheuert und durch die Fürsprache seines Vaters (Pat Hingle) einen Posten in der Abteilung für Regierungsaufträge erhalten. Alles, was Boyce in die Finger bekam, lief unter der Chiffre „Streng vertraulich – jegliche Weitergabe strafbar“. Auf diesem Wege gelangte er an Informationen, die sein Vertrauen in die amerikanische Politik nachhaltig erschütterten – was 1973 in Chile passiert war, schien kein Einzelfall und jederzeit wieder möglich zu sein. Zusammen mit Daulton Lee (Sean Penn), seinem Freund aus gemeinsamen Messdienertagen, der sich mittlerweile als Drogenhändler in Mexiko herumtrieb, heckte er aus, seine sensiblen Informationen an die Russen zu verkaufen. Doch je länger sie dieses Spiel betrieben, je mehr Informationen sie verdealten, umso klarer wurde beiden, dass ihre Wege sich trennen würden, ihre Ziele grundverschieden seien. Als den Russen die Laune vergeht, während die CIA sich an ihre Versen heftet, geraten beide in ein tödliches Spiel zwischen den Weltmächten.

Der Falke und der Schneemann_1“He will not let your foot be moved; he who keeps you will not slumber. Behold, he who keeps Israel will neither slumber nor sleep.”

Was Schlesinger mit DER FALKE UND DER SCHNEEMANN auf die Beine stellte, verstand sich sowohl als konsequente Fortführung seiner eigenen Intentionen und Filmographie, als auch als auf die 1980er Jahre adaptierte und fortgeführte Weiterentwicklung der ‚Paranoia‘-Filme Pakula’scher Prägung. Viel stärker als klassische Charakterstudie denn spannungsreicher Spionagethriller gefertigt, sezierte der Regisseur die menschlichen Beweggründe der Hauptfiguren, nicht jedoch ohne punktgenauen und bildlich perfekt aufgelösten suspense einzuarbeiten. Die darstellerischen Leistungen von Hutton und insbesondere Penn – der sich hier rauschhaft in eine Reihe mit Dustin Hoffmann oder Al Pacino spielen durfte und gegen Ende einem vergleichbaren Martyrium anheimfällt wie einst die Hauptfigur in Schlesingers DER MARATHON MANN (1976) – machten fassbar, dass die bestimmende Farbe in dieser Welt weder schwarz noch weiß, sondern stets grau ist. Wie sehr die beiden Charaktere bei fortschreitender Handlung in persönliche Gewissenskonflikte geraten, sich über ihre Beweggründe immer unsicherer werden, schier die Grenzen zwischen Gut und Böse sich auflösten, all dies fängt Schlesinger mit großer Ruhe und unaufdringlichen Bildern ein und erweist sich wiederholt als exzellenter Geschichtenerzähler, der im Gewand eines Unterhaltungsfilms seine geradezu investigative Message herüberbringt.

Der Falke und der Schneemann_2“The Lord is your keeper; the Lord is your shade on your right hand. The sun shall not strike you by day, nor the moon by night.”

Filmmusikalisch schrieb DER FALKE UND DER SCHNEEMANN ebenfalls Geschichte. Erstmals griff der weltberühmte Jazzgitarrist Pat Metheny fürs Kino zum Notenpapier und verfasste einen, aus dem Fusionsound seiner Pat Metheny Group und dem großangelegten Klang des National Philharmonic Orchestra zusammengesetzten Score. Mit dem programmatischen Vokaltitel „This Is Not America“, für den David Bowie wütend-resignierende, von ihm selbst gesungene Textzeilen verfasste, generierte der bei EMI veröffentlichte Soundtrack darüber hinaus einen weltweiten Charterfolg.

Im schmucken Mediabook veröffentlicht, definiert OFDb Filmworks einmal mehr Maßstäbe und präsentiert DER FALKE UND DER SCHNEEMANN in selbstverständlich ungeschnittener Fassung. Der feine Stereoton überzeugt ebenso wie der kantenscharfe Transfer, durch den die filigrane Bildgestaltung hervorragend zur Geltung kommen kann. In der als Blu-ray/DVD-Kombo-Release erhältlichen Hauptabteilung finden sich die zeitgenössische Making Ofs „America’s Most Unlikely Spies“, „Creating The Characters“ und „Falconry – The Deadly Sport“, eine damalige elektronische Pressemappe, Featurettes und Interviews mit John Schlesinger, Timothy Hutton und Sean Penn sowie der deutsche und amerikanische Kinotrailer, ein englischer TV-Spot und eine umfangreiche Fotogalerie. Natürlich stehen für diese Boni deutsche Untertitel zur Verfügung. Abrundend kredenzt die Edition ein vierundzwanzigseitiges Booklet mit einem fundierten Text von Stefan Jung, der sowohl den Film kontextualisiert und innerhalb der an Meisterschöpfungen nicht armen Karriere Schlesingers verortet, als auch einzelne Szenenfolgen und Bildarrangements detailliert analysiert und entschlüsselt.

Der Falke und der Schneemann_3Verglichen mit ASPHALT COWBOY (1969) und DER MARATHON MANN (1976) ging DER FALKE UND DER SCHNEEMANN in der Rezeption der Werke Schlesingers oftmals etwas unter; mit dieser Veröffentlichung bietet sich nun die Gelegenheit, diesem zu Unrecht stiefmütterlich behandelten Film seinen verdienten Tribut zu zollen. Hochgradig aktuelles Themenkino, verbunden mit einer hervorragenden Erzählstruktur, filmischer Finesse und schauspielerischen Meisterleistungen – eine Empfehlung für DER FALKE UND DER SCHNEEMANN auszusprechen ist absolute Filmfreundpflicht und ein Geheimnisverrat, mit dem man sich keinesfalls strafbar macht.

“The Lord will keep you from all evil; he will keep your life. The Lord will keep your going out and your coming in from this time forth and forevermore.”

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The Falcon and the Snowman | US 1985 | Regie: John Schlesinger | Darsteller: Timothy Hutton, Sean Penn, Pat Hingle, Joyce Van Patten, Michael Ironside, Lori Singer u.a.

Anbieter: OFDb Filmworks