Der Killer von Wien

Der Killer von Wien

Von Guy Montag

Zum Inhalt und der Deutung diverser Stilistik hat bereits mein geschätzter Kollege Gerd Nauman anlässlich des damaligen DVD-Release von DER KILLER VON WIEN an dieser Stelle ausgeführt. Die Vorzüge dieses Filmes dem Genrefan nahezubringen scheint ohnehin so sinnhaft wie Buchteln ins Hawelka zu tragen. Stattdessen sollte man einen kleinen Ausflug in jene Zeit unternehmen, als der deutsche Fan für diesen Streifen ordentlich latzen musste, um wenigstens an eine schrabbelige VHS aus Schweden zu gelangen. Das man damals Rollenrisse, Schnitte, Aussetzer und Verunreinigungen leidlich in Kauf nahm, um dem Film überhaupt angesichtig zu werden, scheint in heutigen Tagen von großen Bilddiagonalen, high definition und 4K bar jeder Vorstellungskraft. Wie glücklich war man, als Koch Media den Film remastert auf DVD veröffentlichte – und noch glücklicher konnte sich die nächste Generation schätzen, als filmArt die lange vergriffene DVD upgedatet wiederveröffentlichte. Jahrelang geisterte durch die Internetforen, dass irgendwann eine Blu-ray folgen sollte – und das Warten hat sich gelohnt, denn 2018 erschien DER KILLER VON WIEN auch im deutschen Sprachraum endlich in einer Fassung, die definitiv und nonplusultrig geraten ist.

Plakat KILLERSo richtig erklären können die Filmfans ja bis heute nicht, weshalb – stellvertretend für viele andere Streifen aus dieser Zeit – ein Film wie DER KILLER VON WIEN so wirkt, so aussieht, so ‚riecht‘ wie er es eben nun mal tut. Liegt es an den Schauplätzen, die mittlerweile zu großen Teilen restauriert sind und nicht mehr so durchgelebt aussehen? Liegt es an den Autos, deren schnittiges Design schon bei Standgas noch jedem SUV stilmäßig den Rang abläuft? Liegt es an den Schauspielerinnen und Schauspielern, die ohne Schönheits-OPs und Botox-Kuren „echte Fressen“ in die Kamera hielten und schon ohne Dialog zeigten, wo Bartl den Most holt? Oder hat es simpel mit dem Farbfilmverfahren Eastmancolor zu tun, mit dem Kodak damals einen Großteil aller Genrefilmschmieden belieferte? Bevor jetzt den Jüngeren erklärt wird, wer oder was Kodak ist, kann man die These wagen, dass es ein Konglomerat aus allen benannten Gründen ist, weshalb ein Remake an den denselben Orten heute niemals mehr so wirken, so aussehen, so „riechen“ könnte, wie es DER KILLER VON WIEN kann.

„Das Schlimmste an Dir ist das Beste was Du hast – und es wird immer mir gehören!“. So steht es auf einer das Rosengebinde flankierenden Karte, mit der diese Signora Wardh an der schönen blauen Donau bewillkommnet wird – doch nicht von Freud stammt dieser Satz, sondern Ivan Rassimov verehrte ihr die Karte. Und wenn einer wie der Antagonist par excellence aussah, dann Kantengesicht Rassimov, bei dem man schon wenn er lächelt Reißaus nehmen mag. Zitieren deutsche und italienische Fassung zu Beginn den ebenfalls in Wien wirkenden Sigmund Freud – wenn auch nicht ganz wortgetreu – so ist es bei erneuter Sichtung vor allem der „Master of Suspense“, der sich mir aufdrängt. Ohne Alfred Hitchcock wäre ein Gutteil italienischer Giallofabrikanten aufgeschmissen gewesen, besteht doch diese filmische „Wiener Melange“ aus einem guten Schuss DER FREMDE IM ZUG (1951), badezimmertauglicher PSYCHO-Anleihe (1960) und ein paar Messerspitzen voll VERTIGO – AUS DEM REICH DER TOTEN (1958) – den Rest schrieb sich Drehbuchautor Gastaldi wohl bei Clouzots DIE TEUFLISCHEN (1955) heraus.

KILLER 01All das geriet in die Fänge der beiden Martino-Brüder Sergio und Luciano, damals „Castor und Pollux von Cinecittà“. Dass Sergio nach einem Italowestern mit DER KILLER VON WIEN erst seine zweite Spielfilmregie ablieferte, merkt man dem Streifen zu keinem Zeitpunkt an – so gelungen, so selbstsicher, so gekonnt wirkt die Inszenierung. Denn Martino sind Bilder um Längen wichtiger als Dialoge und so fuhr er in seinem ersten Genrebeitrag an kameratechnischen Kabinettstückchen alles auf, was gut und rechtschaffen ist: Fischaugenoptik, große Brennweiten, Zeitlupentechnik, Schattenrissaufnahmen, Zoomspielereien, 360°-Drehungen, Parallelmontagen – das volle Programm. Darüber darf man nicht vergessen, dass Martino-Gialli generell einen anderen Flavour haben und anders aussehen, als etwa die Werke seiner Landsmänner Argento oder Lenzi. Martinos Werke erscheinen wie eine veristische, proletarische, erdige Variante des Genres, nie ausgekünstelt. Da passt es, dass das von George Hilton bewohnte Domizil, wo im Laufe der Nacht gebrahmst wird bis der Haydn wackelt, sich in der Eroicagasse gegenüber des Beethoven-Wohnhauses befindet. Die Inneneinrichtung hatten sie in den römischen Elios-Studios noch aus der Saloon-Szene eines Italowestern herumstehen.

Abgeschmeckt wurde dieser Tafelspitz aus Zelluloid durch die Musik Nora Orlandis, die zu den Spannungsszenen bräsige E-Gitarren kredenzt, einen Beat-Shake vom Stapel lässt, zu dem es keinen auf den Sitzen hält und viel Easy Listening mit Bossa und Samba einstreut. Den kess und morbid gefilmten Albtraumtableaus verlieh sie dank eines „Dies Irae“ für klerikale Hammondorgel und sphärenhaften Chorgesang eine geradezu liturgische Aura, der sich nicht einmal Quentin Tarantino zu entziehen vermochte – für KILL BILL, VOLUME 2 (2004) griff er gerne darauf zurück. Da die bei Quartet Records erschienen CD mittlerweile out of print ist, sollte man sich schleunigst danach umschauen. Die deutsche Synchronisation versüßt den Filmgenuss mit Förster Rombach als sonnengebräuntem George Hilton (Christian Wolff) und hat mit Margot Leonard, Horst Naumann, Michael Cramer, Leo Bardischewski, Heidi Treutler, Hannes Gromball, Paul Bürks oder Kurt Zips so viele wiedererkennbare Stimmen im Programm, dass man sich nicht wundern sollte, wenn Christian Marschall hier wirklich nur Fahndungsergebnisse vorträgt und keine reitenden Leichen ankündigt.

KILLER04Die nunmehr erschienene Blu-ray präsentiert den Film in würdiger Cinemascopebreite und filmkörniger Abtastung erster Qualität, wobei die deutsche Bearbeitung und der italienische Originalton sauber und in mehreren, je nach Gusto des Zuhörers auswählbaren Versionen geliefert werden. Die Extras gestalten sich für Fans bekannt, für Neulinge natürlich durchweg interessant. Die halbstündige Dokumentationsfeaturette “Dark Fears behind the Door” entstand bereits 2005 für das NoShame-Label und lässt neben Regisseur Sergio Martino, Produzent Luciano Martino, Drehbuchautor Ernesto Gastaldi und Hauptdarstellerin Edwige Fenech auch Italobeau George Hilton zu Wort kommen – und es ist schon ein Stücklein weit berührend, den erst kürzlich verstorbenen Hilton hier noch einmal in Aktion erleben zu können. Sie alle berichten in sympathischer Art und Weise über Ihre Karrieren, welche Beweggründe in der damals florierenden Filmindustrie herrschten und über die Unebenheiten bei der Produktion von DER KILLER VON WIEN. Alle schneiden bei Gelegenheit zwar mitunter etwas auf, wenn es darum geht, sich selbst ein bisschen wichtig zu nehmen, doch wie sagt man so schön: „Klappern gehört zum Handwerk“. In einem für den DVD-Release geführten Interview mit Sergio Martino erzählt dieser aus seinem produktiven Leben als Genreregisseur, offenbart, was Lazio und die Seria A mit seinem Gedächtnis zu tun haben und beweist nebenbei noch, dass er auch mit Skype umgehen kann. Zuckerl ist die separat enthaltene HD-Abtastung einer damals in den deutschen Kinos gelaufenen 35mm-Kopie, die mit ihrem unrestaurierten Laufstreifencharme und dem Pop-Art-getränkten Logo des Cinerama-Filmverleihs echtes Nostalgiefeeling verbreitet und für Sammler zu wohligem Entzücken beiträgt. Eine umfangreiche Bildergalerie mit vielen Plakatmotiven und Aushangfotos aus aller Herren Länder lädt zum Bestaunen ein. Der italienische Kinotrailer ist ebenso an Bord wie eine Trailershow zu anderen Titeln – eine italienische Vorankündigung für MILANO KALIBER 9 (1971), der deutsche Trailer zu DIE TÖDLICHEN ZWEI (1971) – aus dem reichhaltigen und für den Eurokultfan sehr schmackhaften Katalog des Labels ist selbstverständlich.

Cover KILLERMag es zum Teil nach Schwärmerei klingen, aber bei DER KILLER VON WIEN geht einem der Fiaker durch. Der Film stammt aus einer Zeit, als an Stephansdom und Hofburg noch nicht verkehrsberuhigte Zone war. Aus einer Welt, in man sich anscheinend selbst die Badezimmer mit psychedelischen Plakaten vollhängte, auf denen sich in bonbonartig verzierter Schrift Maximen wie „Sex without Love“ breitmachten. DER KILLER VON WIEN ist ein Psychothriller auf Weltniveau, den es unbedingt wieder zu entdecken gilt. Er ist schlicht Stil, Thrill, Sex, Arthouse und Filmkunst in einem – intravenös dargebracht. Küss die Hand, Gnä‘ Frau!

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Lo strano vizio della signora Wardh | IT/ES 1971 | Regie: Sergio Martino | Darsteller: George Hilton, Edwige Fenech, Conchita Airoldi, Ivan Rassimov, Alberto de Mendoza, Bruno Corazzari u.a.

Anbieter: filmArt