Der verletzliche Blick - Regie: Dario Argento

Der verletzliche Blick – Regie: Dario Argento

Von Frank Arnold

Augen, die sich nicht schließen können (weil ein nadelbespicktes Klebeband dies verhindert) und deshalb zum Ansehen unvorstellbarer Grausamkeiten gezwungen werden: diese Szene aus Dario Argentos OPERA vergisst man so schnell nicht, für Robert Zion ist sie „das Schlüsselbild des modernen Horrorfilms“. Der Autor, Jahrgang 1966, der im Jahr 2000 zwei schöne Bücher über Vincent Price und William Castle veröffentlichte, hat jetzt ein Buch über Dario Argento vorgelegt – „keine Werkschau“, wie er gleich zu Beginn betont, vielmehr eine „Studie, die anhand einer bewussten Auswahl den auteur-Status Argentos in jeder Phase hervorzuheben versucht, in der er diesen auch noch zu erfüllen vermochte“. Argentos „Hochphase“ datiert er dabei „von Anfang der siebziger Jahre bis zur Jahrtausendwende“, auf die zehn Filme zwischen 1971 (VIER FLIEGEN AUF GRAUEM SAMT) bis 2000 (SLEEPLESS), während die fünf abendfüllenden Filme danach „sämtlich ihre ästhetische Einmaligkeit verloren (haben), ihre Motive und Bilder zunehmend epigonenhafter (wurden)“.

DerVerletzlicheBlickZion geht knapp auf einige andere wissenschaftliche Arbeiten über Argento ein, benennt seinen eigenen Ansatz: „Auch meine Argumente sind vorwiegend ästhetische“ und konkretisiert: „Sie zielen auf Argentos die verschiedenen Kunstformen verbindende Mise-en-scéne ab, auf die starke Affinität des ‚argentoesken‘ Stils zur Malerei, Bildhauerei, Fotografie, Architektur, und nicht zuletzt zur Oper.“

Damit setzt er beim Leser einiges voraus, was insofern zum Gegenstand des Buches passt, weil auch Argento in seinen besten Filmen ein „komplexes Bezugssystem“ erkennen lässt. Seine „große Obsession, die Wahrnehmungssituation des Betrachters im Film selbst zu thematisieren“, „den Zuschauer so direkt mit dem Phänomen Gewalt und seiner eigenen Lust am Hinsehen zu konfrontieren“ (wie sie sich in der eingangs beschriebenen Szene summiert) begründen für Zion die Bedeutung Argentos für das Kino.

Die Filme in chronologischer Abfolge analysierend, kann Zion herausarbeiten, wie ein Werk auf dem anderen aufbaut, einschließlich gewisser Rückschritte, so wenn die „alleinige Kontrolle als Autor, Regisseur und Produzent in jeder Phase der Produktion“ bei PHENOMENA „ein Zuviel an Ideen, Plotelementen, stilistischen Experimenten, Effekten … und persönlichen Bezugspunkten“ produziert. Eher vorsichtig ist Zion bei der Einbeziehung biographischer Herleitungen in Bezug auf die Filme Argentos, sein Hauptaugenmerk liegt auf den Verbindungen zu anderen Künsten, vor allem zur Malerei – was anhand von mehreren der 14 Bildtafeln, die motivverwandtes zusammenführen, gelingt, indem die Inspirationsquellen des Filmemachers mit seinen eigenen Filmbildern konfrontiert werden. Bei Begriffen wie ‚manichäischem Moralismus’ und der knappen Erwähnung von Theoretikern wie Deleuze und Barthes musste ich allerdings kapitulieren.

Phenomena_xInsgesamt ist Zions Studie ansprechend bebildert mit 104 farbigen Abbildungen und 14 erläuterten Bildtafeln, mit brauchbarer Filmografie, Bibliografie und Register, eine anregende Lektüre, die Lust macht, die Filme (von denen einige in Deutschland – bei Koch Media – und viele in Großbritannien – vorwiegend bei Arrow – in gut ausgestatteten Editionen vorliegen) wieder zu sehen. Mit seinem spezifischen Blick ist er eine schöne Ergänzung zu den beiden Gesamtdarstellungen des Argentoschen Werkes, des 2013 im Bertz+Fischer Verlag erschienenen Sammelbandes
„Dario Argento – Anatomie der Angst“ (beim Verlag mittlerweile vergriffen), der sich gleichermaßen als Einführung wie als Nachschlagewerk eignet; sowie des großformatigen Bandes von Alan Jones „Dario Argento. The Man, the Myths & the Magic“, 2012 bei der britischen FAB Press erschienen, der sich im Reichtum der Abbildungen und der intimen Kenntnis der Verfassers als Füllhorn erweist.

Bedauerlich finde ich es bei Zions Buch, dass die zahlreichen Zitate Argentos nicht einzeln nachgewiesen sind, so dass man sie nicht in ihrem weiterführenden Kontext lesen kann. Orthografische Mängel sind heute ja leider auch bei Großverlagen festzustellen, dieser Band ist als Book on Demand erschienen, als erster Band von Zions Reihe ‚fusées. Schriften zur Kultur, Gesellschaft und Politik’. Auf den angekündigten Band über Sergio Martino bin ich schon jetzt gespannt.

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Robert Zion: Der verletzliche Blick. Regie Dario Argento. | BoD – Books on Demand, Norderstedt, 2. verbesserte Auflage 2017, 365 S., € 28,99.