Blutspur im Park / Das Messer

Blutspur im Park / Das Messer

Von Guy Montag

Der Regisseur Duccio Tessari schlüpft in allgemeinen Huldigungen des Italo-Kinos mitunter etwas durch die Maschen. Mag es an der Vielfältigkeit seines Œuvres liegen, an der Differenziertheit seiner Inszenierungen oder schlicht daran, dass sein Werk nur uneinheitlich auf neueren Trägermedien zugänglich ist. Zumindest in letzter Hinsicht wird mit der Veröffentlichung von BLUTSPUR IM PARK, der in Deutschland einst den Titel DAS MESSER verpasst bekam, dankenswerterweise eine Lücke verzäunt.

Cover SPURFrançoise Pigaut (Carole André) wird erstochen im Stadtpark aufgefunden. Doch es gibt Zeugen und deren Aussagen belasten den bekannten Moderator Marchi (Giancarlo Sbragia) schwer. So sehr sich der Anwalt der Familie (Günther Stoll) gegen den Staatsanwalt (Wolfgang Preiss) auch ins Zeug legt, am Ende wandert Marchi auf Jahrzehnte hinter Gittern. Doch als weitere Morde in exakt gleicher Weise geschehen und Marchis Frau (Evelyn Stewart) auffallend schnell ‚Ersatz‘ für ihren Gatten findet, wittert Inspector Berardi (Silvano Tranquilli), dass Marchi vielleicht unschuldig im Gefängnis sitzt. Und welche Rolle spielt überhaupt Marchis Tochter (Wendy D’Olive), die sich seit kurzem mit dem Tschaikowsky-Musikfan Giorgio (Helmut Berger) trifft?

„In der heutigen Welt hat jede Gesellschaftsklasse ihre Kultur. Kultur um der Kultur Willen existiert nicht“. So proklamiert es ein studentisches Transparent, das auf einem der zahlreichen Streifzüge ins Bild kommt, die der irrlichternde Helmut Berger im Laufe der Filmhandlung durch das lombardische Bergamo unternimmt. Überhaupt Berger: sein Giorgio ist die logische Fortsetzung Dallamanos‘ DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY (1970) und sein Synchronsprecher Jürgen Clausen besorgt den Rest, denn Berger spielt in seinen Szenen famos auf und er stapelt bewusst tief, wenn er im Interview angibt, er sei gefühlt in diesem Film lediglich herumgelaufen. Überhaupt sind die Schauspielerleistungen hochgradig differenziert. Der verängstigte Giancarlo Sbragia glänzt neben Evelyn Stewart, die hier schon einmal für Ihre beeindruckende Darstellung in Scavolinis UN BIANCO VESTITO PER MARIALE (1972) üben kann. Silvano Tranquilli setzt hintergründig ironische Pointen, während die beiden, sich selbst synchronisierenden deutschen Stars Günther Stoll und Wolfgang Preiss beweisen, wie interessant der teutonische Input für das italienische Kino dieser Zeit war. Und Wendy D’Olive sah wohl selten sadistisch-süßer aus als hier. Dass die deutsche Bearbeitung all das mit Stimmen von Holger Hagen, Rose-Marie Kirstein, Hellmut Lange, Helga Trümper, Margot Trooger und Claudia Butenuth veredelt, verleiht der Inszenierung zusätzliche Kraft.

SPUR 03Überhaupt gelingt Tessari ein fulminantes Meisterwerk, denn wie in all seinen Genrebeiträgen, bricht er bewusst mit vielen gängigen Erfolgsformeln des jeweiligen Sujets und fährt bewusst einen eigenen Stil – dass diese Rechnung aufgeht, dokumentiert umso mehr Tessaris filmische Genialität. BLUTSPUR IM PARK – eine geschickte Kombination aus Psychothriller und Gerichtskrimi – verlässt sich nicht auf expressive Schocks und plumpe Mordeffekte, sondern seziert anhand eines Kriminalfalles gleich ganze Schichten der Bergamasker und wandelt auf Hitchcock’schen Pfaden. Nicht nur, weil sich Tessari in seiner Bewunderung für den ‚Master of Suspense‘ stets Cameos leistete, sondern auch, weil er Charakterisierungen nicht durch Dialoge, sondern durch Handlungen, Bilder, Montagen vollzieht. Lange Plansequenzen ohne Schnitte sind die Folge, assoziative Bildaneinanderreihungen und desorientierende Sprünge in der Zeitachse, die sich erst nach und nach dem Zuschauer erschließen – Tessari verlangt dauerhafte Konzentration von seinem Publikum, dass durch die fantastische Musik Gianni Ferrios in entrückte Trance versetzt wird. Dass die anderorts hemdsärmelige Komik hier unterschwellig eingestreut wird und den Lauf der Handlung nicht beschädigt, ist ein weiteres Indiz für Tessaris Meisterschaft – und der arme Inspektor ist nicht zu beneiden, wenn sein Assistent es trotz vieler Versuche nicht fertigbringt, ihm einen Kaffee nach seinem Gusto zu kredenzen.

SPUR 04Camera Obscura legt BLUTSPUR IM PARK als Nr. 22 seiner epochalen Italian Genre Cinema Collection (IGCC) vor und lässt keine Wünsche offen. Das Digipack fast neben einer Blu-ray, die den blitzsauberen Cinemascope-Transfer in 4K-Restaurierung vom Kameranegativ und korrigiertem Color-Grading vorlegt und den deutschen wie italienischen Ton an Bord hat, eine separate DVD, die mit Bonusmaterial vollgestopft ist. Neben einer dem Discmenü vorgeschalteten Begrüßung durch Helmut Berger sind der italienische und englische Trailer – die das Cellokonzert in d-Moll von Édouard Lalo prominent herausstellen – und eine Bildergalerie enthalten. Die Featurette „Mad Dog Helmut“ kann zwar nicht ganz verbergen, dass Helmut Berger die Gelegenheit „Helmut Berger“ zu sein dankbar annimmt, dennoch entlockt Interviewer Uwe Huber der streitbaren Type einige Infos zu seinen Genrefilmen. Das fast einstündige Gespräch „A Butterfly named Evelyn“ mit Schauspielerin Evelyn Stewart liefert ein Füllhorn an Informationen zur bemerkenswerten Aktrice, die sich von Fellinis LA DOLCE VITA (1960) über Luchino Visconti und Mario Bava bis in die Niederungen des Genrefilmes spielte und ihre interessante Karriere beleuchtet. Der Filmhistoriker Fabio Melelli analysiert in „Red Carnation“ den Filmemacher Duccio Tessari, der durch seine Vielseitigkeit als Auteur des italienischen Genrefilmes gelten darf. Unter dem Titel „Me and Duccio“ erinnert sich schließlich Schauspielerin Lorella De Luca an die Wandlungsfähigkeit des Regisseurs und Ehemannes Tessari. Ein sechzehnseitiges Booklet mit dem Text „Der Flügelschlag eines Schmetterlings“ von Pelle Felsch rundet das Vergnügen ab.

Die Präsentation des Streifens ist – wie vom Label gewohnt – absolut erstklassig und man muss Camera Obscura an dieser Stelle erneut Dank aussprechen. Nicht nur dafür, dass sie vergessene Perlen des italienischen Genrekinos in heute bestmöglicher Form zugänglich machen und für die Nachwelt konservieren, sondern auch, dass die Veröffentlichungen konsequent zweisprachig in Deutsch wie Englisch abgefasst sind – von Untertiteln bis zum Booklettext wird alles für den internationalen Markt aufbereitet. Durch die für den sonstigen Katalog des Labels eher unübliche FSK-Freigabe „ab 16 Jahren“ ist zu hoffen, dass der Titel auch in der Kaufhausauswertung entsprechende Beachtung erfährt – diese Schmetterlinge haben sie verdient.

„Die Vergangenheit existiert nicht, da sie bereits vorüber ist. Die Zukunft existiert genauso wenig, da sie noch geschehen muss. Darum existiert lediglich die Gegenwart, die jedoch aus Vergangenheit und Zukunft zusammengesetzt sein kann, da dies der Punkt ist, an dem sie aufeinandertreffen.“ Für jeden Käufer von BLUTSPUR IM PARK ist dieser Film Gegenwart – er existiert also, findet statt. Mit diesem Film bereichert man sein hier und jetzt – die Schmetterlinge dürfen wieder fliegen.

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Una farfalla con le ali insanguinate | Italien 1971 | Regie: Duccio Tessari | Darsteller: Helmut Berger, Ida Galli, Wendy D’Olive, Silvano Tranquilli, Günther Stoll, Wolfgang Preiss u.a.

Anbieter: Camera Obscura