Der Tod trägt schwarzes Leder

Der Tod trägt schwarzes Leder

Von Christopher Klaese

Geht das? Einen Film drehen, der sich, um sex & crime zu liefern, heikler Themen wie Prostitution und Korruption bedient, aber trotzdem nicht ausschlachtend sein soll? Unterhaltsam muss er schon sein, aber nicht zu selbstdarstellerisch. Irgendwie ein rasanter Polizeithriller, aber mit Giallo-Anleihen garniert – und eine feine Charakterzeichnung darf er auch haben. Geht das? Nun, wenn man Massimo Dallamano heißt und DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER gedreht hat, weiß man – und ob das geht!

Cover-LEDERSelbstmord eines jugendlichen Schulmädchens. So sieht es zumindest auf den ersten Blick aus. Doch Inspektor Valenti (Mario Adorf), selbst Vater einer gleichaltrigen Tochter (Roberta Paladini), traut dem ‚Frieden‘ nicht. Spätestens als Staatsanwältin Stori (Giovanna Ralli) und Kommissar Silvestri (Claudio Cassinelli) sich einschalten und von Prostitution und Mädchenhandel mit hohen Regierungskreisen die Rede ist, geht es ans Eingemachte. Als wäre das noch nicht genug, scheint sich ein mit Fleischerbeil arbeitender Rächer in Motorradklamotten als Selbstjustizler zu verdingen und schlägt in das Gestrüpp eines Call-Girl-Rings blutige Schneisen. Welche Rolle spielen Privatdetektive und eine Hochfinanzfamilie? Was tut der Staat gegen solche Unbilden der modernen, sexualisierten Zeit? Und sind die Mädchen aus gehobenen Häusern wirklich so unschuldig, wie es Ihre adrett sitzenden Schuluniformen scheinen lassen? Für die Polizei beginnt ein Wettlauf mit der Zeit.

LEDER-03Filmische Genrehybriden müssen sich oft den Vorwurf gefallen lassen, in ihrem Streben alles zu wollen, aber leider an vielem zu scheitern. Doch Massimo Dallamano muss sich mit derlei Nachrede nicht herumschlagen, stellt DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER doch die vielleicht gelungenste Verquickung dreier Genres dar, die zur Entstehungszeit im italienischen Publikumskino für volle Filmtheater sorgten. Zutaten aus rabiatem Polizeifilm, thrillendem Gialloslasher und düsterer Gesellschaftskritik vermengt Dallamano zum zweiten Teil seiner ‚Töchter‘-Trilogie, die er mit dem in Deutschland als Edgar-Wallace-Film gelaufenen DAS GEHEIMNIS DER GRÜNEN STECKNADEL (1971) begonnen hatte. Auch hier sind es erneut die wohlscheinenden Mädchen aus dem gehobenen Bildungsbürgertum und der „upper class“, die in Ihrem Drang nach Ausbruch aus dem allzu behüteten Familienumfeld an perfide Triebgeier geraten. Dass die Frequentierung von gefügigen Jungmädchen auch vor den höchsten Kreisen von Politik und Justiz nicht Halt macht, mag in Zeiten von einschlägigen Skandalen um Silvio Berlusconi und Peter Hartz kein Hinhörer mehr sein – 1974 dürfte es den Zuschauern schon einen Schauer über den Rücken gejagt haben. Inszenierungstechnisch wechselt Dallamano – unterstützt vom Kameraass für die Zweit(-Film)-Liga, Franco Delli Colli – ständig die Tempi: vom schnellen, gehetzten Handkameragemenge zum minutenlangen Verharren in einer statischen Einstellung findet er immer die richtige Auflösung. Dass mit Claudio Cassinelli und Mario Adorf bärbeißige Darsteller ihre Figuren zum Leben erwecken und Giovanna Ralli die Staatsanwältin mit abgeklärter Strenge versieht, lässt einen endgültig eintauchen in die heruntergekommenen Bilder aus Brescia und Umgebung.

LEDER-01Für die stimmungsvolle Musik versichert man sich der Dienste Stelvio Ciprianis, stilprägend für den Sound des italienischen Polizeifilmes und damals in der Form seines Lebens. Neben den wiederverwendeten Cues aus LA POLIZIA STA A GUARDARE (1973) koppelte er seinen Blechbläser-bewehrten Big-Band-Sound mit einem lyrischen Mädchenchor, dessen atmosphärisches ‚Blam-blam‘ sich an die typischen Cipriani-Triolen auf den Tasteninstrumenten anschmiegt. Angereichert mit einigen „suspense“ verbreitenden Streicherpassagen und den damals gängigen Sourcenummern, gelang dem Komponisten die gelungene Kommentierung der zunehmend schwermütigeren Filmhandlung. Dankenswerterweise ist der Soundtrack beim Berliner Label Chris‘ Soundtrack Corner in hervorragender Präsentation auf CD verfügbar. Die deutsche Synchronbearbeitung, entstanden in München, versieht den Film dann noch mit Dialogen nach Maß. Manfred Schotts Off-Kommentare atmen seinen klassischen SCHULMÄDCHEN-REPORT-Duktus, Adorf spricht selbst und ein seltener Tonstudio-Gast wie Ruth-Maria Kubitschek lässt einmal mehr gewahr werden, wieviel Atmosphäre eine hochwertige Tonspur ausmacht.

LEDER-04Nie zuvor hat man diesen Film in derart feiner Präsentation gesehen. Der Breitbildtransfer für Blu-ray und DVD lässt einen staunen über Schärfe und Farben, die deutschen und ausländischen Tonspuren kommen klar zur Geltung. Was das Bonusmaterial betrifft, zeigt sich Camera Obscura zum wiederholten Mal in Geberlaune. Herzstück bildet ein Audiokommentar von Kultregisseur Dominik Graf und Filmwissenschaftler Dr. Marcus Stiglegger, deren Liebe zum Sujet man beiden deutlich anmerkt und sich Graf als leidenschaftlicher Italoaficionado präsentieren darf – von diesem Mann kann man gerne öfter ‚Gesprochenes‘ hören! Auf einer separaten DVD befinden sich ein Featurette mit Komponist Stelvio Cipriani, in deren 48 Minuten der sympathische Tonsetzer seine Karriere Revue passieren lässt und den typischen Cipriani-Stil erklärt. Weiters ist eine Featurette mit Schnittmeister Antonio Siciliano aufgespielt, der innerhalb von 29 Minuten seine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Regisseur Dallamano erfahrbar macht. Erstmals veröffentlicht werden speziell für den Film gedrehte, jedoch nie verwendete Hardcore-Szenen, die sich bei den Recherchen in unbeschrifteten Filmdosen anfanden. Obligat gibt es den deutschen, italienischen und internationalen Trailer sowie eine umfangreiche Bildergalerie. Zur Abrundung seien der Bookletessay „Die Leiden der jungen Mädchen“ von Filmforscher Kai Naumann empfohlen, sowie ein weiterer Essay von Buchautor Andrea Napoli, der über den einst gängigen usus, die „Exportversionen“ italienischer Filme mit nackter Haut in jeder Form aufzuhübschen, berichtet.

Der Filmgelehrte M. A., Christian Kessler, essayierte einst, DER TOD TRÄGT SCHWARZES LEDER sei einer jener Filme, weswegen man zum Italo-Fan wird! Spätestens mit dieser mustergültigen Veröffentlichung eines kleinen-feinen Meisterwerkes aus der letzten Blüte des italienischen Genrefilmes lässt sich die Wahrhaftigkeit dieser These unumstößlich belegen.

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La polizia chiede aiuto, I 1974, R: Massimo Dallamano, D: Giovanna Ralli, Claudio Cassinelli, Mario Adorf, Farley Granger, Steffen Zacharias, Franco Fabrizi

Anbieter: Camera Obscura