Kidnapping... Ein Tag der Gewalt

Kidnapping… Ein Tag der Gewalt

Von Guy Montag

Richtig gut und nah am Puls der Zeit war das Genrekino immer dann, wenn sich ein Drehbuchschreiber aufgrund einer sensationslüsternen Zeitungsmeldung hinsetzte und in Windeseile ein Filmskript zusammenhäckselte, dass er am besten auch noch gleich selbst inszenierte. So geschehen bei Rolf Olsen und dessen ‚Opus Magnum‘ BLUTIGER FREITAG (1972) und gleichfalls geschehen bei Luigi Petrini und seiner Hochwassermarke KIDNAPPING… EIN TAG DER GEWALT – wer Parallelen zwischen beiden Filmen entdecken mag, sollte sicherheitshalber Papier und Bleistift zur Hand nehmen.

Cover KIDNAPPINGFür Paolo (Mario Cutini) und Jo (Marco Marati) läuft der Tag gewaltig aus dem Ruder: den beiden gehen nicht nur ihre Gäule der sexuellen Frustrationen deftig durch und irgendwann liegt „aus Versehen“ eine Tote in der Gegend herum, auf Ihrer Flucht verschanzen sie sich auch noch in einem noblen Restaurant samt panischer Geiseln. Ihrem Hass auf die Gesellschaft lassen sie nun freien Lauf und verlangen mehrere Millionen Lösegeld – ansonsten gehen die Geiseln den Weg alles Irdischen. Während ein Martyrium der Angst beginnt, versucht Kommissar Aldobrandi (Mario Bianchi) die grausame Spirale der Aggressionen zu stoppen. Doch die beiden jungen Männer mutieren zu skrupellosen Bestien, für die der Tag der Gewalt erst angebrochen ist!

Ausgelöst durch das brutale und in die italienische Kriminalgeschichte eingegangene „Massaker von Circeo“ vom September 1975 dauerte es nicht lange, bis sich Genrefilme des Themas annahmen – einerseits, um mit der Aktualität und der Sensationsgier des Publikums Kasse zu machen, andererseits, um die traumatischen Ereignisse aus popkultureller Sicht zu verarbeiten. Mario Imperoli ließ seine Interpretation COME CANI ARRABBIATI – WIE TOLLWÜTIGE HUNDE (1976) auf die Kinos los, etwas später kam KIDNAPPING… EIN TAG DER GEWALT und mit ihm die volle Wucht der Stressbewältigung. Denn Petrini liefert inszenatorisch einen bunten Strauß: mutet das Herumtollen der beiden Bestien durch das Morgengrauen fast romantisch an und birgt eine latent homoerotische Konnotation, wandelt sich der Film immer mehr zum Stinker, als es Sadismen und ausufernde Gewaltexzesse setzt – male frustration did this. Dass das Ganze in Tirrenia spielt, einer der durch den Duce hingestellten Reißbrettstädte, und die beiden Bestien nie um systemkritische Verbalinjurien verlegen sind, wertet die Versuchsanordnung als grundlegend realitätsnah und zeitkritisch ein.

KIDNAPPING 01Mario Cutini, der als schwarzhaariger Nanni-Vitali-Ersatz seinen Part mit vollem Körpereinsatz und dämonischem Grübchencharme anlegt und Marco Marati, der mit wuschelköpfiger Das-fliegende-Klassenzimmer-Pennälerausstrahlung einen Charakterwandel Marke Holzhammer ausspielt, scheinen wie geschaffen für Ihre Parts und auch der sonst als Regisseur bekannte Mario Bianchi liefert als brettharter und mit schneidigem Wildledermantel gesegneter Polizeikommissar eine überzeugende Darbietung ab. Die deutsche Synchronisation gibt darüber hinaus dem Affen ordentlich Zucker und fährt schmuddelspruchmäßig das Fünf-Gänge-Menu auf, kann dazu noch mit einprägsamen und jedem Videofan der 1980er Jahre wohlvertrauten Stimmen wie Norbert Langer, Ulrich Gressieker, Michael Nowka, Hermann Ebeling, Ronald Nitschke, Joachim Kerzel, Norbert Gescher oder Horst Schön punkten.

Auch KIDNAPPING… EIN TAG DER GEWALT kommt der Umstand zugute, dass er sein sichtbar beschränktes Budget mit einem hörbar unbeschränkten Soundtrack zu kaschieren weiß. Das kompositorische Dreigestirn aus Carlo Bixio, Fabio Frizzi und Vincenzo Tempera stellt eine Rhythmusgruppe auf Autopilot, schlägt den Bass bis Anschlag und flirrt mit viel Fender Rhodes und Synthesizer durch die Gegend, liefert atmosphärisch leiern-eiernde Cues mit Suchtfaktor. Mag auch ein Großteil der Filmmusik unveröffentlicht geblieben sein, an dem wuchtigen Hauptthema „Nucleo Antirapina“ kann sich jeder Besitzer des legendären Crippled-Samplers „Beretta 70“ berauschen.

KIDNAPPING 02Subkultur präsentiert KIDNAPPING… EIN TAG DER GEWALT als Nr. 8 seiner zweiten Grindhouse Collection im Combo-Package mit Blu-ray und DVD, wobei diese liebevolle Veröffentlichung auf 1000 Stück in zwei verschiedenen Covervarianten limitiert ist. Die restaurierte Fassung, die 2017 von Augustus Color erstellt wurde, zeigt sich in perfekter Verfassung und es ist ein Genuss, diesen Streifen derart sauber und wohlgestaltet sehen zu können; deutsche Synchronisation und italienischer ‚Originalton‘ präsentieren sich ebenfalls glasklar und harmonisch abgemischt. Als Extra berichtet Komponist Fabio Frizzi in einem Interview von seinen damaligen Eindrücken des Filmes, wie der Musikverlag das Komponisten-Trio unter dem Signet ‚Magnetic Systems‘ gerne zu einem Goblin-Ersatz aufgebaut hätte und welchen „Flavour“ er auch heute noch an Streifen wie diesem schätzt. Neben dem italienischen Kinotrailer in verschiedenen Restaurationsstufen sowie dem alten deutschen VHS-Vor- und Nachspann, enthält die Veröffentlichung den im Booklet niedergeschriebenen Text „Nur echt mit Machete!“ von Thorsten Hanisch, der auf die geschichtlichen Hintergründe der Drehbuchvorlage und die Biographien der Beteiligten eingeht.

Ein besonderes Zuckerl verbirgt sich hinter dem Button „Grindhouse erleben“: denn hierdurch versetzt es einen in den wohligen Retrorausch alter Bahnhofskinozeiten, wenn das dem in allen hier enthaltenen Versionen ungeschnittenen Hauptfilm vorangestellte Potpourri der Kinotrailer zu den kleinen und großen Meisterwerken THE DEMON – DER TEUFLISCHE (1979), CONVOY DER FRAUEN (1974), HURRA, DIE KNOCHENBRECHER SIND DA (1979), MUNICH MADNESS – STOSSTRUPP FREUDENSPALTE/STOSSTRUPP DER FEUCHTEN SPALTEN (1977) und DIE STRICKMÜTZE/DIE BULLEN AUF DEN HEISSEN FEUERSTÜHLEN (1976) abzuschnurren beginnt. Verpackt in einem schick anzusehenden O-Ring-Schuber, überrascht die Amaray mit dem wunderschön gezeichneten Italo-Plakat als Quercover und rundet den flankierenden Schangel stilvoll ab.

Aktualitätenkino mit Hang zum Sleaze, Europloitation-Film mit Bezügen zur realen Gegenwart – KIDNAPPING… EIN TAG DER GEWALT funktioniert in beide Richtungen, ob als Charakterstudie, Paradestinker oder Zeitkritik. Wer in diesem Terrorrestaurant einen Tisch bestellt hat, muss nicht hungrig zu Bett gehen. Bei Luigi Petrini und seinem persönlichen Meisterwerk sind noch alle satt geworden – jedem Italo-Filmfreund wünsche ich daher „Buon appetito“!

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Operazione Kappa: sparata a vista | Italien 1977 | Regie: Luigi Petrini | Darsteller: Mario Cutini, Marco Marati, Maria Pia Conte, Patricia Pilchard, Mario Bianchi, Maria Francesca u.a.

Anbieter: Subkultur Entertainment