Dark Touch

Dark Touch

Von Jörg Stodolka

Heranwachsende, deren aufgestaute Emotionen sich infolge jahrelanger Demütigungen in einem Akt der Gewalt Bahn brechen, sind ein altbekanntes Thema des Genres: Der junge Kadett Stanley Coopersmith rächte sich in EVILSPEAK mit Hilfe dämonischer Mächte aus dem Computer. Brian de Palmas CARRIE entledigte sich ihrer Mitschüler und der religiös fanatischen Mutter mittels telekinetischer Kräfte. Immer sind es erlittene Traumata, die in den unbedarften Protagonisten den Nährboden bereiten für das Entwickeln unheimlicher Fähigkeiten, und immer stellt sich auch die Frage nach der Beherrschbarkeit der neu gewonnenen Kräfte. Marina de Vans DARK TOUCH beginnt mit einer Variation der finalen familiären Konfrontation aus CARRIE: Die 11-jährige Neve überlebt als einzige ein mysteriöses Verbrechen, das ihre Eltern und den jüngeren Bruder das Leben kostet. Stark traumatisiert wird sie von der benachbarten Familie aufgenommen. Doch auch dort kommt es bald zu unerklärlichen Ereignissen.

COVER-DARK-TOUCHWer nach dem effektgeladenen Anfang, in dem sich wie von Geisterhand bewegte Möbelstücke und Haushaltsutensilien als tödliche Waffen erweisen, einen spannenden Genrefilm erwartet, wird jäh enttäuscht. Marina de Van interessiert sich mehr für die Interaktion der traumatisierten Protagonistin mit ihrer Umwelt, die ihr größtenteils mit Ablehnung begegnet. Einzig bei ihren Pflegeltern findet Neve Verständnis, ist jedoch ob ihrer deformierten Persönlichkeit nicht in der Lage, die positiven Signale richtig zu deuten – und Missverständnisse können bei Neve schnell zum Tode führen. Dem mitfühlenden Paar gelingt es ebenfalls nicht, die überdeutlichen Anzeichen einer herannahenden Katastrophe zu erkennen – ob nun aus Gutgläubigkeit infolge einer eigenen, lang zurückliegenden Traumatisierung oder unter Einfluss der mysteriösen Kraft, wird nie ganz klar. So ist es dann auch das vom Zuschauer geforderte Verständnis für das ignorante Verhalten der Erwachsenen, das jäh die Stirn runzeln lässt. Zum Miträtseln ist DARK TOUCH dennoch eher nicht geeignet, werden die Zusammenhänge doch schon in den ersten Minuten in kurzen Rückblenden offenbar. Weitergehende Erklärungen werden indes ausgespart, entsprächen auch nicht der Subjektivität der Erzählung, die eine sehr bittere Variante eines zu frühen „Coming of Age“ parat hält. Dafür, dass der Film fast über die gesamte Länge eher unterkühlt unspektakulär daherkommt und mehr an ein Loach’sches Sozialdrama gemahnt denn an einen Horrorfilm, dreht er im letzten Drittel ein wenig zu stark auf und verliert mit einer Variation der Rattenfängerthematik die Intimität für das tragische Schicksal der Protagonistin.

DARK-TOUCH-02Marina de Vans Ansatz, kontroverse Themen wie Kindesmisshandlung und -missbrauch mit Horrorelementen zu vermengen, ist mutig. Da sie ihre Beobachtungen im Verlauf des Films jedoch immer mehr auf das soziale Gefüge der Dorfgemeinschaft erweitert, hätte man sich eine tiefergehende Charakterisierung der Figuren ohne allzu schablonenhafte Schwarzweißmalerei gewünscht. Was bleibt, ist eine gut gespielte, im Kern tief traurige und deprimierende Reflexion über verzerrte Wahrnehmung – ein Film gewordener Subjektivismus.

DARK-TOUCH-03Der Film liegt in Deutschland auf DVD und Blu-ray vor mit gutem, wenn auch wenig räumlichem englischem und deutschem Ton in 5.1, sowie einer deutschen 2.0 Tonspur. Auf Extras wurde verzichtet. Das ist schade, hätte doch zumindest ein Einblick in das Oeuvre der Regisseurin, insbesondere die Nennung der psychologischen Studie IN MY SKIN ihren Hang zu nicht komplett auserzählten Psychodramen verdeutlicht und Enttäuschungen der Genrefans zu vermeiden geholfen.

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Dark Touch, Frankreich/Irland/Schweden 2013, R: Marina de Van, D: Missy Keating, Marcella Plunkett, Pádraic Delaney, Steve Wall, Richard Dormer u.a.

Anbieter: Maritim Pictures