The eyes of my mother

The eyes of my mother

Von Oliver Schäfer

THE EYES OF MY MOTHER, das Regiedebüt von Autor und Regisseur Nicolas Pesce (PIERCING), ist eine leicht beunruhigende, wenn auch nicht sonderlich gruselige Stilübung, bei der eindeutig der Wert mehr auf Stil als auf Substanz liegt. Die in drei Kapitel (Mutter, Vater, Familie) unterteilte Geschichte dreht sich um das Mädchen Francisca (als Kind Olivia Bond und als Erwachsene Kika Magalhaes), ein schüchternes Kind, das mit seiner Mutter (Diana Agostini – DER PATE 3), einer ehemaligen portugiesischen Augenärztin, und seinem Vater (Paul Nazak) ein ziemlich isoliertes Dasein auf einer abgelegenen Farm führt. Weder Mutter noch Tochter scheinen Kontakt zur Außenwelt zu haben und der Tagesablauf besteht aus Hausarbeit und verschiedenen Lektionen über Anatomie, bei denen die Mutter auf ihre Erfahrungen als Augenärztin zurückgreift.
Cover MOTHEREines Tages nähert sich ein merkwürdig fröhlicher Fremder namens Charlie (Will Brill – UNSANE), der sich unter einem Vorwand ins Haus drängt und schließlich Franciscas Mutter tötet. Als Franciscas Vater nach Hause zurückkehrt, schlägt er den Fremden KO und kettet ihn anschließend in der Scheune an. Francesca füttert Charlie und vernäht seine Wunden. Auf seine Frage, warum sie ihn nicht tötet, antwortet sie, dass er ihr einziger Freund sei. Dann entfernt sie seine Augen und durchtrennt seine Stimmbänder. Nach dem Tod ihres Vaters und nachdem sie Charlie schließlich getötet hat, wird Francisca immer einsamer, also macht sie sich auf die Suche nach neuen Gefährten…
Pesces Film zeichnet sich weder durch besondere Spannung aus, noch wird er Freunde von Blut und Gedärm auch nur ansatzweise zufrieden stellen können. Trotz der kurzen Laufzeit von 76 Minuten, wird gewiss mancher Zuschauer auch eine gewisse Ungeduld verspüren. Genießern von Atmosphäre und Stimmung sowie Fans der Interpretation von Filmsprache und Symbolik wird Pesces Werk erheblich mehr Freude bereiten, badet der Film doch geradezu in Zack Kupersteins (JONATHAN) satten Schwarzweißbildern, gemäldeartig statischen Einstellungen und diversen kunstvoll gestalteten Plansequenzen und Drohnenaufnahmen aus der Vogelperspektive, zurückhaltend untermalt von Ariel Lohs sparsamem Score.
MOTHER 03Der Film ist mehr eine Charakterstudie, die die Folgen von Einsamkeit und mangelnder Sozialisation betrachtet, weniger ein Horrorfilm. Francisca begeht ihre Taten nicht aus Boshaftigkeit oder Berechnung, sondern eher aus Hilflosigkeit, Selbstschutz und kompletter Ahnungslosigkeit im Umgang mit anderen Menschen. Francisca ist ein Monster, aber ein ziemlich unbedarftes. Trotzdem es im Verlauf des Films zu mehreren Todesfällen, sowie einigen „Operationen“ kommt, zeigt Regisseur Pesce kaum explizite Gewalt, sondern setzt – hier grüßt das erklärte Vorbild PSYCHO – geschickt auf die Phantasie des Publikums, sich die schlimmsten Dinge selbst vorzustellen, unterstützt von ausgefeiltem Sounddesign.
Tatsächlich beunruhigend ist die großäugige Unschuld und tänzerische Eleganz, mit der Kika Magalhaes die Rolle der Francisca füllt. Eine erwachsene Frau mit kindlichem Empfinden und der Sehnsucht nach Familie. Das führt an mancher Stelle zu leicht nekrophil wirkenden Szenen mit dem zwar verstorbenen, aber von Francisca nach wie vor wie ein lebendes Familienmitglied behandelten Vater. Wobei sich beim fortgeschrittenen Alter der Eltern eh schon anfangs die Frage stellt, ob die beiden überhaupt Eltern eines zu Filmbeginn achtjährigen Mädchens sein können.
MOTHER 02Das in wunderbarem Schwarzweiß gefilmte Drama ist toll anzuschauen, basiert auf einer originellen Idee und bietet durchaus reichlich Interpretationspotential. Letztlich fand ich die Geschichte trotz der kurzen 76 Minuten allerdings doch etwas zu gestreckt. In seiner formalen Bildsprache und der vorherrschende Grundstimmung erinnert der Film an Ana Lily Amirpours A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT oder Robert Eggers THE VVITCH.
Pesce hat unbestreitbar Talent und ein Auge für eindrucksvolle Bildkompositionen, daher bin ich gespannt auf seine nächsten Werke. Die Disc kommt in einem stabilen Pappschuber mit Original-Artwork und enthält neben einem informativen sechzehnseitigen Booklet zum Thema Gothic Horror noch folgendes Bonusmaterial: ein Audiokommentar mit Regisseur Nicolas Pesce, ein Interview mit Nicolas Pesce, eine Behind-the-Scenes-Galerie sowie das Musikvideo „Out of Touch“.
Besonders das ausführliche Interview mit dem ausgesprochen sympathisch erscheinenden Pesce ist dabei besonders interessant in seinen Erklärungen, wie mit kleinem Budget so viel erreicht wurde, wie viel Anteil die Darsteller an der Geschichte hatten und mit welchen optischen Tricks gearbeitet wurde, um die traumartige Atmosphäre zu erschaffen.

___________________________________________________________________

The Eyes of My Mother | USA 2016 | Regie: Nicolas Pesce | Darsteller: Diana Agostini, Kika Magalhaes, Will Brill, Flora Diaz u.a.

Anbieter: Bildstörung